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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 25.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Diamanten der Großmutter.


Von Levin Schücking.


(Fortsetzung.)


5.


Als Max Daveland sich zur Ruhe begeben, hatte sogleich auch der Hausherr sein Schlafgemach oben im Hause aufgesucht; Valentine und Ellen waren ihm gefolgt. Valentine fand in ihrem hübschen Mansardenzimmer, das ebenfalls auf den Hof hinausging, das Fenster noch geöffnet. Sie sah, daß die Regenwolken, welche den Tag über den Himmel überzogen hatten, ohne sich zu entladen, sich mit dem Einbruche der Nacht nur noch mehr verdichtet hatten und jetzt das ganze Himmelsgewölbe bedeckten, von dem weder Mond noch Stern niederglänzten. Ein leichter Strichregen fiel unhörbar leise nieder. Valentine legte sich in das Fenster und ließ sich von einzelnen feinen Tröpfchen die brennende Stirn kühlen – denn ihre Stirn brannte, ihre Wangen glühten. War es die Musik, die sie mehr als jemals ergriffen? Es war in ihr eine eigenthümliche Erregung, etwas von einer Unruhe, die doch nicht quälte, etwas von einer innern Spannung, als ob in den nächsten Augenblicken irgend ein Unerwartetes, irgend ein ihr ganzes Leben erfassendes Schicksal vor sie treten könne; dazu kamen dann aber bald wieder, wie Anwandlungen, die auftauchen und schwinden, die früheren Gedanken ängstlicher Sorge um etwas, das sich still und heimlich hinter ihrem Rücken bereite, eine böse Intrigue, die Gaston anzettele und zu der Miß Ellen den Einschlag liefere mit ihren rosigen, dünnen und kalten Fingern, deren Berührung Valentine stets gescheut hatte. Miß Ellen hatte ihre Erziehung geleitet, aber sie hatte sich ihr Herz nicht gewonnen, weder früher, als sie ihre Lehrerin war, noch jetzt nach dem Tode der Mutter, wo sie die Frau dem Hause ersetzte und sie ebenfalls Herrn d’Avelon ersetzen zu wollen schien … Valentine konnte sich nicht verhehlen, daß sie, um dies Ziel zu erreichen, die lebhafte Begünstigerin Gaston’s und seiner Wünsche war; ja sie mußte vermuthen, daß für den Fall ihrer Verbindung mit Gaston de Ribeaupierre sich ihr Vater an Miß Ellen bereits gebunden hatte – Miß Ellen übte wenigstens schon jetzt eine ziemlich große Herrschaft über Herrn d’Avelon aus. So war das Bündniß zwischen Gaston und Miß Ellen ein natürliches, und das eben verschärfte jetzt Valentinens Sorge; die ängstliche Beklemmung, die von Zeit zu Zeit in ihre erregte, schwunghaft hochfliegende Stimmung kam, wie ein Windstoß die Oberfläche eines träumend daliegenden Weihers kräuselt und aufwühlt.

Valentine blickte aus ihrem Fenster auf den schweigend und dunkel daliegenden Hof nieder, über die Dächer der Oekonomiegebäude fort, auf die leise ansteigenden Höhen dahinter, nach der schmalen, aber ziemlich tiefen Einsattelung, die im Westen den Kranz dieser Höhen unterbrach – plötzlich fiel ihr auf, daß das gewöhnliche Schauspiel, welches sie Nachts von ihrem Fenster aus hatte, wenn sie den Blick auf die Einsattelung richtete, heute fehlte – der Gluthschein und das von Zeit zu Zeit sich wiederholende Aufleuchten der Frischfeuer in dem Eisenwerke, das zu Givres gehörte und das gerade hinter jener Einsattelung lag, über deren Kamm sonst der Feuerschein in jeder Nacht den Horizont mit seiner rothen Gluth übergoß und in regelmäßigen Pausen stoßweise sich verstärkend an das Arbeiten eines Vulcans erinnerte.

Weshalb fehlte heute dies Feuer, das sonst immer nur in der Nacht vom Sonntag zum Montag erlosch? Hatten die Arbeiter Strike gemacht, hatte der Krieg sie von ihrem rußigen Tagewerke abgerufen, hatte sonst ein Ereigniß den Stillstand dieser Werke erzwungen? Das Alles konnte nicht sein, denn Gaston würde es ganz sicherlich mitgetheilt und ausführlich mit ihrem Vater darüber geredet haben. So warf es plötzlich Valentinen eine Last auf die Brust, die das Gewicht ihrer Sorge verzehnfachte. Gaston, so gab ihr diese Sorge ein, war zu seinem Eisenhammer gegangen; er hatte die Leute, die er dort beschäftigte, eine Schaar starker und wüster verwildeter Menschen, die meist aus dem Wallonenlande daheim waren, zusammengerufen, sie mit der Arbeit innehalten lassen und ihnen geboten, ihm nach der Ferme des Auges zu folgen, um diese zu umstellen und den deutschen Officier, der darin übernachtete, aufzuheben! War es so, oder war es nur eine thörichte Ausgeburt ihrer Sorge, ihrer mit dem jungen Deutschen beschäftigten Phantasie? Wer konnte es ihr sagen … wie konnte sie sich Licht darüber verschaffen … was konnte sie thun? – Wenn nur nicht Miß Ellen dem Gaste das untere Zimmer angewiesen hätte! Es stimmte so beunruhigend zu ihrem Argwohn; es war so viel leichter, ihn, ohne das ganze Haus in Alarm zu setzen, aus diesem nach hinten hinaus zu ebener Erde liegenden Gemache zu holen und fortzuschleppen!

Valentine stand und sann und starrte nach der Gegend des Horizonts, wo die Feuer brennen mußten, ob sie nicht wieder aufleuchten würden. Aber der Horizont wurde nur dunkler und dunkler. Ihr Herz klopfte hörbar. Sollte sie auf einen solchen bloßen Verdacht hin gehen und Max warnen? Was sollte sie ihm sagen, was vorbringen, daß er ihre böse Ahnung, ihre Sorge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_399.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)