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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Selbst in diesem Augenblick tiefinnerster Unruhe entzückte Eugeniens Erscheinung Arno Triefels, und doch machte sie ihm heute einen ganz veränderten Eindruck. Das war nicht mehr die in Wolkenduft gehüllte Sylphe von gestern, an der jede Bewegung zu wallen und zu schweben schien, aus deren Blick und Zügen ein märchenhaft süßer Zauber sprach – die hohe Waldfrau der Sage war es, welche verschwindet, wenn man sie zu berühren wagt. Das schimmernde Blond der großgeschwungenen Locken ruhte schwer auf dem veilchenblauen Alpaccakleide, dessen mattglänzende Falten weich herabflossen. Stolze Ruhe sprach aus jeder Linie des mit leichter Röthe angehauchten Gesichtes, nur die langen, gebogenen Wimpern schienen fast unmerklich zu zittern, als sie jetzt das Schweigen brach: „Sie wünschten meinen Vater zu sprechen, Herr Baron?“

„Wie Sie erwarten durften, Fräulein Wallmoden.“ Sein Ton war ein Echo des ihrigen, förmlich und kühl. Beiden zugleich bewölkte sich die Stirn. Nach einem Moment fuhr er fort: „Und es ist – Zufall, was mir das Glück verschafft, Sie, mein Fräulein, statt des Herrn Staatsrathes erscheinen zu sehen?“

Eugenie sah lebhaft auf. „Mein Wunsch, Herr von Triefels; ich war gespannt, vorher von Ihnen zu erfahren, ob der Zweck der mit meinem Vater gewünschten Unterhaltung heute derselbe geblieben, den Sie gestern – angedeutet?“

„Ohne Zweifel, mein Fräulein.“

„Das überrascht mich, Herr Baron. Ich glaubte, Ihre Wette könnte für gewonnen gelten, ohne daß es nöthig erschien, auch noch den letzten Act der Komödie abzuspielen.“

Triefels zuckte nicht mit den Wimpern. Sein Kopf schien stolzer als je auf dem Nacken zu ruhen, als er auf die mit langsamer Deutlichkeit gesprochenen Worte ebenso gemessen erwiderte: „Ihr Empfang, mein gnädiges Fräulein, ließ mir kaum Zweifel darüber, daß Sie von einem Vorgange Kenntniß erhalten, dessen ungünstige Auffassung ich beklagen muß, ohne mir doch dadurch die Aufnahme, welche mir von Ihnen wird, ganz erklären zu können, denn derselbe berührt Sie persönlich keineswegs.“

Eugeniens Augen wurden tief dunkel. „Unerhört!“ flammte tiefste Empörung hervor.

„Und was könnte der tolle Uebermuth einer leichtfertigen Stunde Sie wohl angehen, Eugenie?“ rief er in plötzlich verändertem, leidenschaftlichem Tone. „Was wußte ich von Ihnen, als ich mich in kecker Laune vermaß, das ‚va banque‘ eines flüchtigen Gesellschaftsspieles zu halten! Sind Sie fähig, Alles, was vom ersten Augenblicke unseres Begegnens an zwischen uns vorging, auch nur mit dem Schatten eines Gedankens an jenen Vorgang zu knüpfen, dann, Eugenie, bin ich es, der gekränkt, der bis in’s innerste Leben verwundet vor Ihnen steht!“

Er war aufgesprungen und neigte sich zu dem Mädchen herab, sein bezwingender Feuerblick senkte sich bannend in ihr Auge. Jeder Nerv in ihr erschauerte – ja, das war wieder die glühend hinströmende Lava Alles verzehrender Empfindung, die ihr nicht nur gestern Wahrheit gewesen, die noch heute dem empörten Herzen Wahrheit geblieben! Mit der ganzen Kraft ihres Willens rang sie nach Sündhaftigkeit, denn hoch über dem Strudel, der sie fortzureißen drohte, stand als festes, ewiges Himmelsgewölbe die Ueberzeugung, daß Schwäche hier tödtlich – Nachgeben ein Verzicht auf den eigenen Menschenwerth sei. Sie hatte sich gesammelt.

„Unsere Anschauungen gehen weit auseinander,“ sprach sie fest; „so weit, daß ich darauf verzichte, mich über die meinigen zu äußern. Sie sagten vorhin richtig, Herr von Triefels, daß Sie nichts von mir wußten, als Sie meinen Namen zum Einsatz eines – Gesellschaftsspieles gemacht. Nun, jedes Ihrer Worte beweist, daß Sie auch jetzt nichts von mir wissen, sonst würden Sie es nicht wagen, auf Ansprüche hinzudeuten, die für mich – demüthigend sind!“

Triefels loderte auf: „Sie vergessen, mein Fräulein, daß Der, welcher diese Ansprüche zu erheben wagt, zugleich mit dem Höchsten vor Sie trat, was er selbst zu bieten hat. Sollte der Name, die Ehre, die ganze Zukunft eines Mannes als ein so werthloser Einsatz in Ihren, ja, in seinen eigenen Augen erscheinen, daß hier von Demüthigung die Rede sein kann? Wer Ihnen seine Hand für das Leben anbietet, giebt genügende Bürgschaft für die Wahrheit seiner Empfindung, wenn Sie wirklich solcher Bürgschaft bedürfen sollten.“

Ihr mächtiges Auge ruhte voll auf ihm.

„Momentane Wahrheiten sind mir keine,“ sagte sie ernst, „und an das Leben einer ewigen Wahrheit glaube ich nur da, wo ich zugleich an Achtung vor dem Bewußtsein Anderer glauben kann. Daß Ihr Spiel sich auf mich gerichtet, Herr Baron, geht mich allerdings wenig an, denn dies war Zufall – daß es überhaupt unternommen morden, ist keiner! Und wem solches Spiel möglich gewesen, dem würde sich mein Innerstes für ewig abwenden und fremd bleiben müssen, und wäre er selbst ein mit jedem bisherigen Athemzuge geliebter Bruder.“

„Eugenie,“ rief er stürmisch, „hören Sie Ihr Herz, ehe Sie unwiderruflich mein Urtheil sprechen! Es hat mir gestern freiwillig das verheißende Ja gegeben, und wenn Sie mir allen Glauben verweigern, so glaube ich um so fester an Sie! Ein Mädchen Ihres Charakters verschenkt sich nicht an einen höher schlagenden Puls des Augenblicks – dies Ja, das mich so tief beglückte, das Sie jetzt unerbittlich zurücknehmen, kam aus dem Grunde Ihrer Seele! Im Namen der Wahrheit, die Sie mir als flammendes Schwert entgegenhalten, frage ich Sie: Eugenie, war es nur ein aufflackerndes Irrlicht, das uns Beide mit schnell verlöschendem Scheine getäuscht? Antworten Sie auch hierauf Ja – wenn Sie dürfen!“

Er hatte ihre beiden Hände ergriffen und sah sie an, als vermöchte er in die tiefsten Gründe ihres Innern zu tauchen. Ungestüm entzog sie sich ihm und verhüllte ihre Augen.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Schweizerfahrt.


(Schluß.)


Ueber Lungern, dessen See auf den Aussterbe-Etat gesetzt ist und in fruchtbares Land verwandelt wird, stiegen wir langsam zur Paßhöhe des Brünig empor, die allerdings kaum dreitausend Fuß hoch liegt, aber trotzdem eine herrliche Aussicht bietet. Zu unseren Füßen lag das Thal der Aar mit seinen schimmernden Buchen und silbernen Wasserfällen, hoch überragt von den mächtigen Häuptern des Tschingelhorns, Oltschihorns und Wandelhorns und von den Riesen des Berner Oberlandes mit ihren weißen Schneefeldern und schimmernden Gletschern. Den Berg hinunter flogen wir mit Sturmeseile, daß wir jeden Augenblick befürchteten, in den gähnenden Abgrund geschleudert zu werden. Aber unser Rosselenker, der den Pferden die Zügel schießen ließ und sie noch durch seinen ermunternden Zuruf anspornte, spottete nur über unsere Angst. Es war die köstlichste Fahrt, im offenen Wagen so dahinzufliegen, vorbei an grünen Matten und blumigen Halden, an rauschenden Quellen, an zierlichen Schweizerhäusern, an grüßenden Männern und lächelnden Frauen; dazu der blaue, wolkenlose Himmel, der goldene Sonnenschein und die berauschende Alpenluft. Das Ganze glich dem Traum eines Glücklichen, der nur zu schnell vorüberflieht.

Da es gerade ein Feiertag war, so fanden wir Brienz im Sonntagsstaat. Frauen und Mädchen promenirten in ihrer kleidsamen Tracht zwischen den malerischen Holzbauten oder saßen am Wasser und sangen jene schönen Volkslieder, womit sie die Fremden ebenso sehr, wie durch ihre natürliche Anmuth erfreuen. Schnell wurde von uns ein Boot gemiethet, das über den schönen See nach den berühmten Gießbachfällen fuhr. Wir landeten in einer geschützten Bucht, von der ein sorgfältig angelegter Fußweg zwischen prächtigen Waldbäumen allmählich zu dem bekannten „Gießbachhôtel“ emporsteigt, das, mitten in diesem Naturpark gelegen, rings von den schönsten Gartenanlagen umgeben, den Wanderer durch die darin herrschende Eleganz und den gebotenen Comfort in solcher Höhe überrascht. Allerdings sind auch die Preise weniger für den Beutel deutscher Schriftsteller als für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_573.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)