Seite:Die Gartenlaube (1872) 420.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

warf sich so recht reisemüde in meinen Lehnstuhl mit den Worten: „Gott sei Dank, daß ich wieder da bin! Ich sattle so leicht nicht wieder.“

Aber nicht sowohl auf diese seine Energie, die jede Bequemlichkeit stolz und leicht von sich abschüttelte, die ruhigen Genuß selten kannte, die sich Strapazen aufbürdete, wie sie wenig andere menschliche Schultern zu tragen vermögen, will ich bei Berührung seines Privatcharakters den Hauptaccent legen, als auf seine hohe Biederkeit und Verachtung alles Dessen, was Liebedienerei, Knechts- oder Bedientensinn heißt. Und in diesem Sinne ist es mir eine Freude und Ehre, in diesen Blättern meinen Wahrnehmungen Ausdruck geben zu dürfen, der, in die wenigen, aber schönsten Worte zusammengefaßt, lautet: er war ein Mann!

Wir wurden bald intim, trotz der Verschiedenheit unserer Naturen. Das Auspacken seiner Kisten und Gruppiren der Hunderte von Gegenständen in seinem Arbeitszimmer machte ihm viele Sorge. Da war ich nun ein ganz guter Gesell. Ich arrangirte mit ihm, nagelte an, knüpfte und steckte fest, und in wenigen Stunden hingen die Erzeugnisse aller fünf Welttheile an den Wänden. Gerstäcker war dabei in einem furchtbaren Negligé, so daß seine gute Mutter laut aufschrie, als sie zufällig hereintrat. Auch empörte es sie, wie er bei der Ausschmückung Europa hatte durch einen Frack, Cylinder und ein Paar Glacéhandschuhe vertreten lassen. Solche harmlose Scherze waren ihm ein wahres Gaudium, und er konnte dabei lachen, bis ihm Thränen in die Augen traten. Sonst war sein Temperament ernst, wohl ein Nachhall seines langen einsamen Lebens in den Wäldern und Prairien Amerikas. Wie Gerstäcker in der Wahl seiner Wohnungen nie besonders glücklich und vielleicht deshalb ziemlich veränderlich war, so auch diesmal. Sein Logis in Leipzig war bescheiden, aber durchaus freundlich. Doch dauerte es nicht lange, und wir nagelten wieder und diesmal im Dorfe Plagwitz bei Leipzig, indem ihn plötzlich eine Inclination für’s Landleben faßte. Hier waren wir nun sehr viel und oft zusammen, so daß ich glaube, ich war mehr bei Gerstäcker’s als zu Haus. Dies Familienleben war ein ebenso solides wie ungenirt-behagliches. Frau Gerstäcker (seine erste Gattin) war eine vorzüglich kluge und zusammenhaltende Hausfrau, die ihren Mann und seine näheren Freunde sehr richtig taxirte und danach zu fassen verstand und auf diese Weise eine seltene Harmonie in ihren häuslichen Kreis brachte, was Jeder bemerkte und dankbar empfand. Nur einmal zogen wir ihre Ungnade auf uns, als wir des Abends des Nachbars große mit Quecksilber gefüllte Glaskugel (solche Kugeln haßte nämlich Gerstäcker ganz besonders) in’s nahe Kornfeld trugen und am andern Morgen den bekümmerten Besitzer suchen und rennen sahen, wie eine Gluckhenne, die ein Küchlein verloren hat. Wir erhielten eine furchtbare Strafpredigt, so daß der Weltreisende und ich des andern Abends die famose Glaskugel wieder aus dem Kornfelde holten und auf ihr Postament setzten.

Der zu solchen und ähnlichen Scherzen leicht aufgelegte Mann war der Ernsteste am Schreibtisch. Nur in Ausnahmelaunen empfing er dann Besuche und nur sehr kurze, sonst war es strenge Hausregel, daß Niemand vorgelassen werde, „wenn der Herr arbeitete“. Und wie er Alles mit Energie angriff, so vor Allem bei der Arbeit. Ohne Unterbrechung schrieb er des Tags seine sechs bis acht Stunden, und dies Wochen, ja Monate hindurch. Dann war er völlig abgespannt und erholte sich durch kurze Jagdausflüge, wenn es die Jahreszeit gebot, oder spielte regelmäßig seine Partie Whist. Namentlich durch seine Reisen zur See war es ihm zum Bedürfniß geworden, Alles so stark als möglich zu genießen, so mäßig er auch in seiner Lebensweise war. Aber was er genoß, mußte vorzüglich sein: die schwersten Cigarren, der beste Rum, die vorzüglichsten Cap- oder spanischen Weine; auch liebte er starke Gewürze; wo er das nicht fand, ging er ungern hin, wie er offen gestand, und wollte man es Gerstäcker bei sich behaglich machen, mußte man sich allerdings förmlich auf seinen Besuch vorbereiten. Wer glaubte, von ihm über seine Reisen viel erzählen zu hören, irrte sich gewaltig. „Wozu schreibe ich denn?“ sagte er dann in seiner kurzen offenen Weise.

Es ist bekannt, daß der Herzog von Coburg Gerstäcker in seine Nähe zog. Nie hat wohl ein Fürst einen uneigennützigeren Mann aus dem Volke kennen gelernt. Ich gestehe, mir bangte anfangs für Gerstäcker, als dürfte sein naturwüchsiges Wesen für den glatten Hofboden allzuwenig passen. Aber der ausgezeichnete Kern seines Wesens wird wohl auch hier erkannt und gewürdigt worden sein, und man darf hoffen, daß jener hohe Herr mit gleicher Trauer die Todesbotschaft des armen Freundes empfing wie wir. Wie oft war ich Zeuge, wenn Gerstäcker in die Enge getrieben wurde, Diesen oder Jenen beim Herzog zu protegiren! Kalt und bestimmt entgegnete er dann gewöhnlich: „Da kommen Sie an die unrechte Quelle, ich rede mit dem Herzog nie über so Etwas.“

Eine schändliche Carricatur rührt aus jener Zeit, die ich Gerstäcker sendete, als er nach Coburg übersiedelte. Er erschien lebensgroß als herzoglich coburgischer Jagdsecretär, mit kurzen Hosen und Kreuzbänderschuhen. In einem Begleitschreiben ermahnte ich ihn, sich nicht durch die Hofluft etc. verderben zu lassen und der Stellenjägerei zu ergeben. Er nahm das Conterfei mit nach Coburg, und hat es, wenn ich nicht irre, dem Herzog selbst gezeigt.

Ehe Gerstäcker nach Braunschweig übersiedelte, wo er die letzte Ruhe finden sollte, wohnte er mehrere Jahre mit wenigen Unterbrechungen in Dresden. Er hatte sich zum zweiten Male verheirathet und lebte in den wünschenswerthesten Verhältnissen. Trotz unserer Nachbarschaft und unserer unveränderlichen Beziehungen, kamen wir sonderbarer Weise nicht so oft zusammen, als wir geglaubt hatten. Doch nagelte ich wieder seine transatlantischen Erinnerungen in seinem Arbeitszimmer auf, wobei uns sein jüngstes Kind, ein reizendes kleines Mädchen, das er zärtlich liebte, wacker zwischen den Beinen herumlief. Bis auf einen nahen Verwandten, Consul Kinder, Dawison und meine Wenigkeit, hatte er keinen besonders näheren Umgang. Er schloß sich schwer an, hielt aber erprobte Freunde fest, wie alle tüchtigen Menschen. Bei der Aufführung seines Dramas „Der Wilderer“ am Dresdener Hoftheater, das sich eines sogenannten Hochachtungserfolges erfreute, blieb er ziemlich gleichgültig, und hätte sich gewiß kein Haar ausgerissen, wenn es durchgefallen wäre. Aber wie Alle, die ihn kennen lernten, ihn liebgewinnen mußten, so konnten auch die Schauspieler nicht genug des Lobes erheben von seinem gewinnenden, einfachen Auftreten. Dawison spielte damals noch die Hauptrolle des Stückes, die eigentlich seiner Individualität wenig entsprach, aber mit größter Hingebung schon aus Liebe zu seinem alten Freunde Gerstäcker. Dem schlossen sich die anderen Mitspielenden wetteifernd an, und wenn auch nicht als dramatischer Dichter, so doch, was nicht weniger ist, als liebenswerther Mensch, ging Gerstäcker an diesem Abend triumphirend aus dem Theater. Wie niemals eitel und sich überhebend, so sprach er auch darüber nur wie über einen Versuch, den er sich erlaubt habe, den er aber zum zweiten Mal unterlassen wolle. Und er stieß lachend mit den Anwesenden darauf an, die sich nach dem Theater zu heiterem Festmahl im Hôtel de Pologne versammelt hatten.

Plötzlich kündigte mir Gerstäcker eines Tages an, er wolle nach Braunschweig übersiedeln; über seine Motive ließ er mich im Unklaren. Ich zog bald darauf auf’s Land, und, wie dies leider im Leben so oft vorkommt, wir kamen einander nach und nach aus dem Gesicht. Er ging nach Braunschweig – und wir sollten ihn nicht wieder sehen.

Gerstäcker als Schriftsteller zu beleuchten, war nicht meines Amtes, das haben vor mir bessere Köpfe gethan. Möge aber der Leser aus den kleinen Zügen, die ich hier aus der Erinnerung zusammenstellte, den Privatmann erkennen und lieben lernen – so ist der Zweck dieser Zeilen erreicht.

Neben seinem sonst so praktischen Wesen, das sich selbstverständlich in der großen Schule des Lebens herausgebildet hatte, war er unbegreiflicher Weise, was man so unter der eigentlichen Lebenspraxis versteht, oft von einer fast kindlichen Naivetät. Während es ihm eine Kleinigkeit gewesen wäre, um einen Umweg zu ersparen, durch einen Fluß zu schwimmen, bedachte er sich bei den einfachsten Vorkommnissen des Alltagstreibens fast bis in’s Peinliche. So beim Miethen einer Wohnung, welche Calamität ich in Dresden mit ihm durchmachte, verrannten wir drei geschlagene Tage, ehe er zum Ziel gelangen konnte, und zuletzt, nachdem ihm Alles zu theuer oder zu großartig gewesen war, miethete er eine sehr großartige und sehr theure Wohnung in einem der elegantesten Viertel der Stadt, er, der nie größere Gesellschaften bei sich sah.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_420.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)