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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Doch halt, daß ich nicht lüge! Seiner jungen Gattin zu Ehren gab er mehrmals solche, und ich sah ihn sogar einmal im – Frack, als er einen Hausball gab. Meine böse Zunge fürchtend, gelobte er mir später, das nie wieder zu thun. Wie mir unser gemeinschaftlicher Freund Freiherr v. W. schrieb, der 1849 nach Californien ging, und mit seinen Brüdern ein altes verlassenes spanisches Kloster, Mission Dolores, bewohnte, wo Gerstäcker lange Zeit als Gast war, zeigte er sich dort von einer ganz besonderen Harmlosigkeit, wo Jeder, der nur etwas den Augenblick zu nützen verstand, in allen Ehren sein Schäfchen in’s Trockene bringen konnte. Gerstäcker grub und wusch dort auch eine Zeitlang Gold, aber er wählte, wie mir mein Gewährsmann mittheilte, gerade die unglücklichste Jahreszeit dazu. Zu dem geringsten kaufmännischen Geschäft, von einer eigentlichen Speculation ganz abgesehen, zeigte er sich gänzlich unfähig, um so besser versorgte er aber die kleine Ansiedlung durch seine Büchse, und man kennt die Größe und Stärke eines braven californischen Hirsches.

Einer ergreifenden Scene gedenkt hierbei Herr v. W., als er mit Gerstäcker und einem dritten Jagdgenossen von einem größeren Streifzug zurückkehrt, und auf Büchsenschußweite einen Menschen sieht, der mit Händen und Armen winkt, als er die drei Jäger zu Gesicht bekommt. Der Mensch arbeitet sich näher, mehr kriechend und sich auf die Erde werfend, als vorwärts schreitend. Jetzt ahnen sie das Entsetzliche: der Mensch befindet sich auf einer jener unheimlichen Triebsandstellen, die, unter dem menschlichen Tritte nachgebend und immer weichend, das Opfer zuletzt verschlingen. Aber der Unglückliche arbeitet sich dennoch mit übermenschlichen Kräften so weit vorwärts, daß sie seine Stimme, zuletzt seine Worte vernehmen können. Er fleht, man möge ihn erschießen – die drei Männer stehen todtenbleich da – er wirft die Arme schrecklich empor, die Kräfte verlassen ihn, er sinkt und sinkt, und in wenigen Minuten ist Nichts zu sehen als eine glatte Fläche.

Mir ist in dem Augenblick nicht erinnerlich, ob Gerstäcker in einer seiner Schriften dieses erschütternden Falles gedacht hat. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt, – und so erzählte mir unter Anderen Herr v. Weber, wie entrüstet der gute Gerstäcker gewöhnlich gewesen sei, habe man sich in seiner Gegenwart Scherze erlaubt, die seiner reinen Natur zuwider. So habe bei ihnen ein alter Förster (ich glaube aus Thüringen) gelebt, den das Schicksal auch in die neue Welt verschlagen. Der alte Mann sei fast zu nichts mehr nützlich gewesen, und um sein Brod nicht gänzlich als Almosen zu betrachten, habe er die Büchsen gereinigt und, wenn größere Gesellschaft gewesen, bei Tische bedient. Bei besonderen Feierlichkeiten habe er dabei seine alte Dienstuniform mit dem Hirschfänger getragen. Dies habe Gerstäcker förmlich empört, und trotz des alten Mannes Sträuben habe dieser nicht mehr bedienen dürfen, so lange Gerstäcker auf Mission Dolores weilte. Ich habe Gerstäcker bei ähnlichen Gelegenheiten öfter beobachtet und so recht den edeln Kern seines Wesens schätzen gelernt. Jeder Bedrückung, jeder Gemeinheit, im Kittel oder in Glacéhandschuhen, war er entschiedener und rückhaltsloser Feind. War der Fall ein besonders starker, so wurde er roth, als schäme er sich des Andern willen, dann sehr bleich, und nannte die Sache ohne Ansehen der Person eine Gemeinheit oder Nichtswürdigkeit. Trotzdem war er nie Händelsucher, nur in den äußersten Fällen vergaß er, wie der echte Mann, jede Rücksicht, und war dabei in seiner Entschiedenheit so imponirend, daß er nicht so leicht auf Widerstand stieß. Als ich ihn einst fragte, wie er sich bei einer Herausforderung benehmen würde, sagte er: „Da ich Niemand absichtlich beleidige, würde ich jedenfalls um Entschuldigung bitten, und wäre Jener nicht damit zufrieden, ihn einfach niederschlagen.“ Und er war der Mann dazu.

Oft befremdete es mich oder that mir im Interesse meines Freundes weh, wenn ich wiederholt hören mußte: Gerstäcker trägt in seinen Schriften zu stark auf, Dies und Jenes sei eines Münchhausen nicht unwürdig, und wie ähnliche Randglossen heißen mögen. Solchen unsanften Bemerkungen möchte ich dadurch entgegen treten oder sie berichtigen: daß Gerstäcker es liebte, hier und da zu fabuliren, ohne jedoch im geringsten dabei die Absicht zu haben, dem Leser Münchhauseniaden oder dergleichen aufzutischen. Er hoffte, man würde die Sache nehmen wie sie ist, und nicht aus einer Mücke einen Elephanten machen. Denn nie habe ich einen wahrheitsliebenderen Mann gekannt, als es Gerstäcker im Privatleben, im Kreise seiner Freunde und Bekannten war. Er hat deren viele, und ich weiß, sie werden mir beistimmen. Seine Güte gegen arme Teufel war geradezu rührend. Und ich erinnere mich genau noch der Scene, wie ich ihn Reiseeffecten in einen Waggon der Leipzig-Dresdner Eisenbahn schleppen sah, die einer verschämten Armen gehörten, der er die Mittel verschafft hatte, mit einem leidlichen Taschengelde in die Heimath zurückkehren zu können. Und die Dame war weder jung, schön, noch interessant, eine alte, gebrechliche, durch Elend stumpf gewordene Frau, die im Kissen lag, das ihr Gerstäcker sorglich unter den Kopf steckte, und statt des Dankes nur leise nickte. So schrieb er auch für den alten Schauspieldirector Magnus in Dresden den „geschundenen Raubritter“, welcher in erster Zeit dem tief herabgekommenen Mann leidlich volle Häuser machte, da das Publicum den Scherz verstand und den Autor ahnte.

Herbert König.




Aus deutschen Lustschlössern.


2. Der vorletzte der fränkischen Hohenzollern.


(Schluß.)


Noch hält der neue Markgraf seine Tollheit im Zaume. Bald jedoch machen sich die Einflüsse seiner Umgebungen geltend. Caspar Heinrich Schröder aus Osnabrück, der glückliche Vertilger hochfürstlicher Leichdornen, sammt einem ungerathenen Bengel von Sohn und einer mit aller Welt liebelnden zigeunerhaften hübschen Tochter, die sich ehedem als Seiltänzerin versucht haben mag, ist als Serenissimi Leibmedicus selbstverständlich von Wandsbeck mit nach Baireuth übersiedelt. Er hat Quartier im Schlosse und Beköstigung aus der Hofküche, eine weit reichere Tafel, als sie der sparsame Markgraf führt, der sich zum Entsetzen sämmtlichen courfähigen Publicums bei seinem Hofmarschall in Pension giebt, und verwaltet mit dem Titel eines Geheimen Bergrathes das Minendepartement des Landes, da er seinem Gönner besondere montanistische Kenntnisse vorgespiegelt hat. Dabei aber bleibt der kecke Abenteurer nicht stehen; ihn gelüstet nach den höchsten Ehren im Staate. Von Anfang an steht sein Plan fest. Fort und fort giebt er dem Markgrafen anzuhören, alle Beamte desselben seien unwissende Tröpfe und ungetreue Haushalter, bis er das Ziel erreicht, nach dem er strebt.

„Spitzbuben seid Ihr Alle!“ tobt Friedrich Christian, im Schlafrock und mit einer hohen seidenen Mütze auf dem Kopfe, im Schlosse umher, und sein Stock saust auf die Rücken von Bürger und Edelmann, von Räthen und Officieren nieder, – und, Krone der Ehrlosigkeit, gar Mancher läßt sich die Demüthigung freudig gefallen, denn er weiß, daß der gottselige Markgraf goldene Pflaster auf die Wunden zu legen pflegt, die sein Bambus schlägt. Das Baireuther Officiercorps aber hält im Gasthofe zum „Reichsadler“ eine geheime Berathung, ob derlei markgräfliche Handgreiflichkeiten mit der militärischen Ehre verträglich seien, und vereinbart schließlich eine Bitte an den Oberhofprediger, den Landesherrn zu ermahnen, das soldatische Ehrgefühl mehr zu schonen. Inzwischen ist eine „geheime Landesdeputation“ zur Untersuchung der Schäden eingesetzt und der weiland „Zahnbrecher und Hühneraugenschneider zu Wandsbeck“, derzeit geheimer Berg- und Obermedicinalrath Caspar Heinrich Schröder ihr Mitglied geworden, will sagen ihr Haupt – der Jahrmarktsquacksalber Regent des Landes; so geschehen nicht in einem erdichteten Roman, sondern vor wenig mehr denn hundert Jahren im Herzen des heiligen römischen Reiches deutscher Nation! Der hochgebildete Reichsgraf Philipp von Ellrodt, so lange der factische Herr, der allmächtige Brühl von Brandenburg-Culmbach, ist bei Seite geschoben von einem plumpen, ignoranten Charlatan;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_421.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2018)