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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nachschleudern mein ganzes Leben lang – ich habe lange genug gezittert vor dem Schreckbilde dieses Wortes, jetzt will ich ihm einmal in’s Auge sehen!“

Lucie hob mit einer raschen Bewegung das Haupt empor. „Sie wollen sich lossagen? Auch von Ihrer Kirche?“

„Ich muß! Mir bleibt keine andere Wahl, will ich nicht künftig rechtlos dastehen im Leben. Die katholische Kirche erkennt meine Lossagung nie an, giebt den einmal Geweihten niemals frei, ihr bleibe ich ewig der entflohene, der verfehmte Mönch, welche Stellung in der Welt ich mir auch erobern mag. Es giebt für mich nun einmal keine Freiheit in diesem Glauben und jeder halbe Schritt wird mir zum Verderben. Ich kehre in das Bekenntniß zurück, in dem ich geboren und getauft bin; mögen es die verantworten, die mich ihm ohne mein Wissen entrissen, die mich blind machten mit ihrer Sclavenerziehung, bis ich selbst der Fessel die Hand bot – ich weiß jetzt, wohin ich gehöre – und wo allein meine Zukunft liegt!“

Lucie hatte keine Erwiderung auf diesen mit vollster Energie kundgegebenen Entschluß, aber sie widerstrebte auch nicht mehr, als er jetzt ihre Hand ergriff und sie leidenschaftlich zu sich zog.

„Lucie! In Deinem Glauben bricht mit all den anderen Ketten auch die Fessel, die mich bisher von jedem Glücke schied. Du hast vor mir gezittert, von dem ersten Augenblicke an, wo ich Dir entgegentrat, Du hast mich gemieden und geflohen, hast mich des Furchtbarsten für fähig gehalten, und doch weiß ich’s seit jener Stunde gestern im Gebirge, daß es nicht Haß war, der Dich von mir entfernte, daß ich nicht hoffnungslos liebte. Kannst Du einem Manne vertrauen, der sein neues Leben mit einem Wortbruche anfängt, anfangen muß, wenn er überhaupt noch eine Zukunft haben will? Kannst Du ein Schicksal theilen, das vielleicht emporführt, und vielleicht auch zum Untergange? Du mußt Dein frohes, sonniges Kinderglück, die sichere Heimath, den Bruder, mußt Alles aufgeben, um mir zu folgen und ich kann Dich nur mit hineinreißen in Kampf und Streit. Sie werden mich ihren Haß fühlen lassen, bei jedem Schritte auf der neuen Bahn, jeden Fuß breit werde ich mir erst erkämpfen müssen, ich hab’s nun einmal gewagt und nehme die ganze Last und die ganze Verantwortung auf mich allein; aber Du, Lucie? Wirst Du nicht zittern an meiner Seite vor einem solchen Loose und vielleicht auch wieder – vor mir?“

Sein Ton war furchtbar ernst geworden bei den letzten Worten, und sie hatten wenig von den beglückenden Verheißungen eines Liebenden, diese Zukunft, wie er sie dem jungen Mädchen ausmalte, dessen Leben bisher in so ganz anderen Bahnen dahingeflossen war. Die düstere, fast dämonische Natur dieses Mannes verleugnete sich selbst in dem Momente nicht, da er um seine Braut warb, aber er warb auch nicht um das Kind mehr, das einst in kindischer Furcht vor dem finsteren Mönche geflohen war. Jene Stunde am Altar, da sein wahres Wesen sich ihr zum ersten Male in seiner ganzen Tiefe enthüllte, hatte auch in ihr das Weib wachgerufen, und die Todesangst der letzten Tage das einmal Erweckte schneller gereift, als es Jahre ruhigen Dahinlebens vermocht hätten. Es war die ganze liebende und unerschütterliche Hingebung des Weibes, mit der Lucie jetzt zu ihm emporblickte und lächelte, während doch zugleich ein paar heiße Thränen in ihren Augen standen.

„Ich hielt Dich gestern noch für schuldig, Bruno! Ich hatte fast die Gewißheit, daß der Graf von Deiner Hand gefallen sei, und mit dem vollen Bewußtsein davon habe ich damals den Kopf an Deine Brust gelegt und nicht gezittert, als Du mich in den Armen hieltest. Willst Du noch eine andere Bürgschaft? Ich glaube doch, meine Liebe zu Dir hat in jenem Augenblick die schwerste Probe bestanden!“

Mit einer leidenschaftlichen Bewegung zog er sie fester in seine Arme, während seine Lippen zum ersten Male die ihrigen berührten. Sie hatte Recht, die Probe war bestanden, und mit der stürmischen, nie gekannten Glückseligkeit, die jetzt schrankenlos aus dem ganzen Wesen Bruno’s hervorbrach, bebte wohl noch etwas Anderes durch seine Seele bei diesem ersten Kuß. Er fühlte jetzt erst, daß die Schranke niedergerissen war, die den Mönch, den römischen Priester von den heiligsten und süßesten Banden schied, die die Menschen auf Erden aneinander fesseln, von Weib und Heimath und Familie!




Die nächsten drei Jahre waren so rasch dahingerollt, waren so inhaltsvoll und thatenreich gewesen, wie es die Jahre in unserer Zeit eben zu sein pflegen, wo all die gährenden Elemente empordrängen, um sich im Kampfe, sei’s nach innen oder nach außen, Luft und Klärung zu schaffen. Das Drama, welches sich an das einst so hochgeehrte Stift und dessen Bewohner knüpfte, hatte sich doch nicht so schnell verwischen und in Vergessenheit bringen lassen, als man es dort vielleicht gehofft. Hätte es in niederen Kreisen gespielt, es wäre vielleicht möglich gewesen, aber der Name und die Bedeutung des Grafen Rhaneck, die Stellung des Prälaten und dunkle Gerüchte von den wahren Beziehungen des jungen Pater Benedict zu dem Rhaneck’schen Hause brachten die Angelegenheit vor das Forum der Residenz und des Hofes, von dort fand es einen Wiederhall im ganzen Lande, und der Umstand, daß der mit so großer Spannung erwartete Proceß in der That nicht stattfand, erbitterte die schon aufgereizten Gemüther auf’s Höchste. Die Voraussetzung, daß der Orden dem Lande um keinen Preis der Welt ein Schauspiel gönnen werde, das in jetziger Zeit geradezu vernichtend für ihn wirken mußte, erwies sich als richtig. Man hatte nicht gezögert, dem Abte die formelle Genugthuung zu geben, und den Prior bei der nächsten Vernehmung jedes Wort, das er gesprochen, feierlichst widerrufen zu lassen, aber nur die Wenigsten ließen sich jetzt noch dadurch täuschen, und als der Schuldige in der Nacht, bevor er den Gerichten übergeben wurde, wirklich dem Klostergewahrsam entfloh, als sich jede Nachforschung nach ihm als vergeblich erwies und er verschwunden war und blieb, wahrscheinlich längst in dem Schutze irgend eines fernen Klosters geborgen, da richtete sich der Sturm des allgemeinen Unwillens gegen den Prälaten. Es war unmöglich, ihn der furchtbar erregten öffentlichen Meinung gegenüber zu halten, obgleich der Versuch dazu gemacht wurde. Das Ansehen, ja die Existenz des Stiftes, an dessen Spitze er stand, wurde dadurch auf’s Spiel gesetzt, und so entschloß man sich denn endlich widerstrebend, ihn zu entfernen, selbstverständlich nur zu einem anderen Amte, das seinem Range und seinen Verdiensten entsprach. Rom hatte der hohen Kirchenstellungen genug für einen Priester, der sich in seinem Dienste geopfert, und man war dort keineswegs gewillt, auf die fernere Thätigkeit eines Mannes zu verzichten, dessen Geist und Charakter sich von jeher als eine der festesten Stützen der Kirche erwiesen hatten. Er ward all den „gehässigen Angriffen“ entzogen, um an der Tiber einen neuen Wirkungskreis zu finden, da sich ihm der Bischofsstuhl des Landes, für den man ihn schon früher in Aussicht genommen, nach den letzten Ereignissen doch wohl für immer verschloß.

Im Stifte selbst wurde Pater Eusebius durch die Wahl der Mönche zum Abte erhoben, aber es zeigte sich bald genug, was selbst hier in dem streng geregelten Convent die Persönlichkeit eines Einzelnen vermocht hatte. Mit dem Prälaten war auch jener mächtige und trotz alledem großartige Geist gewichen, der es verstanden hatte, dem Kloster ein halbes Menschenalter hindurch die unbedingteste Verehrung zu sichern und es über alle Klippen hinweg siegreich im Kampfe gegen die Neuzeit anzuführen. Der neue Abt, ein mäßig begabter und der römischen Kirche treu ergebener Priester, hatte gleichwohl nicht einen Hauch von der Energie und dem Herrschertalent seines Vorgängers in sich, und war jedenfalls nicht der Mann, die tiefe Wunde zu heilen, welche jene Vorgänge dem Ansehen und der Ehre des Stiftes geschlagen hatten. Der Riß erweiterte sich unmerklich, aber unaufhörlich, das Kloster bestand noch, aber es war vorbei mit der alten Macht und der alten Herrschaft über die Gemüther; verstand es der jetzige Prälat doch kaum, seine eigenen Mönche zu beherrschen, die, wohl fühlend, daß sie der gewohnten festen Leitung entbehrten, sich allerlei persönliche Uebergriffe erlaubten, die sie früher nie hätten wagen dürfen und die man ihnen jetzt stillschweigend hingehen ließ, sobald sie nur ihr Verhältniß zur Kirche nicht berührten.

Auch Schloß Rhaneck lag jetzt einsam und verödet und selbst in den Sommermonaten, die ihm sonst stets den glänzenden gräflichen Haushalt zuführten, wurde es nicht mehr bewohnt. Vielleicht war es das tragische Geschick seines Sohnes oder die Entfernung seines Bruders, vielleicht auch das furchtbare Aufsehen, welches Beides in der Umgegend gemacht, was den Grafen bestimmte, sein Stammschloß fortan zu meiden, er hatte es noch nicht wieder betreten. Der Tod Ottfried’s hatte das rein äußerliche Band,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_255.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)