Seite:Die Gartenlaube (1872) 549.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Finger eben hineinschlüpfen wollten. Ein Schlag auf die seinen, mit demselben Kinderhandschuh gegeben, entsetzte die gleichfalls aufstehende Präsidentin. Ehe dieser verantwortliche Schutzgeist aber noch seine stattliche Fülle um den Tisch bewegt hatte, um vor weiteren Excessen zu warnen, war bereits das Pärchen in den Ballsaal verschwunden.

Tour folgte auf Tour. Von den Divans aus, an den Wänden entlang, sehnten sich die Mütter hoffend und harrend dem letzten Geigenstrich entgegen, der ihnen gestatten würde, dem lange unterdrückten Gähnen volle menschliche Berechtigung zu gönnen. Die Väter waren längst in den Nebenräumen seßhaft geworden. Und doch war das Bild, welches sich den Zuschauern während dieser letzten Feststunde bot, ebenso hübsch, als gestaltenreich! Der herrliche Saal, eines Landes classischer Vorzeit würdig, kam unter den Strahlen von sieben glänzenden Kronleuchtern zur vollen Geltung. Fremdartig schön schimmerten all die Bildwerke von carrarischem Marmor aus ihren Purpurnischen hervor – in ihrer ewigen Ruhe eine seltsame Folie für den in beständig wechselnden Tanzfiguren hin- und wiederwogenden bunten Kreis, der sich unterhalb der schwarzgrauen Marmorsäulen zum Ring geschlossen. Und doch – wer weiß! vielleicht fühlte sich manche dieser modernen, geschmückten lächelnden Gestalten im Innern ebenso leblos wie jene Marmorbilder! Jedenfalls war der Ausdruck im Gesicht Rudolph Eckhardt’s nicht weniger steinern als sie.

Den Rücken gegen eine der Säulen gelehnt, deren Reihen die Länge des Saales durchtheilen, starrte der junge Mann in das wogende Gewühl des Cotillons. Es ist eine seltsame Empfindung, mit einer Angst im Herzen solchem geselligen Treiben zuzuschauen! Das Regen all dieser Gestalten kömmt Einem da so gespensterhaft, so unnatürlich vor – ihr Frohsinn wie gemachte Lüge – ihr Reigen ein Todtentanz. – Nur ein Paar war unter diesen Schemen für Eckhardt lebendig – sehr lebendig! – Eugenie und ihr Partner.

Mit gewandtem, geübtem Blick hatte Triefels den Platz für seine Tänzerin so zu wählen gewußt, daß eine Säule sie von dem nächsten Paare isolirte – die Nachbarsäule jener, an welche Eckhardt sich stützte. Da Eugenie heute, wie immer, jede Extratour ablehnte, gehörte sie ihrem Tänzer ganz, ja ganz! Eckhardt sah Das, fühlte Das – nie hatte er in ihrem Auge dies Leuchten, nie um ihren Mund dies Lächeln geschaut! Und jetzt – hörte er es sogar! Seine überreizten Nerven sogen die gedämpften Töne, welche wenige Schritte vor ihm gewechselt wurden, ein, als wären sie Wohllaut statt Vernichtung; seinen Platz zu verlassen, kam ihm nicht einmal in den Sinn.

Eifersucht! dämonische, elementare Macht, wie die Liebe selbst – ein tiefgründigeres Räthsel der Menschenbrust vielleicht, als jene! Wer hätte je den geheimnißvollen Instinct erklärt, der sich unter hundert Gefahren an die eine klammert und an sie glauben lehrt? Ueberall trägt Bewunderung ein Bedürfniß nach Sympathie, nach getheilter Anschauung in sich, heischt sie sogar gebieterisch für das geliebte Wesen und doch steht plötzlich, einem Einzigen gegenüber, diese gleiche Bewunderung als Raub, als Bestehlung der eigenen Empfindung vor der Seele und regt alle Dämonen auf, die unerkannt im tiefsten Grunde geschlummert.

Oft hatte Rudolph sich gesagt, daß der Tag kommen müsse, wo Eugenie einem Andern gehören würde – und doch brannte jetzt der Schnitt in’s Herz, als sei er nie vorhergesehen. Er konnte verzichten, ja, er vermochte sie sich an der Seite, in den Armen eines Andern zu denken – nur nicht in Dieses – nicht in Dieses Armen!

„Wo sehe ich Sie wieder?“ fragte Triefels mit jenem gedämpften Laut, der harte Stimmen rundet, melodische aber vibriren läßt. „Morgen? Könnte es doch bei der Fontaine sein, an der Stelle, wo ich Sie zum ersten Male sah – auftauchend, verschwindend, wie ein Traum der Nacht. Da schien es mir, als grüßte Undine – Thorheit! ich sah dort eben nur Ihre Locken, nicht Ihre Augen. Und doch bleibt Ihnen Verwandtes mit der süßen Wassernixe, die – eine Seele fordert! Undine, ich biete die meine! – Wo sehe ich Sie wieder?“

Eugenie sah auf, ihre Hand zuckte. „Nirgend,“ sagte sie leise.

Triefels blickte sie mit den bezwingenden Augen voll an:

„Soll das mein Urtheil sein?“

„Es ist unmöglich – unmöglich – mein Vater –“

Eine Flamme lohte in seinem Blick auf: „Dank für dies Wort – es ist ein Wort der Hoffnung! Ich weiß, Ihr Vater haßt uns Preußen, ich weiß, Sie lieben Ihren Vater! Eugenie – wollen Sie mich deshalb nicht wiedersehen?“

Des schönen Mädchens Schläfen erglühten in tiefer Röthe. Sie blieb stumm. Gerade die völlige Regungslosigkeit ihrer Haltung ließ den fliegenden Athem, das leise Zittern der gesenkten Wimpern um so sichtbarer erscheinen.

„Wohlan,“ sagte Triefels mit vibrirender Stimme; „dann gilt es nur Eines: wir sehen uns wieder im Hause Ihres Vaters.“

Ihre abwehrende Bewegung unterbrach ihn nicht, mit leise streifender Berührung machte er ihre erhobene Hand sinken. „Wenn ich sein Haus betrete, so kann es nur geschehen mit offenem Visir. Ich verstehe Sie – ja, Sie haben Recht! Dieser edlen Stirn muß die Berechtigung gewahrt bleiben, sich frei emporzuheben. Gehörte ich Ihnen nicht schon ganz, so würde der hohe Zug von Wahrheit allein mich an Sie fesseln. Gestatten Sie mir, morgen mit der Bitte um Ihre Hand vor Ihren Vater zu treten! Er kann weigern, aber nicht verwerfen – dies Recht steht nur Ihnen zu! Was äußerliche Verhältnisse betrifft, bin ich in der glücklichen Lage, allen Anforderungen entsprechen zu können, und Vorurtheile – lassen sich besiegen! Ich fürchte Nichts – als Sie! Eugenie, erscheine ich Ihnen allzu kühn? Zeit und Verhältnisse lassen sich nicht überall nach alltäglichem Maßstabe handhaben – ich fühle ganz, wie seltsam solch’ frühes Werben Ihnen erscheint, daß Sie vor so plötzlicher Entscheidung zurückbeben! Aber Sie sind ja keine der gedankenlosen Puppen, denen Ungewöhnliches unmöglich erscheint. Denken Sie groß! Bleiben Sie vor sich selbst wahr – wahr auch für mich! Spricht Ihr Herz heute nicht, so habe ich überhaupt Nichts zu hoffen! Jetzt oder nie – Eugenie, darf ich Sie morgen wiedersehen?“

Ein Moment tiefsten Schweigens – dann athmete sie: „Ja!“




Der muntere Kreis, welcher heute im Nassauer Hofe getafelt, hatte sich nach Schluß der Réunion, wie verabredet, im zweiten Restaurationszimmer zusammengefunden. Das Geplauder der jungen Männer wirbelte durcheinander wie Schneegestöber; ein wahres Ballspiel von Neckereien flog hinüber und herüber; die geschaute Damenwelt mußte eine gefährliche Revue passiren, und manche Schöne, die vielleicht jetzt ihrem Kopfkissen anvertraute, was ihr heute zugeflüstert worden, ließ sich nicht träumen, in welcher Weise dieselben Worte und ihre Aufnahme hier wiederholt und mit Randbemerkungen versehen wurden.

Die Tafelrunde war vollzählig, auch Eckhardt fehlte nicht, und nahm mehr, als ihm sonst eigen, Theil am Gespräch. Nur Der, dessen Erscheinen mit lebhaftester Spannung erwartet wurde, nur Triefels hatte sich noch nicht eingefunden. Jetzt trat auch er ein. In seinem Auge schwärmte ein seltsamer Glanz. Die elastisch hinschreitende Gestalt schien den edlen Kopf noch freier und stolzer zu tragen, als sonst. Ihm folgte ein Kellner mit gefülltem Champagnerkorbe. Leuchtend überflog der Blick des Ankömmlings den Kreis.

„Schön, Ihr Herren, daß Alle Wort gehalten! auch ich löse das meine, indem ich, wie Sie sehen, meine Wette verloren gebe. Auf’s Wohl Ihrer eigenen Herzensdamen also!“ Er löste den Pfropfen, dessen Knall vor dem Geschwirr allgemeiner Zurufe kaum gehört wurde.

„Wirklich abgefallen?“ – „Ei, während des Balles sah es danach ja gar nicht aus!“ – „Condolire, condolire!“ – „Na, der Kranz hing auch gar zu hoch!“ – „Trösten Sie sich mit Ihrem vom Satan geholten Doppelgänger; der bekam die Donna Anna auch nicht!“ – „Für diese Wallmoden muß einmal ein Feenprinz aus den Wolken fallen!“- „Sie sollte sich Einen vom Zuckerbäcker verfertigen lassen!“ – „Wie ging es denn aber zu? der stolze Schwan schien ja die Körnchen aus der Hand zu picken!“ – „So lassen wir uns nicht abspeisen – Détails, Détails!“

Triefels ging mit Schlagfertigkeit auf jeden Scherz ein, pikante Erwiderungen flogen nach allen Seiten, während er mit überlegener Gewandtheit jede Frage zu pariren verstand. Die Gefährten fanden ihn glänzender als je. Eine so eingestandene und getragene Niederlage hob ihn noch; Keinem fiel es ein, an

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_549.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)