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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 33.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Orangenzweig.


Von A. Godin.


In bengalischen Flammen.


Im Sommer 1868 war die Zahl der in Wiesbaden anwesenden Fremden ungewöhnlich groß. Die Stammgäste, deren jeder Badeort ein kleines Contingent besitzt, stellten heitere Vergleiche zwischen dieser Saison und den beiden vorhergegangenen an. Allerdings folgte dem Kriegsgrauen von 1866 im nächsten Jahre ein ruhig ungestörter Sommer, dennoch schien ein Nachklang übrig geblieben – die Zugvögel waren nur in Pausen, in vereinzelten Schaaren erschienen und hatten sich nicht so heimisch und freudig dort niedergelassen, wie ehemals – die Leidensgestalten der Hülfesuchenden waren in den Vordergrund getreten.

Im gegenwärtigen Sommer jedoch schien der schöne Badeort in höchster, reichster Blüthe zu stehen und von Tag zu Tage steigerte sich der Zudrang der Curgäste.

Ein warmer Augustabend dämmerte herein. Es hatte den Tag über geregnet, noch hing eine weiche, gewitterschwüle Luft über der träge der Schlummerzeit entgegendunkelnden Welt, doch begannen die Wolken sich jetzt zu theilen, und schon zitterten einzelne Sterne auf den dicht mit Menschen besetzten Curplatz hernieder. In den Sälen, unter der Veranda und am feuchten Ufer des Weihers wogte und drängte sich eine von Minute zu Minute wachsende Menge. Der König war im Laufe des Nachmittags angekommen, um einen oder zwei Tage in Wiesbaden zu verweilen, und wurde jetzt am Curhause erwartet. Die schwarzweiße Fahne flatterte lustig im Abendwinde von der Spitze des reich mit Teppichen, Guirlanden und Draperien geschmückten, erhöhten Musikpavillons, von welchem der Monarch einem für ihn vorbereiteten Feuerwerke zusehen sollte, während die Capelle des garnisonirenden Regimentes ihren Platz auf der Galerie des Curhauses gefunden. Als nun, pünktlich zur angesetzten Stunde, die edle, stattlich schöne Kriegergestalt des hohen Gastes erschien und, von zahlreichem Gefolge umgeben, mit dem bekannten energischen Schritte den Pavillon betrat, schallte ihm die jedem Preußen theure Hymne „Heil Dir im Siegeskranz“ volltönig entgegen.

Zugleich stieg die erste Rakete von der kleinen inmitten des Weihers ruhenden Insel zu den Sternen empor. Im bunten Wiederschein eines dem Signal unmittelbar folgenden Bouquets farbenprächtiger Leuchtkugeln zogen die Schwäne vereinzelt über das Wasser hin. Als sich nun aber zum Lichte der Ton gesellte, Sonnen und Feuerräder zischend und prasselnd aus der Wassertiefe aufzutauchen schienen, erfaßte sie doch ein Grauen; aufschreiend, mit den Flügeln schlagend, schossen, flatterten sie über das Gewässer hin, vereinten sich oder drängten sich dicht am Uferrande eng aneinander. Nur ein erhabener Geist unter ihnen verschmähte Flucht und Gemeinschaft: in majestätischer Ruhe schiffte der schwarze, bei Tag und Nacht freiwilliger Einsamkeit geweihte Schwan inmitten seines Elementes auf und nieder, nur mitunter regte er die dunkeln Flügel, das Wasser leise aufspritzend, und tauchte wie kosend den Purpurschnabel in die glänzende Woge.

Wer könnte ein Feuerwerk schildern? – ebensowenig, wie sich ein lebendiges, in Gedanken blitzendes und in Witzen hin- und hersprühendes Gespräch beschreiben läßt! Die dunkle Nacht mit ihrem zum Theil noch wolkenschweren Himmel bildete gleichsam eine Folie für all die bunten Sterne, Purpurkugeln und goldenen Pfeile, die in hoher Luftregion plötzlich wieder verschwanden, nachdem sie momentan, bald hier, bald dort, in geheimnißvoller Helle irdische Gruppen enthüllt, bald Baum und Strauch, bald ein Menschenantlitz.

Eben war solch flüchtiger Glanz auf ein Angesicht gefallen, das wohl verdiente, von Göttern und Menschen geschaut zu werden. Wenige Schritte vom Uferrande entfernt stand, auf den Arm eines stattlichen Mannes gelehnt, ein junges Mädchen von reizender Schönheit. Ein weiter dunkler Burnus verhüllte die Gestalt und ließ nur erkennen, daß dieselbe mittlere Größe nicht überschritt. Der zierliche Hals leuchtete unverhüllt, denn die spitzenbesetzte Kapuze des Mantels, welche vorher Nacken und Haupt bedeckt haben mochte, war herabgeglitten. Die blonde Lockenfülle des überaus fein geformten Kopfes floß, durch die feuchte Luft halb aufgelöst, schwer auf Brust und Schultern. Was den künstlerisch schönen Zügen eine so entzückende Lieblichkeit verlieh, konnte auf den ersten Blick unentschieden bleiben, schon beim zweiten empfand man jedoch, daß der Zauber vor Allem in den ungewöhnlich langen, leicht gebogenen Wimpern und den köstlich geschweiften Lippen ruhte. Von Zeit zu Zeit hob sie den Kopf, um ihrem Gefährten eine lächelnde Bemerkung zuzuraunen; in dieser Bewegung lag vollendete Anmuth.

Das Feuerwerk hatte seinen Höhepunkt erreicht. Eine von kreisenden Sternen umgebene Sonne entfaltete immer glänzendere Strahlen, und das Musikcorps, welches bisher heitere Tanzweisen gespielt, schmetterte jubelnd das Lied: „Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine Farben?“ Hurrahruf erschallte, Hände schlugen kräftig aneinander, Tücher und Mützen wurden geschwenkt, und Alles wandte die Blicke dem Pavillon zu, wo die königliche Heldengestalt freundlich dankend das Haupt neigte.

Der an die Platane gelehnte Mann, auf dessen Arm das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_531.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)