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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Lage war natürlich beim Zustande seiner Gattin, an einem interimistischen Aufenthaltsorte recht traurig hülflos. Da wurde unsere Wilhelmine seine unermüdliche, treue Krankenpflegerin. Was sie hier in der Ruhe und Umsicht ihres praktischen Verstandes, ihrer Hingabe, die keine Aufopferung anschlug, und in ihrer beharrlichen Treue geleistet, ist vielfach von Denen anerkannt worden, welche damals der Familie Schiller nahe standen, und namentlich von Schiller selbst. Auch in Weimar, wohin die Familie Wolzogen sich begeben hatte, und wohin auch Schillers wieder zogen, wurde Schiller von Neuem krank. Auch auf diesem, seinem letzten Krankenbette, das leider ein gar sorgenvolles, schweres wurde, war „seine treue Seele“, wie Schiller unsere Schwenke nannte, eine seiner treuesten Pflegerinnen. Gern möchte man einen dichten Schleier über die gar traurige, fast verlassene Lage unseres sterbenden Schiller ziehen, welcher sorgenvoll, oft einsam auf seinem schweren Lager duldete, während Weimar gerade von Fest zu Fest in lautem Jubel vielgeschäftig eilte.

Dank den treuen, sanften Händen, die ihn da pflegten! –

Schiller starb, Frau v. Wolzogen wurde ernstlich krank; so ging das Jahr 1805 zu Ende.

Traurig war auch das Jahr 1806, denn Geheimrath v. Wolzogen litt lange an einem bösartigen Beinbruche, dann brach im October der unglückliche Krieg mit Frankreich aus. Weimar wurde vor Allem schwer heimgesucht. Frau v. Wolzogen mußte nach dem einsamen Röhla flüchten. Aber gerade in den ruhelosen, gefahrvollen Tagen zeigte die Schwenke eine Klarheit, Umsicht, ruhige Besonnenheit, daß Frau v. Wolzogen noch im späten Lebensalter zu dem Schreiber dieser Erinnerungen mit hoher Anerkennung der großen Verdienste ihrer „treuen“ Wilhelmine sprach.

Nachdem im Jahre 1809 auch Herr v. Wolzogen starb, ward das Haus, welches sonst ein Mittelpunkt des lebendigsten geistigen Verkehrs gewesen war, immer einsamer, trüber und stiller. Um ihren Sohn unter den Augen Pestalozzi’s erziehen zu lassen, wandte sich Frau v. Wolzogen nach der Schweiz, bis die großen Ereignisse der Jahre 1812 und 1813 den jungen Mann zu den Waffen führten und zwar nach Sachsen in ein Reiterregiment. Erst zu Neujahr 1814 sah ihn die sorgenvolle Mutter wieder, indem er sie in Weimar besuchte, um dann mit dem russisch-sächsischen Hauptquartier gegen Frankreich zu ziehen. Theils die Sorge für den Sohn, theils wohl auch eine mächtige Unruhe, welcher überall das fehlte, was sie früher gehabt und geliebt, ließ Frau v. Wolzogen ein wahres Wanderleben führen, zunächst dem Sohne nach, an den Rhein, dann nach Württemberg, Meiningen, Weimar. Im Jahre 1825 traf Frau v. Wolzogen die erschütternde Nachricht, daß ihr Sohn in Frankfurt schwer erkrankt sei, und schon im September dieses Jahres starb derselbe, das einzige Kind.

Dieser Tod raubte beiden Frauen, der Herrin und der Dienerin, den letzten freundlichen Anhalt am Leben; denn nicht nur die Mutter hatte ihren Sohn verloren nach allen Lieben, die ihr angehört hatten und heimgegangen waren, auch die treue Freundin des Hauses hatte den verloren, dem sie seit seiner Kindheit eine zweite Mutter gewesen war, dem sie so vielfach die vielbeschäftigte Mutter ersetzen mußte, welcher ihr aber auch eine fast kindliche Liebe und Verehrung bis an seinen Tod bewahrte.

Wer von da an in das Haus der Frau v. Wolzogen kam, glaubte es an einem Begräbnißtage betreten zu haben, er schien zwei tieftrauernde Wittwen zu finden, die, alles Aeußere von sich weisend und versäumend, allein der resignirten Ruhe, der Wehmuth der Erinnerungen noch lebend, das Dasein nur ertrugen. Wilhelmine Schwenke hielt sich noch an ein Lebenselement, die treueste Pflege, die sie der Freundin mit der umsichtigsten Rücksicht und vielfacher Selbstverleugnung gewährte; denn selbst den alten Staub zu entfernen, schien Frau v. Wolzogen in ihrer Trauer zu stören. So blieb das Trauerhaus auch in Jena, wohin sich die Frauen wendeten, still, fast öde, mehr als einfach, ohne alle jene lieben Dinge, die sonst den Menschen freundlich, heimisch umgeben, Tag um Tag, noch lange Jahre, bis Wilhelmine Schwenke der Lebensgenossin die letzten irdischen Dienste leistete. – Den 11. Januar 1847 starb Karoline v. Wolzogen, mit ihr war das Haus ausgestorben. – Was blieb nun der alten Getreuen, als sie aus dem öden Hause einsam ging, in dem auch die Freundin gestorben war, mit der sie fast ein halbes Jahrhundert unter den außerordentlichsten Verhältnissen auf’s Innigste vereint worden war!

Die Dienerin war ja die innigste Vertraute, ja die Freundin ihrer Herrin geworden, und in dem weiten, edlen Kreise der Lebensgenossen dieser hatte sie Achtung und das vollste Vertrauen erlangt. Schiller und dessen Gattin hatten sie wie den Hausgeist der Familiengenossen betrachtet, welcher in sorglicher Liebe allen dient. Wer sie hörte, mußte bei aller Discretion, welche die treue Seele bewahrte, leicht herauslesen, wie innig nahe sie dem edlen Kreise gestanden hatte. Jede Neugier, welche durch sie eindringen wollte in Familienverhältnisse oder persönliche Eigenthümlichkeiten, fand bei ihr nur das Schweigen des edelsten Unwillens. Der größte Beweis, wie hoch sie bei denen stand, mit welchen sie gelebt hatte, ist die Verfügung von Frau v. Wolzogen, welche den zuverlässigen Händen von Wilhelmine Schwenke ihren großen Nachlaß an den gesammelten Briefen, auch den Familienbriefen, testamentarisch vermachte. Und mit welcher großen Discretion hat unsere Schwenke das anvertraute Herzens- und Lebensheiligthum verwaltet! – Selbst den nächsten Ihrigen waren die Kisten mit Briefen fest verschlossen. Und welche Fülle hatte sich gesammelt, da Frau v. Wolzogen es nicht hatte über sich bringen können, einen Brief, den eine liebe Hand geschrieben hatte, zu verbrennen! In den nächsten Jahren nach dem Tode der Frau v. Wolzogen hatte sich gerade der Eifer der Autographensammler bis zur Manie gesteigert, und welcher Schatz lag hier in den vielen gefüllten Kisten; hier gab es Briefe von distinguirten Fürstlichkeiten, zum Beispiel von der Herzogin von Orleans, von den größten und ausgezeichnetsten Männern und Frauen aus dem Ende des achtzehnten und dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Die glänzendsten Anerbietungen wurden für den Nachlaß, selbst für einzelne Briefe gemacht. Man hatte sogar ein Dienstmädchen bestochen, Briefe aus jenem Nachlaß zu entwenden. Aber obgleich Wilhelmine Schwenke in sehr bescheidenen Vermögensverhältnissen lebte, hatte sie entschieden und beharrlich alle Anerbietungen ausgeschlagen. Erst nach jahrelangem Wählen und Sichten, nachdem viele Hunderte von Briefen, die man mit Gold aufgewogen hätte, verbrannt, viele an ihre Verfasser, wenn sie noch lebten, zurückgeschickt waren, erst dann übergab unsere Wilhelmine einem bewährten Manne einen Theil jener Briefe, welche unter dem Titel „Literarischer Nachlaß der Frau Caroline v. Wolzogen“ in zwei Bänden bei Breitkopf und Härtel in Leipzig, 1848 in erster Auflage, 1867 in zweiter Auflage erschienen.

Vor wenigen Wochen, am 24. December 1871, ging Wilhelmine Schwenke im einundneunzigsten Lebensjahre sanft heim, und ruht dort neben den längst Schlafenden, die ihr einst angehörten, an dem Kirchlein, in dem sie von ihrem Vater getauft worden war.

Im kleinen, stillen Dörfchen war sie geboren worden, unter den größten Menschen und mitten unter den weitgehenden Wogen ungewöhnlicher Zeitereignisse hatte sie ein weitgereistes, unruhevolles Pilgerleben gelebt, in der friedlichen Stille im Thale, von Bergen und Waldeinsamkeit umgeben, hatte sie ihr reiches Leben beschlossen.

Legen wir still und dankbar einen Immortellenkranz auf den kleinen Hügel, unter dem sie ruht, und kehren wir auf dem alten Wege, der uns hierher führte, zurück: er ist der friedvolle Zeuge des schönen Lebensabends einer treuen Seele, und das Schweigen der großen, still waltenden Natur, die uns da umgiebt, stört nicht die Weihe unserer Erinnerungen.

A. Schmeißer.




Blätter und Blüthen.


Ein neuer bürgerlicher und Reform-Minister. (Mit Abbildung.) Als Metternich und seine diplomatischen Jünger und Anbeter im „europäischen Concert“ an der ersten Geige saßen, hat kein deutscher Hof es gewagt, auf seine Staatsministersessel andere als hochadelige Personen zu setzen. Es gehört zu den vielen Verdiensten des Sturms von Achtundvierzig, auch in dieser Hinsicht gesundere Luft in die höheren Regionen gebracht zu haben. Erst an solchen Wandelungen, welche hundertjährige Paragraphen der starrsten Hoffähigkeitsgesetze über den Haufen warfen und Ständescheidungsmauern von unübersteiglicher Höhe mit einem Schlage niederrissen, erkennt man, wie stark der Sturm und wie morsch die Gegenstände gewesen, gegen die er anzurennen bestimmt war. Wir haben das Unerhörteste erlebt: in Wien ein ganzes „Bürger-Ministerium“; seitdem Das möglich war, wundert

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