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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

zu sagen sündhafte. Ich schalt Dich damals oft, daß Du nicht in unser Corps treten wolltest, wenn Du auch je zuweilen mit uns zu kneip– Dich mit uns zu erlustigen nicht verschmähtest; jetzt beneide ich Dich, daß Du so früh die Kraft der Entsagung gehabt hast, an der es mir gebrach.“

„Dafür ist denn nun aus dem Saulus ein Paulus geworden,“ erwiderte Gotthold lächelnd, „während mein Tag von Damaskus noch immer auf sich warten läßt.“

„Ja, ja,“ sagte der Pastor. „Wer hätte das denken können! Der Fleißigste von uns Allen schon auf der Schule, der Fleißigste auf der Universität; von den Lehrern, von den Professoren stets als Muster aufgestellt; bereits im vierten Semester uns alte Häupter zum Examen einpauk– zum Examen vorbereitend; selbst seine Examina mit Glanz absolvirend, und Alles das –“

„Um Hekuba! Nein, lieber Semmel, meine Kunst sollst Du mir nicht schelten, wenn ich selbst auch, was ich gern zugebe, bis heute nur ein schlechter Künstler bin. Aber ich kann Dich versichern: ein theologisches Examen ist leichter zu machen, als ein gutes Bild – ich spreche aus eigner Erfahrung; und dann, wäre ich Theolog geblieben, wer weiß, ob nicht, anstatt Deiner, der Sohn in seines Vaters Stelle gekommen wäre. Das ist doch auch zu bedenken.“

„Es würde eine furchtbare Concurrenz gewesen sein,“ sagte Herr Semmel, „trotzdem allerdings auf der andern Seite der Prophet in seinem Vaterlande weniger gilt, und ich, offen gestanden, als ich hier candidirte – ich war, nachdem ich Halle verlassen, erst vier Jahre in Hinterpommern beim Grafen Zerneckow Hauslehrer gewesen, und hernach hier in Neuenkirchen Substitut meines Alten, der sehr klapperig geworden war, so daß ich ganz bestimmt glaubte – aber er hat sich wieder ganz herausgerappelt, und da kam es mir denn ganz gelegen – was wollte ich doch sagen? ja – als ich mich vor vier Wochen um die Stelle bewarb, und es gut zu machen glaubte, wenn ich mich als einen intimen Schul- und Universitäts-Freund des Sohnes meines Vorgängers präsentirte, habe ich nicht überall mit dieser Empfehlung reussirt. So beim Herrn Otto von Plüppen auf Plüppenhof –“

Gotthold mußte lächeln. „Das glaube ich,“ sagte er, „ich habe ihm, als wir auf dem Pädagogium in P. waren, oft genug seinen dummen Kopf gewaschen.“

„Du weißt, ich war bereits in Prima, als Ihr noch in Secunda wart,“ fuhr der Pastor im Tone der Entschuldigung fort, „und hatte ganz vergessen, daß Ihr Euch gekannt haben mußtet; aber auch bei einigen Andern, als ich, jetzt natürlich durch meine Plüppen’sche Erfahrung gewitzigt, Deiner vorsichtiger Erwähnung that, stieß ich auf eine gewisse, wie soll ich sagen? Feindseligkeit wäre unchristlich, aber –

„Lassen wir das Thema fallen,“ sagte Gotthold mit einiger Ungeduld.

„Gewiß, gewiß,“ erwiderte der Pastor, „obgleich es Dich freuen wird, zu hören, daß ich gerade diese Gelegenheiten benutzen konnte, um Deiner großmüthigen Schenkung an die Armen unsers Kirchspiels mit derjenigen Dankbarkeit zu erwähnen, welche –“

„Aber wozu das, nachdem ich ausdrücklich gebeten, daß mein Name nicht genannt werden sollte?“

„Weil geschrieben steht: Du sollst das Licht nicht unter den Scheffel stellen; und weil ich nur so im Stande war, den bösen Leumund zum Schweigen zu bringen, der sich an Deine Person geheftet hatte.“

„Bösen Leumund? fragte Gotthold.

„Nun ja, weil man wußte, daß Du bereits vor sieben Jahren durch den Tod Deines Onkels in den Besitz eines großen Vermögens gekommen und trotzdem Dein Vater –“

„Großer Gott, was kann denn ich dafür,“ rief Gotthold, „wenn mein Vater hartnäckig jedes Anerbieten meinerseits – ich bin wirklich nicht im Stande, über diese Angelegenheiten mich weiter auszulassen. Ueberdies, es ist die höchste Zeit, daß ich aufbreche, wenn ich noch bei guter Zeit in P. sein will. Herr Wollnow hat doch Alles, was die Hinterlassenschaft meines Vaters betraf nach Wunsch geregelt? Ich konnte das leider selbst nicht thun, da ich, wie Du von ihm erfahren haben wirst, auf der übereilten Reise erkrankt war, und ein paar Wochen in Mailand liegen bleiben mußte. Aber ich schrieb ihm von dort aus, daß er den Wünschen von meines Vaters Nachfolger in jeder Weise nachkommen möge.“

„Ohne noch zu wissen, wer dieser Nachfolger war!“ rief Herr Semmel, „ja, so seid Ihr Künstler! nun, ich bin nicht unbescheiden gewesen. In der Bibliothek Deines Vaters war in der That manches werthvolle Theologische, das ich gern gehabt hätte, und da Du dem Käufer erlaubt hattest, seinen eigenen Preis zu machen –“

„So sind wir ja im Reinen, lieber Semmel, und nun keinen Schritt weiter.“

„Nur bis zu Deinem Wagen, den ich vorhin an der Schenke angespannt halten sah.“

„Keinen Schritt, wenn ich bitten darf.“

Sie standen an der Kirchhofsthür, die nach der Dorfstraße führte; der Pastor schien Gotthold’s Hand nicht loslassen zu können.

„Und was ich zu Deiner Beruhigung und zur Ehre unserer alten Schulcameraden dem vorherigen Gespräch hinzufügen zu müssen glaube: es haben keineswegs Alle sich solcher Lieblosigkeit – so darf ich es ja wohl, ohne selbst lieblos zu sein, nennen – schuldig gemacht. Es sind auch etliche unter ihnen, die warm zu Deinem Lobe gesprochen haben; Niemand unter ihnen wärmer, als Karl Brandow.“

„Brandow! Karl Brandow!“ rief Gotthold; „das ist freilich –“

„Gewiß nur seine Schuldigkeit, wenn er wieder gut zu machen sucht, was er in jugendlicher Unbesonnenheit an Dir gefrevelt, indem er nun der Wahrheit die Ehre giebt, und vor Allem bekennt, daß der Teufel der Habgier sicherlich der letzte sei, der Gewalt über Dich gewinnen könnte, und daß, wenn Dein Vater so arm gestorben sei, wie er gelebt habe, es ohne Zweifel –“

„Leb’ wohl!“ sagte Gotthold, dem Pastor über die niedrige Thür die Hand reichend.

„Gott segne und behüte Dich!“ sagte der Pastor, „und solltest Du – während Deines hiesigen Aufenthaltes für einen alten Freund noch eine Stunde erübrigen –“

Gotthold sagte nichts weiter. Er hatte dem Pastor die Hand mit einer schier unhöflichen Hast entzogen und schritt jetzt, den Hut tief in das Gesicht ziehend, schnell die Dorfstraße hinab. Herr Semmel blickte ihm nach, und ein höhnisches Lächeln zog über sein aufgedunsenes Gesicht.

„Der Phantast!“ sagte er; „es scheint, daß ihm das heillose Glück, das er gehabt, vollends den Kopf verdreht hat. Aber schadet nichts. Reiche Leute muß man sich warm halten. Karl Brandow ist ein Schlaukopf. Er wird wohl wissen, weshalb er von dem Augenblicke, als er hörte, daß er zurückkommen würde, ein anderes Register aufgezogen, und ihn nicht genug rühmen und preisen kann, auf den er vorher wie ein Rohrsperling geschimpft hat. Vielleicht will er einen Pump riskiren – nun, nöthig hat er es gewiß; Plüppen sagt ja, er pfeife aus dem letzten Loche. Er ist morgen Mittag auch in Plüppenhof, da kann ich mit meiner Neuigkeit Furore machen.“




2.


Die lange Dorfstraße war leer. Kaum, daß hier und da in der Thür eines der niedrigen, strohgedeckten Häuser sich ein altes Mütterchen zeigte, oder ein paar halbnackte Kinder hinter den verwilderten Dornhecken in den schlechtgehaltenen Gärtchen ihr Wesen trieben; sonst war alle Welt draußen auf dem Felde, wo heute die Roggenernte begonnen hatte.

Die Dorfstraße war leer, und die Schwalben hatten freie Bahn. Hinauf, hinab, zogen sie pfeilschnellen Fluges, jetzt am Boden hin, jetzt sich hebend in anmuthigen Bogen, geradeaus, im Zickzack, zirpend, zwitschernd, unermüdlich die langen Schwingen regend.

Gotthold blieb stehen, rückte den Hut, den er vorhin tief hinabgezogen, aus der Stirn und schaute, in Gedanken versunken, den zierlichen Vögeln zu, die er von Kindheit auf immer so geliebt hatte. Und wie er so stand und schaute, wich der zornige Unmuth, welchen das Gespräch mit dem Pastor in seiner Seele wachgerufen, allmählich einer seltsamen Wehmuth.

„Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,“ murmelte er. „Ja, ja, noch klingt es im Dorf wie einst:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_497.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)