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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 10.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Am Altar.


Von E. Werner, Verfasser des „Helden der Feder“.


(Fortsetzung.)


„Ich habe Ihnen schon einmal bekannt, Herr Graf, daß ich Ihrer Güte nur Undank entgegen setze,“ erwiderte Bruno leise. „Verzeihen Sie mir und – geben Sie mich auf!“

Bei der geringsten Nachgiebigkeit von Seiten seines Schützlings verschwand sofort aller Zorn aus dem Wesen des Grafen.

„Dich aufgeben! Also weißt Du wenigstens, daß Du in Gefahr schwebst! Bruno, wie konntest Du diese unselige Predigt wagen! Du mußtest doch wissen, mußtest doch berechnen, welche Folgen sie auf Dein Haupt herabzieht.“

Der junge Priester hob düster das Auge wieder empor. „Wenn ich überhaupt berechnet hätte, so wäre das Ganze unterblieben. Ich bin doch noch Mönch genug, den Gehorsam zu halten, den ich meinen Oberen gelobt habe, und ich weiß, daß jene Rede furchtbar dagegen stritt. Aber als ich mich inmitten all der versammelten Wallfahrer sah, die sich in blinder Andacht vor mir neigten, als ich denken mußte, daß vielleicht Hunderte von ihnen ihre Kinder einst in dieselben Fesseln zwingen, die jetzt mich zu Boden drücken, da übermannte es mich mit unwiderstehlicher Gewalt und riß mich fort wider meinen Willen, ich konnte die Worte nicht mehr zügeln – erst als ich von der Kanzel zurücktrat, kam mir zum Bewußtsein, was ich eigentlich gesprochen.“

Rhaneck schüttelte das Haupt. „Das Unglück ist der Ort, wo Du es gesprochen. Wäre es hier in N. geschehen, vor der kleinen Pfarrgemeinde, die Sache ließe sich vielleicht noch ausgleichen, aber vor dem zusammengeströmten Volke, vor den Tausenden von Wallfahrern, die jedes Deiner Worte bis in die fernsten Punkte des Gebirges tragen – das verzeiht Dir mein Bruder nie!“

„Ich weiß es!“

„Warum hast Du mir nicht bekannt, daß Du den Stand hassest, dem ich Dich weihte?“ fragte der Graf gepreßt. „Ich hätte Dich nicht gezwungen, beim Himmel, ich hätte es nicht gethan, trotz alles Drängens meines Bruders! Aber ich glaubte Dich ja im vollsten Einklange mit Dir selbst und mit Deiner Zukunft.“

Benedict lächelte bitter. „Hätte ich am Tage der Priesterweihe empfunden, wie ich jetzt empfinde, keine Macht der Erde hätte mich in dies Gewand gezwungen. Sie vergessen, daß ich im Priesterseminar erzogen bin, wo alles Wollen und Können immer nur blind in die eine Richtung geleitet wird, wo keine Minute unbewacht und keine unbenutzt bleibt. Erst im Kloster fand ich Zeit zum Denken, fand ich mitten unter all dem äußeren Zwange Freiheit genug, mir selbst zu leben, und da erst kam das Erwachen – zu spät!“

Mit einem schweren Seufzer schien sich Rhaneck von dem peinigenden Gedanken losreißen zu wollen. „Wir wollen nicht um Vergangenes streiten!“ sagte er entschlossen, „die Gegenwart ist drohend genug. Du bist nach dem Stifte zurückberufen?“

„Ja.“

„Und Du wirst dem Rufe folgen?“

„Dem Befehle meines Abtes? Gewiß!“

Der Graf trat ihm hastig einen Schritt näher. „Du darfst nicht zurück, unter keiner Bedingung! Muß ich Dir erst sagen, was Dich dort erwartet? Warnt Dich nicht das Schicksal so manches Deiner Gesinnungsgenossen und bist Du nicht lange genug Mönch gewesen, um zu wissen, welcher Rache ein Kloster, welcher Rache Deine Brüder fähig sind? Und Du hast sie furchtbar gereizt, Bruno, Du hast ihnen den Fehdehandschuh ingeworfen – sie können Dir nicht verzeihen!“

Der junge Caplan lehnte sich mit verschränkten Armen an den Stamm des Kreuzes und richtete das Auge fest auf den Sprechenden.

„Und was verlangen Sie denn, Herr Graf, daß ich thun soll? Wollen Sie etwa, daß ich dem bestimmten Befehl zur Rückkehr offenen Widerstand entgegensetze und es auf Gewaltmaßregeln ankommen lasse?“

Der Graf warf einen raschen Blick umher, Ottfried war weit genug entfernt, um keine Silbe des Gespräches auffangen zu können, dennoch sank seine Stimme zum Flüstern herab, aber sie bebte selbst in diesem Flüstern.

„Nein! Dir bleibt nur eins übrig, die Flucht! Schnelle, unverweilte Flucht – in ein anderes Land, wenn es sein muß,“ er schwieg einen Moment lang und ein schwerer Athemzug rang sich qualvoll aus seiner Brust empor, „wenn es sein muß – in ein anderes Bekenntniß.“

Benedict fuhr auf. „Und das sagen Sie mir, Graf Rhaneck? Der Bruder meines Prälaten, das Haupt des alten, streng katholischen Geschlechtes, das von jeher seine Ehre darin suchte, eine Stütze der Kirche zu heißen? Ein solcher Rath von Ihnen?

„Wenn ich ihn Dir gebe, so magst Du die Größe der Gefahr daraus ermessen,“ sagte Rhaneck tonlos. „Was er mich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_149.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)