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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 12.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Am Altar.*


Von E. Werner, Verfasser von „Ein Held der Feder“.


(Fortsetzung.)


Es war ein Laut flehender, unaussprechlicher Angst, mit welchem Bruno’s Name an die Wände schlug, ein Ton, wie er noch niemals aus diesem Kindesmunde gekommen; aber es war zu spät, der junge Priester befand sich bereits draußen im Freien. Sie sah sich allein in der dämmernden Kirche, stärker schwankte die Ampel über dem Hochaltar, stärker wehte der Luftzug herein und wie von Geisterhand berührt löste sich einer der Todtenkränze von der Wand und fiel schwer zu Boden – Lucie schauerte zusammen. –

Eine fremde Gestalt erschien nunmehr in der Kirchenthür und in der nächsten Minute stand ein kleiner alter Mann an der Seite des jungen Mädchens.

„Wenn es dem Fräulein jetzt gefällig wäre, ich stehe zu Diensten,“ begann er höflich.

Lucie sah ihn verstört an. „Wer sind Sie?“

„Ich bin der Meßner! Hochwürden der Herr Caplan hat mir befohlen, bei dem jungen Fräulein zu bleiben und es sicher zurückzubringen nach –?“

„Nach N.!“ war die leise halb erstickte Antwort.

„Nach N.?“ wiederholte der Alte verwundert. „Dahin geht der Herr Caplan ja eben auch, da hätte er das selbst thun können! Nun, er meint vielleicht, der Weg über die wilde Klamm ist nicht für solche Füßchen, wie die Ihrigen; wir gehen natürlich die Fahrstraße.“

Lucie erwiderte nichts, mechanisch folgte sie dem Manne, in dessen Schutz sie Benedict gegeben, aber sie ging wie im Traume befangen an seiner Seite und hörte kein Wort von allem, was ihr der redselige Alte über das Gebirge und den Herbst und Winter hier oben erzählte – Er kehrte also auch nach N. zurück! –

Benedict hatte in der That den Felspfad eingeschlagen, den vor ihm auch Ottfried gegangen war. Er freilich kam auf diesem Wege schneller vorwärts, als die verwöhnten und unsicheren Füße des jungen Grafen es vermochten, schon nach wenigen Minuten lag die Wallfahrtskirche hinter ihm.

– – Die hohen Gebirgshäupter haben sich längst wieder in ihr Nebelgewand gehüllt, nur bisweilen schimmern die weißen Schneegipfel hindurch, um sich gleich darauf wieder zu verschleiern. Aus den Schluchten heben sich die Wolken empor, und ziehen hin und her, und lagern sich auf den Pfad des Wanderers, als wollten sie ihn zurückscheuchen. …

Ueber der „wilden Klamm“ zieht es sich drohend zusammen, und das düstere Sturmgewölk, das langsam am Horizonte emporsteigt, hüllt die schon dämmernde Schlucht in noch tiefere Schatten. Als wolle der ganze Himmel herabstürzen in jenen Schlund, so schwer und düster hängt es über jenen Klippen, und unten in der Tiefe kocht und zischt das Gewässer und rauscht triumphirend auf – das ersehnte Opfer ist ihm ja nun endlich geworden! Zerbrochen hängen die Trümmer des Geländers herab von der Brücke und die Wellen schäumen hinweg über ein jugendliches Haupt, das blutig, zerschmettert im Sturze, in ihrem kalten Schooße sein Grab gefunden!




Die Nachricht von dem jähen und schrecklichen Tode des jungen Grafen Rhaneck machte ungeheueres Aufsehen in der ganzen Umgegend. Der einzige Sohn! der Majoratserbe! der letzte Sproß des alten berühmten Geschlechts, auf dem die ganze Hoffnung der Familie ruhte! Was dem Hause Rhaneck nur irgendwie nahe stand, wurde mitbetroffen von dem furchtbaren Geschick, das so unerwartet die beiden Eltern heimgesucht hatte. Die Gräfin, so unbedeutend und unempfindlich für alles Tiefere sie auch sonst sein mochte, hier war sie nur Mutter, und der Verlust des einzigen Kindes raubte ihr fast die Besinnung, der Graf war unmittelbar nach Empfang der Unglücksbotschaft in’s Gebirge zurückgereist und die Verstörung, die im ganzen Schlosse herrschte, steigerte sich womöglich noch am folgenden Tage, wo er mit der Leiche seines Sohnes wieder eintraf. Selbst die Dienerschaft, obgleich sie sonst gerade nicht mit besonderer Liebe an dem jungen Herrn hing, dessen hochmüthiges, verletzendes Wesen sie so oft hatte empfinden müssen, trug mit an dem Schmerze der Herrschaft. Der jähe Tod hatte all die Fehler des Lebenden verwischt und ausgelöscht, man vernahm nur Stimmen des Entsetzens und des Mitleids.

„Ich hab’s ja gesagt!“ jammerte Florian, der alte Reitknecht. „Ich hab’s gewußt, daß es ein Unglück geben würde, schon damals, als wir im Frühjahr hierherkamen und der junge Herr den ersten Ritt in die Berge machte, bei dem der Almansor ihn abwarf. Almansor scheut sonst nie und gehorcht auf’s Wort, aber auf der Brücke stand er mit einem Male wie festgemauert und zitterte am ganzen Leibe, während der Schweiß ihm nur so niederfloß, und kein Sporn und keine Peitsche brachte ihn auch


* Das Uebersetzungsrecht ist vorbehalten.

Die Verlagshandlung.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_185.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)