Seite:Die Gartenlaube (1872) 487.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

dahin, daß künftig jede allein jährlich 30,000 neue Militärgewehre wird liefern können. – Der Verbrauch an Material entzieht sich aller Controle, da nicht nur jede Fabrik, sondern auch jede der äußerst zahlreichen selbstständigen Werkstätten dasselbe unmittelbar anschafft.

Der Wahrheit ziemlich nahe wird es kommen, wenn man annimmt, daß durchschnittlich 6200 Centner Eisen und Stahl, 4- bis 600 Centner Messing, 200 Centner Blei, 20 bis 30 Centner Schmirgel, 4000 Klaftern Holz (theils gekohlt), 2000 Centner Steinkohlen und circa 30,000 Cubikfuß Schaftholz jährlich zur Rohr- resp. Gewehrfabrikation verbraucht werden. Mit dem hoffentlich bald beginnenden Bau des „Zukunftsgewehres“ wird sich dies Alles gewaltig steigern, denn die Suhler Fabriken haben ihren Jahrhunderte alten guten Ruf so durchaus gewahrt, daß man sie künftig, auch abgesehen von der Eile, die es mit der neuen Bewaffnung haben wird, im eigenen Interesse nicht mehr übergehen kann.

Sobald die definitive Entscheidung für irgend ein System getroffen worden, komme ich wohl noch einmal auf das „deutsche Damaskus“ zurück.




Ein Tag des Kaisers.


„Das Tusculum des Kaisers“ war die Ueberschrift eines früheren Artikels der Gartenlaube, in welchem das Oberhaupt des deutschen Reiches auf seinem Landsitze in seinen Mußestunden dargestellt wurde. Der gegenwärtige Artikel macht es sich zur Aufgabe, die Leser dieses Blattes einen Blick in die Wohnung des Kaisers und in das Geschäftsleben desselben in Berlin thun zu lassen.

Von den Jahren 1834–1836 hat sich der Kaiser, damals Prinz Wilhelm von Preußen, durch Meister Langhans sein eigen Haus an der Ecke des Opernplatzes und der Linden, an der Stelle bauen lassen, wo früher das alte markgräflich Schwedt’sche Palais stand. Der Raum war verhältnißmäßig sehr beschränkt, weniger nach der Tiefe des Bauplatzes hin – denn in dieser Richtung geht das Gebäude bis zur Behrenstraße hindurch – als vielmehr nach der Frontseite, die von der einen Seite durch die königliche Bibliothek, von der andern durch das niederländische Palais begrenzt und beengt wurde. Und doch hat Meister Langhans in diesem Bau ein Musterwerk geliefert, nicht nur in der edlen einfachen Architektur desselben, die in nachfolgender Zeit für eine ganze Reihe von größeren Privatbauten maßgebend wurde, sondern auch in der Ausnützung des ihm zu Gebote stehenden Raumes. Die Front desselben erstreckt sich nach den Linden nur in einer Länge von zweihundertneunzig Fuß, sie hat in der ersten Etage nur eine Reihe von dreizehn Fenstern, nach der Bibliothek zu sogar nur drei Fenster Tiefe, und doch ist in dem Innern desselben so viel Platz, daß die Repräsentationsräume der ersten Etage eine Gesellschaft von wenigstens achthundert Personen aufnehmen können, ohne daß im Mindesten ein Mangel an Raum fühlbar würde. Langhans hat durch die Ueberbauung der Höfe drei großartige Prachträume geschaffen, den sogenannten weißen runden Marmorsaal, die gelbe Galerie und den Adlersaal, von denen kein einziger in der Front liegt, und diese großartigen Räume nebst einem daran stoßenden Wintergarten sind so geschickt untereinander verbunden, daß man eine große Gesellschaft in denselben sich ein- und ausbewegen lassen kann, ohne daß eine Stauung des Verkehrs entstünde. Das königliche Schloß hat weit kolossalere Festräume, aber nicht die Bequemlichkeit in den in der Hofsprache sogenannten Doublesappartements, wie das Palais unter den Linden. Hier hat der Kaiser seit dem Jahr 1836 seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Dazwischen liegt nur eine Unterbrechung in den Jahren 1848 und 1849 nach jenen sturmbewegten Märztagen, in denen das Palais, um es vor der Wuth des Pöbels zu schützen, durch eine Aufschrift mit Kohle als Nationaleigenthum erklärt wurde. Es war dies ein kluges Auskunftsmittel, aber in keiner Weise ein Rechtstitel, der den Prinzen von Preußen nach seiner Rückkehr nach Berlin abgehalten hätte, in sein Haus wieder einzuziehen und dasselbe unter den mannigfachsten politischen Strömungen, unter den durchgreifendsten Veränderungen des inneren und äußeren Staatslebens, in denen auch seine Thronbesteigung mitbegriffen ist, bis zum heutigen Tage zu bewohnen. Zur Unterscheidung von dem großen königlichen Schlosse wird die Wohnung des Königs unter den Linden speciell „Das Palais“ genannt.

Im Schlosse hält sich der Kaiser nur auf, wenn er große Staatsacte vornimmt, wie zum Beispiel die Eröffnung des Reichstages oder der Kammern, oder wenn er größere Gesandtschaften empfängt, wie damals die japanesische, wenn er große Feste giebt, oder fremde hohe Gäste bei sich beherbergt. Die einzigen Gäste, die im Palais Aufnahme finden, sind die Tochter des Hauses, die Großherzogin von Baden, und der Bruder der Kaiserin, der Großherzog von Sachsen. Einen ständigen Aufenthalt hat der Kaiser auch selbst in seinem Lieblingsschlosse, dem Schlosse von Babelsberg, nicht. Er geht dahin, wie ein Privatmann in sein Gartenhaus vor’s Thor geht, er schläft eine, zwei, drei Nächte dort, aber immer wieder kehrt er nach Berlin in das Palais zurück, in welchem all die vielfachen Fäden der obersten Staatsleitung zusammenlaufen.

Der Tag des Kaisers beginnt des Winters wie des Sommers zwischen sechs und sieben Uhr. Sowie sich der Monarch von seinem Lager erhebt, ist er auch sogleich für das Staats- und Geschäftsleben fertig. Er kennt nicht jenen Vielen so angenehmen Uebergangspunkt der Pantoffeln und des Schlafrocks, er hat derartige Kleidungsstücke nie besessen; gleich gestiefelt und gespornt und mit dem Militärüberrock angethan, tritt er in den Tag hinein und begiebt sich durch die Bibliothek in das derselben zunächst gelegene Gemach, in sein Arbeitszimmer. Dasselbe bildet die Ecke zwischen dem Opernplatz und den Linden, zwei Fenster gehen nach dem ersteren, nach der von wildem Wein bewachsenen Veranda hinaus, eines nach den Linden, und durch dasselbe fällt der Blick unmittelbar auf das Denkmal Friedrich’s des Großen. Der erste Gang des Kaisers hat in der Regel ein kleines Pult zum Ziel, welches an dem ersten Fenster der Veranda steht; in dasselbe ist ein sogenannter Tageskalender eingezogen, er enthält unter der betreffenden Tageszahl einen Rückblick auf die Tage gleichen Datums aus den verschiedenen Lebensperioden des Kaisers, auf die irgend ein für ihn bemerkenswerthes Factum fiel; jeder Tag hat seinen religiösen oder poetischen Spruch, und das Ganze ist eine Arbeit des gleichsam vortragenden literarischen Rathes des Kaisers, des Geheimen Hofraths Schneider. Der nächste Gang des Kaisers pflegt nach dem ersten Fenster des an das Schreibzimmer anstoßenden Audienzgemaches zu sein. Dort hängt der Barometer, der namentlich im Frühjahr bei den Truppenbesichtigungen ein Factor von unbestrittenem Einflusse ist.

An dem linken Fenster des Eckzimmers steht ein Schreibtisch von polirtem Mahagoniholz mit einem Geländer, nicht sehr groß; die Platte desselben, mit Ausnahme eines kleinen, zum Schreiben bestimmten Raumes ist mit Paketen zusammengebundener Briefe, mit Schreibmaterialien jeder Art, mit kleinen Gegenständen bedeckt, an deren sorgfältiger Aufbewahrung man erkennen kann, daß sie für den Besitzer werth- und bedeutungsvoll sind; da ist unter Anderm, um nur Einiges zu erwähnen, ein kleines Portefeuille in bunter Seide auf weißem Grunde gestickt, dessen Farbe nun auch schon verblichen; über und neben dem einfachen Porcellanschreibzeuge sind die Miniaturbilder der Kaiserin Augusta aus der Zeit ihrer Verheirathung, ferner der Schwester des Kaisers, der Kaiserin Charlotte von Rußland, dann die Photographien seiner Kinder, Schwieger- und Enkelkinder, diese aber nur in ganz einfachen photographischen Visitenkarten, aufgestellt. Wenn der Kaiser seinen Blick höher hebt, dann fällt derselbe auf die weißen, lorbeerbekränzten Marmorstatuetten seines Vaters Friedrich Wilhelm des Dritten und seines gewaltigen Ahnen Friedrich des Großen, von dem in der Familie nur als von dem großen Könige gesprochen wird. In dieser stillen und dem Kaiser so lieben Gesellschaft nimmt er seinen Morgenkaffee ein; dann geht er an die Lectüre der Zeitungen, von denen ihm der „Reichs- und Staatsanzeiger“, die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ und die „Spener’sche“ gebracht werden. Die ersten beiden sieht er durch, die „Spener’sche“ liest er. Was ihm aus in- und ausländischen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_487.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)