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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Der neueste Kampf Keller’s mit den Vertretern der katholischen Kirche im Aargau begann im Jahre 1869, als Keller dem schweizerischen Publicum ein Lehrbuch der Moral von dem Jesuiten P. Gury denuncirte, das ohne Wissen und Erlaubniß der Diöcesanconferenz im Priesterseminar des Bisthums Basel eingeführt worden war. In einem dicken in zwei Auflagen erschienenen Buche, „Das Moralcompendium des Jesuiten P. Gury“, zeichnete er das verderbliche Lehrsystem der Jesuiten in drastischen Zügen und belegte seine Schilderung mit einer Reihe von Beispielen. Die Entrüstung über dieses Lehrbuch war eine so allgemeine, daß es der Seminarleitung trotz aller Gegenbroschüren nicht gelang, das schmähliche Lehrbuch sauber zu waschen. Sie mußte es abschaffen, ersetzte es jedoch durch ein noch viel unpassenderes von Bischof Kenrik. Es genügte jedoch Keller nicht, das Gemeingefährliche, das für die Erziehung der jungen Priester im Seminar in der Anwendung der gedachten Lehrbücher lag, constatirt zu haben; es mußten auch ausreichende Schritte zur gänzlichen Ausrottung des Uebels gethan werden. Keller setzte es bei den competenten Behörden durch, daß diese Anstalt, die nicht im Sinne des Volkes und Staates lehrte, sondern die Priester nach verderblichen Grundsätzen bildete, aufgehoben wurde. Nicht genug! Der Bischof von Basel hatte in dieser Frage dem Staate gegenüber eine solche Widersetzlichkeit gezeigt, daß es Keller nicht schwer fiel, unterstützt von seinem Freunde Justizdirector Straub, die Ausscheidung des Cantons aus dem bisherigen Bisthumsverbande und die Ordnung der kirchlichen Verhältnisse auf der Basis der Trennung von Kirche und Staat beim aargauische Großen Rath zum principiellen Durchbruch zu bringen. Ihr desfallsiger Antrag wurde am 27. September zum Beschluß erhoben.

Auch in eidgenössisch-kirchlicher Politik erhielt Keller wieder seine Aufgabe reichlich zugemessen. Eine siebentausend Mann starke Volksversammlung in Langenthal hatte am 3. April dieses Jahres einem Ausschusse schweizerischer Staatsmänner (Keller an der Spitze) den Auftrag ertheilt, bei der gegenwärtigen Revision der Bundesverfassung die Wünsche und Anträge vorzulegen, die geeignet sein möchten, die Rechte und Freiheiten des Bundes, der Cantone, der Gemeinden und der einzelnen Bürger gegen die autokratischen Uebergriffe der Hierrachie auf dem Gebiete staatlicher und bürgerlicher Berechtigungen sicher zu stellen. Keller löste diese Aufgabe in einer Denkschrift: „Die kirchlich-politischen Fragen bei der eidgenössischen Bundesrevision von 1871.“ Obschon mehr für den republikanischen Staat bestimmt, liefert die umfangreiche Schrift doch einen höchst beachtenswerthen Beitrag für die Stellung aller Staaten zur Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit. Es war deshalb auch Niemand mehr berechtigt, die Schweiz auf den Katholikencongressen von Heidelberg und München zu vertreten, als gerade der Verfasser dieses Memorials. Bei der Versammlung in München wurde Keller zum Vicepräsidenten ernannt. Die beiden Congresse, deren Resultate für die Stellung der Altkatholiken theilweise hinter den Erwartungen der nächsten und nähern Zuschauer zurückgeblieben sind, liegen unsern Tagen zu nahe, als daß sie hier näher erörtert zu werden brauchen. Deutlicher als in den deutschen Congressen sprach sich Keller in einem Vortrage im Vereine für kirchlichen Fortschritt am 1. November in Aarau über die Reformbewegung in der katholischen Kirche aus. Als Ziele derselben bezeichnete er die Wiederherstellung des altkatholischen Episkopats, die Nationalisirung der Kirche auf demokratischer Grundlage, die Purification der katholischen Dogmatik, des Cultus, der Moral, endlich Vereinigung mit der freien protestantischen Kirche.

Sein religiöses Glaubensbekenntniß gab er in folgenden Worten: „Heilig ist uns jeder religiöse Glaube! Freiheit jeder frommen Ansicht, Freiheit jeder gewissenhaften Ueberzeugung! Aber dieselbe heilige Freiheit nehme ich auch für mein Herz und meinen Verstand in Anspruch. Nie werde ich meinen Dienst einem Kaiser versolden, aber meinen Glauben gebe ich auch keinem Papste gefangen; doch ebenso wolle mich Gott vor der Sünde bewahren, daß ich je mein Gewissen der Verblendung des übelunterrichteten großen Haufens opfere! Ich spreche mit dem alten frommen Eidgenossen Konrad Geßner: ‚Myn Hertz staht zum Vaterland; dem begör ich zu läben und zu dienen, aber auch frey darin zu sterben, so es Gott gefällt, als ich hoffe.‘“

Keller schrieb an seinem sechsundsechzigsten Geburtstage einem Jugendfreunde: „Ich habe dem gütigen Himmel bisher viele Wohlthaten zu danken! Gute, zuchtstrenge Eltern, frühe Gewöhnung an Arbeit und Entbehrung, viele herrliche Lehrer, viele treffliche Freunde, viele grimmige Gegner, ein glückliches Familienleben, ein fröhliches Herz, eine firngesunde Natur, ein republikanisches Leben in einer großen sturmbewegten Zeit, einen unverzagten Glauben an die Menschheit und ihren providentiellen Fortschritt. Welchem dieser himmlischen Güter soll ich den Vorzug geben? Ich weiß es nicht. Aber das weiß ich, daß ich meinen Gegnern ein gutes Theil meines Glückes schuldig bin.“

Man sagt, die Republik sei undankbar; es mag dies auch bei Keller zutreffen. Große Reichthümer hat sie ihm nicht gebracht. Die Gemeinden Olsberg und Aarau verliehen ihm das Ehrenbürgerrecht, eine Universität gab ihm den Doctortitel: Bürgerkrone und Doctorhut, das ist’s, was die Republik zu bieten vermag. Aber was ihm jeder gute Schweizerbürger schuldet, Liebe und Hochachtung, diese Zeichen des Dankes werden ihm bleiben, wenn er auch längst, vielleicht unter dem Bannfluche Rom’s, zu Grabe gestiegen ist.




Thierschutz und Hunde-Asyle in London.

Von Arnold Ruge.

„Vor der Parlamentsacte von 1822 gegen Thierquälerei“, sagt der Secretär der Gesellschaft, J. Colam, „wurden Hausthiere in unserem Vaterlande unmenschlich behandelt. Sei es aus Unwissenheit, Unbedacht, Nachlässigkeit oder purer Rohheit, genug, sie hatten den ärgsten Schmerz und die größte Qual zu erdulden, ohne daß sich ein Mitleid für sie geregt, ja ohne daß man es auch nur beachtet hätte. Wenige humane und feinfühlende Ermahner und Tadler hatten keine Macht gegen dies wachsende Uebel; und so wurde es nöthig, eine Gesellschaft zu gründen und die Freunde unserer armen stummen Mitgeschöpfe in ihr zu vereinigen.“

Diese Gesellschaft wurde am 16. Juni 1824 gestiftet, und sollte wirken: durch Tractätchen, durch Einführung derselben in Schulen, durch die Tagespresse, durch Predigten, und endlich durch eine eigene Polizeimannschaft auf Märkten und Straßen und Verfolgung der Schuldigen vor Gericht.

Zuerst fand die Gesellschaft Spott und Widerstand, von Jahr zu Jahr mehrten sich aber ihre Theilnehmer und zeigte sich eine Besserung in der Behandlung der Thiere. Endlich wurde die Königin erklärte Beschützerin und seit 1840 heißt die Gesellschaft die „königliche“. Die ersten Damen des Adels und berühmte Namen aus beiden Häusern sind auf der Liste der Beschützer und Ehrenpräsidenten der Earl of Harrowby ist der active Präsident und die Gesellschaft hat den Widerstand der Spötter überwunden.

Die Gesellschaft wurde reich und erlangte Einfluß. Sie setzte die Aufhebung des Smithfield-Marktes durch und brachte es zu Gesetzen gegen Stierhetzen, Stierwettrennen, Hahnengefechte, Dachshetzen und andere barbarische Vergnügungen, auch gegen den Gebrauch der Hunde als Zugvieh; sie uniformirte ihre Mannschaft, die sie in London und in den Provinzen verwendete und durch die sie mit Hülfe der gewöhnlichen Polizei von 1835 bis 1865 die Zahl von 10,869 Verurtheilungen erzielte.

Man hätte nun denken sollen, die Verurtheilungen würden sich allmählich vermindern, sie vermehrten sich aber in den dreißig Jahren derart, daß das Jahr 1835 nur achtzig, das Jahr 1855 schon fünfhundertfünfundzwanzig und das Jahr 1863 sogar neunhundertvierundsiebenzig Verurtheilungen zeigte. In der ganzen Zeit von 1835–1865 durchschnittlich 362, also etwa täglich Eine Verurtheilung. In so bemerkenswerther Weise hat sich die Wachsamkeit der Gesellschaft gesteigert; „die Grausamkeit“, sagt der Secretär, „muß verfolgt und entdeckt werden: sie existirt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_307.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)