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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

16) Ueber Julius Schwarz (Liste Nr. 123), den Sohn der armen unglücklichen Wittwe, deren einzige Stütze er war, für sie und seine vier jüngeren Geschwister, – erhalten wir eine Berichtigung unserer Angabe. „Das 56. Regiment“ – schreibt uns der Fabrikbesitzer Herr Heuer in Lichtenstein bei Osterode am Harz, dessen Sohn, der Stud. der Chem. Wilhelm Heuer, bei demselben Regiment gestanden – „hat den Feind nicht bis zur schweizer Grenze verfolgt, sondern von Orleans bis Laval. Die Schlacht am 9. Jan. d. J. war nicht bei Pierrere, sondern bei St. Pierre vor Le Mans. Die dort Verwundeten kamen nach Vendôme oder Le Mans. Uebrigens erinnert sich mein Sohn, daß an jenem Tage das 56. Regiment durch einen verhauenen Wald hat vordringen müssen und daß es stark schneite, so daß ein Verwundeter oder Todter leicht unbemerkt liegen bleiben konnte.“ – Gegenwärtig steht das 56. Regiment in Köln und Wesel.

17) Ueber Friedrich Carl (Liste Nr. 125) sind vier Briefe eingegangen. Herr Bataillonsarzt Dr. Deininger in München berichtet, daß Carl am 16. Sept. 1870 in das Lazareth zu Rozoy-en-Brie, unweit Corbeil, als Ruhrkranker gekommen sei, und nennt die Namen von sechs Soldaten desselben Regiments, bei welchen vielleicht weitere Kunde über den Vermißten zu erlangen sei. Herr Oberlieutenant Bedall in München passirte „Rozoy-en-Brie am Yères“, wie er unser „Rosoy (?)“ berichtigt, am 11. Octbr. 1870 als Führer der Avantgarde eines größeren Ersatztransportes und erfuhr, daß daselbst Typhus und schwarze Blattern grassirten und deshalb keine Garnison dort gewesen sei; im Spital der barmherzigen Schwestern habe man, nach Aussage der Einwohner, viele deutsche Soldaten verpflegt, von denen anfangs die meisten rasch gestorben und nur noch einige preußische und bairische Typhus- und Ruhrkranke damals übrig gewesen seien. Herr Husaren-Wachtmeister Schulz in Lissa ertheilt den Rath, Nachforschung bei seinem freundlichen dortigen Quartiergeber, Monsieur Maillard, anzustellen, Herr Dr. med. Hucklenbroich in Bedburg kam auf dem Marsche nach Paris am 9. Novbr. v. J. nach Rozoy und besuchte gegen Abend das Nonnenkloster, der Pfarrkirche gegenüber, um nach den dort liegenden kranken deutschen Soldaten zu sehen. Er schreibt: „Ich fand dort einen bairischen Infanteristen, dessen Namen und Regiment ich leider nicht weiß. Er hatte augenscheinlich einen schweren Typhus überstanden, war aber jetzt in der Reconvalescenz und recht munter. Er konnte nicht genug die Liebe und Sorgfalt der Schwestern rühmen; behandelt hatte ihn der Arzt des Städtchens mit ebenso großer Theilnahme. Trotz dieser guten und wirklich rührenden Pflege der Nonnen, die ich selbst beobachtete, kann der Arme doch einem Rückfall erlegen sein. Jedenfalls haben dann wahrhaftig Engel an seinem Todeslager gestanden.“

18) Julius Richard Lange (Liste Nr. 127). Feldwebel Emil Wagner von der 3. Comp. des Reg. 108 berichtet, daß die betreffende Feldpostkarte von keinem Mann der Compagnie an die Eltern geschickt worden sei.

19) Moritz Herb (Liste Nr. 134) wurde in dem Gefechte bei Patay am 4. Dec. 1870 vermißt, ist aber nunmehr vom Regiment als dort begraben bezeichnet.

20) Christian Schulz (Liste Nr. 137) wurde am 7. Oct 1870 vor Metz so schwer verwundet, daß er, als unrettbar, gleich von dem Verbandplatz, der in einem Gehöft in Maizières bei Metz war, in den Garten neben die Mauer gelegt wurde, wo er gleich darauf starb. Zugleich mit drei anderen Cameraden begrub man ihn in einem Blumengarten und der Feldgeistliche der dritten Reserve-Division gab ihnen den Segen.

21) Friedrich Lorenz (Liste Nr. 146) betreffend, erhalten wir die Nachricht, daß auf dem Weißenburger Gottesacker aus Wanfried ein Heinrich Bohr begraben liegt, kein Lorenz.

22) Johann Max Hollerith (Liste Nr. 155) betreffend, giebt ein Brief mit unlesbarer Unterschrift eine Adresse zur Weiterforschung in Pau an.

Unsere Leser werden, wenn sie der vorstehenden Auskunft ihre Beachtung geschenkt haben, mit uns darin übereinstimmen, daß es, nach diesem Erfolg unserer Nachfragen nach unseren Kriegsvermißten, ein Unrecht wäre, die Flinte schon in’s Korn zu werfen. In runder Zahl kamen auf 150 Anfragen 20 Antworten. Und dabei sind wir auf den Kreis unserer Leser beschränkt gewesen. Der Erfolg würde sicherlich ein größerer geworden sein, wenn namentlich die politischen Tageszeitungen auf unsere Vermißtenliste aufmerksam gemacht hätten. Vielleicht geschieht dies jetzt, wo der Gegenstand durch die Interpellation auf die Tagesordnung gebracht war. Eine Frist müssen aber auch wir diesen Listen setzen, und wir bestimmen dazu den Augenblick, an welchem für alle Vermißten die Todeserklärung ausgesprochen ist. Es ist schwerlich zu befürchten, daß viele Leser der Gartenlaube diese Sorge und Rücksicht für die kummervollen Angehörigen unserer so unheimlich verschwundenen oder verschollenen Soldaten als störende Raumvergeudung der Redaction zum Vorwurf machen werden.




Blätter und Blüthen.


Am Grabe eines Dichters. (Mit Abbildung.) „Mögen die Nachkommen Dir gerechter werden, als die Zeitgenossen!“ Diesen Wunsch sprach das Diplom aus, mit welchem die Universität Leipzig am großen Schillerfesttage Franz Grillparzer, den größten österreichischen Dichter Deutschlands, zum Ehrendoctor der Philosophie[WS 1] erhob. Und der Wunsch ging in Erfüllung, gleich nachdem der Dichter todt war.

Vier Stock hoch mußte er im Sarge herabgeholt werden in einer engen Gasse der innern Vorstadt Wien, wohin sich vielleicht noch keiner der vornehmen Herren verirrt hatte, die nun in der Augustinerkirche auf ihn warteten. Hätte er die Blumen alle gesehen, welche die guten Wiener zu Kränzen gewunden in seinem sonst so einsamen Zimmer niederlegten, wie hätte er sich gefreut, denn er hatte, als echter Dichter, die Blumen so lieb!

Was aber würde er zu dem Aufzug gesagt haben, der in der engen Gasse ihn empfing? Wien besitzt mehrere Leichenbestattungsgesellschaften, von denen zwei, „La Piété“ und „L’entreprise des pompes funèbres“, nicht nur diese französischen Benennungen tragen, sondern ihre Mitglieder auch hinsichtlich der Hüte, Epauletten und Hosen in französische Generalsuniform gesteckt haben; noch „geschmackvoller und eleganter“ ist der „Tegetthoff-Veteranen-Verein“ herausgeputzt, man kann bei seinem Anblick nicht anders glauben, als daß österreichische Marineofficiere es sich zur Aufgabe gestellt hätten, die Wiener Todten zum letzten Land zu bringen; nur die runden, niedrigen, betreßten Hüte unterscheiden diese Tegetthoffianer von den ernsten Männern der See.

Erhebend war das übrige Geleite: die gesammte Jugend der höheren und höchsten Wiener Bildungsanstalten und alle Künstler und Schriftsteller der alten Kaiserstadt, an der Spitze der letzteren Bauernfeld, Laube und Dingelstedt. Dann der Leichenwagen, reich geschmückt, zuoberst eine Blumenkrone, ringsherum Kranz an Kranz, viele mit seidenen Bändern, auch einige in den „deutschen Farben“, worunter das noch für sein Deutschthum kämpfende Oesterreich die „des deutschen Geistes“, nicht die des neuen Reichs versteht. Daneben und dahinter abermals „Piété“ und „Tegetthoff“ und endlich eine lange Reihe Trauerkutschen.

Die höchste Ehre erwartete den guten bescheidenen Franz Grillparzer in der Augustinerkirche: hier boten der Kaiserhof und der Staat ihm den letzten Gruß. Hier waren versammelt: ein Stellvertreter des Kaisers, drei Erzherzöge mit ihren Oberst-Hofmeistern, die Oberst-Hofmeister aller übrigen Mitglieder des Kaiserhauses, ein Prinz Koburg, sämmtliche Reichsminister, die Mitglieder des Herrenhauses, der Präsident und viele Mitglieder des Abgeordnetenhauses, die stets von ihren Spitzen geführten Deputationen des Wiener Gemeinderaths, der Universität, aller Akademien Vereine, Stiftungen, Gremien und Kammern der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, der Generalität und des Officiercorps, die deutschen Gesandtschaften mit ihrem Personal, die hohe Aristokratie in glänzender Vertretung und zum Schluß, wie überall, das Volk.

Nachdem der Hofburgpfarrer den Leichnam, dessen Geist längst bei Gott war, eingesegnet hatte, bewegte sich der volkumwogte, fast unendliche Zug zum kleinen Währinger Friedhof, und hier widerfuhr dem Einundachtzigjährigen, der alle Blumen, folglich auch die Kinder so lieb hatte, noch die heimliche Freude, neben einem einjährigen Kindchen seine stille Schlummerstätte zu finden.

Am Grabe sprach zuerst Dingelstedt, während ein Mann der „Piété“ eine Fahne über den Sarg hielt und zwei Tegetthoffianer zur Rechten und Linken desselben auf Kissen einen Lorbeerkranz und die Ordenszeichen des Todten trugen.

Dingelstedt sagte unter Anderem: „Durch alle Stämme des völkerreichen Oesterreichs, in allen Blättern weht ein Hauch der Klage, weithin hallend über die Grenzen des deutschen Gesammtvaterlandes hinaus. Die österreichische Jugend, an Deiner Gruft steht sie mit leuchtenden Augen und blutendem Herzen. Alle Stände, Krieger, Bürger, Gelehrte, Dichter, sie haben den heutigen Tag als ein Fest allgemeiner Trauer, tiefen gemeinsamen Leides empfunden.“

Schade, daß der Redner es nicht vorzog, an diesem Grabe der Wahrheit allein die Ehre zu geben, statt sich im Pathos allgemeiner Schmeichelei zu ergehen. Ein so „tiefes allgemeines Leid“ setzt doch wohl eine ebenso allgemeine Liebe und Verehrung voraus; aber wo hat sich diese denn im Leben des Dichters bethätigt? Wer hat von den Tausenden, die in den Theatern den Stücken Franz Grillparzer’s ihren Beifall zuklatschten, danach gefragt: wovon und wie existirt der Dichter? Wien allein besitzt Straßen und Palästereihen, in welchen unermeßlicher Reichthum von Fürsten des Bluts und des Geldkastens wohnt; hat Einer von allen Diesen sich bis zu dem Gedanken emporgeschwungen, daß ein Dichter der „Ahnfrau“, der „Sappho“, von „des Meeres und der Liebe Wellen“ etc. höher an Geist als sie Alle stehe und darum auch eine dieser Höhe würdige äußere Stellung einnehmen müsse? Und lassen wir Dingelstedt’s Phrase von „allen Stämmen des völkerreichen Oesterreichs“ bei Seite – denn wie weit die Verehrung Grillparzer’s bei Slovenen, Croaten, Serben, Czechen, Ruthenen, Polen, Magyaren, Szeklern, Walachen und Slovaken etc. reichen konnte, sollte man doch wohl in Wien am besten wissen! – halten wir uns nur an alle Stände, Krieger, Bürger etc. Deutsch-Oesterreichs, so liegt wohl die Frage nahe: wie ist’s möglich, daß der größte Dramendichter desselben Oesterreichs nach sechszigjähriger Arbeit im Verhältniß zu seiner Berühmtheit ein armer Mann blieb? Er hat bis an sein Lebensende im vierten Stock wohnen, er hat sich auf’s Bescheidenste einrichten müssen, um, nicht von seinen Dichtereinnahmen – denn die hätten ihn verhungern lassen –, sondern von seinem Beamtengehalte für seine drei treuen Lebensgefährtinnen das doch wahrlich sehr mäßige Capital von „zehntausend Gulden“ zusammenzusparen.

Und nach solch einem Arbeitserfolg am Grabe eine solche Lobhudelei Derer, die den Dichter im Leben so theilnahmlos seinem Schicksal überließen? Man ehrt und unterstützt zugleich einen Dichter nur dadurch, daß man seine Werke kauft! Wie ehrte man ihn in Wien? Man gab zu seinem achtzigsten Geburtstag ein kleines Seitenstück zum großen Schillerfest: ein Grillparzerfest! Festtafeln, köstliche Speisen und Getränke, glänzende Bälle! Alles zum eigenen Vergnügen. Während im Schillerfestjahr

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Philophie
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_131.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)