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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wie man ein so edles Thier bei einer so gewöhnlichen Gelegenheit reiten könne. Aber Hinrich Scheel war kein gewöhnlicher Reiter; er achtete auf dem rauhen Boden jeder Bewegung des Thieres so sorgsam, als ob er es in glatter Reitbahn trainirte, nicht die leiseste Unart ließ er ihm durchgehen; und eben hatte es sich eine zu Schulden kommen lassen, für die es abgestraft werden mußte; und das war der Grund, weshalb er ein wenig zurückgeblieben war.

Plötzlich zog Karl Brandow die Zügel an und sagte halb über die Schulter gewandt: „Bist Du wirklich sicher, ihn gesehen zu haben?“

„Ich sagte Ihnen ja, ich bin auf hundert Schritt herangekommen,“ erwiderte Hinrich Scheel mürrisch; „und Zeit genug, ihn mir zu besehen, habe ich auch gehabt; ich glaube, er hat eine Stunde da oben gestanden, als ob er fest gewachsen wäre.“

„Aber weshalb sollte der Schuft von Jochen noch jetzt behaupten, daß er nicht wisse, wo er geblieben ist?“

„Vielleicht weiß er es nicht.“

„Dummes Zeug!“

Sie ritten eine kurze Strecke schweigend neben einander; der Herr düster vor sich hinstarrend, der Knecht von Zeit zu Zeit einen Lauerblick aus den Schielaugen auf den Herrn richtend. Jetzt drängte er sein Pferd noch näher heran und sagte:

„Weshalb soll er es wissen? ich weiß ja auch nicht, warum Sie hinter ihm her sind, wie die Katze hinter der Maus.“

„Pah!“

„Und warum Sie von Plüggenhof so früh zurück sind, und unsere beiden Blässen halb zu Schanden gefahren haben, und mir einen Louisd’or gegeben haben, als ich Ihnen sagte, ich hätte ihn gesehen.“

„Und ich will Dir noch sechs geben, wenn Du mir sagst, wo ich ihn finde,“ rief Karl Brandow sich lebhaft im Sattel wendend.

„Wo Sie ihn finden? Nun, das ist doch einfach genug: bei dem da im Strandhause!“

„Wo ich ihn nicht aufsuchen kann.“

„Ohne daß Ihnen der Alte eine Kugel durch den Leib jagt. Sechs Louisd’or! Wissen Sie was, Herr, ich vermeine, ich könnte lange auf die sechs warten. Aber ich will Ihnen ohne das Geld sagen, wo Sie ihn finden, wenn ich den Brownlock da über das Moor reiten darf.“

„Bist Du verrückt?“

„Ich komme schneller hinüber, als Sie über den Berg. Soll’s gelten?“

Vor ihnen hob sich der Weg ziemlich steil über einen Hügel, der, als ein Ausläufer der links liegenden Schanzenberge, sich weit in die Haide hineinstreckte. Rechts vom Hügel zog sich ein breites Moor quer über die Haide bis an den Wald, wo es dann in dem Bach, dessen Lauf Gotthold heute Mittag gefolgt war, einen Ausfluß zum Meere hatte. Die Spitze des Hügels war ohne Zweifel vor Zeiten einmal in das Moor gesunken, denn die langgestreckte Erdwelle brach gegen dasselbe in einer Wand ab, die im Moment des Einsinkens steil genug gewesen sein mochte, von der aber die hügelabwärts sickernden Wasser im Laufe der Jahre so viel heruntergewaschen hatten, daß eine unregelmäßige Böschung entstanden war, und der alte ausgefahren Weg oben hart am Rande hinlief, während weiter hügelaufwärts große Steine die Passage mindestens für Fuhrwerk unthunlich machten, wenn auch Reiter und Fußgänger sich schon durchwinden mochten. Ganz so schlimm war die Sache wohl nicht gewesen, als Bogislaf und Adolf Wenhof ihre Wagen hier im Galopp vorüberlenken mußten, denn jetzt konnte kein Mensch, der bei Sinnen war, die Stelle zu Wagen anders als im Schritt passiren; und auch so noch hatte Jochen Prebrow vollkommen Recht, daß es ihm – und freilich jedem Andern – ein Leichtes gewesen sein würde, Curt’s wahnsinnigen Auftrag auszuführen, und das junge Paar am Hochzeitstage vom Wege die Böschung hinunter in das Moor zu stürzen.

Die Reiter hatten ihre Pferde angehalten; Karl Brandow ließ seinen Blick den Hügel hinauf und über das Moor schweifen.

„Du bist verrückt,“ sagte er noch einmal.

„Verrückt oder nicht,“ rief Hinrich Scheel ungeduldig, „aber es muß sein. Ich war heute Morgen nach Salchow hinüber, um den Mister Thomson ein wenig auszuhorchen. Der Kerl weiß immer Alles, und er sagt, sie hätten eigens um des Brownlock willen für das Herrenreiten ein Stück Sumpfland eingelegt, weil sie glauben, der Brownlock ist zu schwer und Sie müssen dann in einem weiten Bogen herumreiten. Na, Herr, wenn Sie der Bessy den Sieg so leicht machen, dem Grafen Grieben und den anderen Herren wird’s schon recht sein; und mir kann’s ja auch recht sein.“

„Dir wär’s so wenig recht, wie mir,“ sagte Brandow; und dann murmelte er durch die Zähne: „es ist ja eigentlich jetzt Alles gleich.“

„Soll ich?“ sagte Hinrich Scheel, der die Unentschlossenheit seines Herrn wohl bemerkte.

„Meinetwegen.“

Ueber Hinrich Scheel’s häßliches Gesicht zuckte ein Freudenstrahl. Er warf den Brownlock, der längst ungeduldig in das Gebiß knirschte, herum und galoppirte links ab hundert Schritt am Rande des Moors hin, hielt dann still, und rief zu seinem Herrn:

„Fertig?“

„Ja!“

„Ab!“

Der Brownlock sprang mit einem mächtigen Satz an und flog dann über den sumpfigen Grund. Wieder und wieder schlugen die leichten Hufe durch die dünne Grasnarbe, daß das Wasser hell aufspritzte, aber das rasende Tempo verminderte sich nicht, schien im Gegentheil schneller und schneller zu werden, als wüßte das edle Thier, daß der bodenlose Abgrund unter ihm gähnte, und daß es um sein und seines waghalsigen Reiters Leben lief. Und jetzt wurde der schwankende Boden sichtlich fester. Das kaum für möglich Gehaltene war gelungen, Brownlock hatte das Moor passirt, und würde jedes andere passiren.

„Es ist kein Zweifel mehr,“ murmelte Brandow; „ich kann jede Wette annehmen, jede; und nun doch noch dem Plüggen das Thier lassen sollen! für die lumpigen fünftausend Thaler; daß ich ein Narr wäre! Es war auch wohl sein Ernst nicht! aber das Geld muß herbei, und sollte ich es stehlen, und sollte ich deshalb einen Mord begehen. Holla!“

Er hatte kein Auge von dem Brownlock verwandt, während er im Galopp über den Hügel ritt, des Weges nicht achtend, bis sein Fuchs, gewohnt, nur im Schritt diese Stelle zu passiren, jetzt plötzlich von dem Rande zurückprallte, daß Kies und Mergel die Böschung hinabkollerten.

„Holla!“ rief Brandow noch einmal, indem er das erschrockene Thier zusammennahm, „da hätte ich bald einen Mord an mir selbst begangen.“

Er ritt vorsichtiger auf der andern Seite des Hügels hinab und sprengte dann auf Hinrich zu, der, am Rande des Moores auf und ab galoppirend, den schnaubenden Renner zu beruhigen suchte.

„Was sagen Sie, Herr?“

„Daß Du ein Capitalkerl bist; und nun, da Du Deinen Willen gehabt hast: wo meinst Du, daß ich ihn finde?“

„Auf dem Hünengrabe,“ sagte Hinrich; „ich bin, als er weg war, oben gewesen, und habe da so ein Ding gefunden, wie einen Kasten. Es steckte ein Schlüsselchen d’ran; es waren seine Malergeschichten, wie ich wohl sah. Der Kasten war sorgfältig in den Schatten gestellt; aber um sechs Uhr ist die Sonne da, wo heute Mittag der Schatten war, und ich sollte meinen, er ist um die Zeit auf demselben Platz.“

„Und warum hast Du mir das nicht gleich gesagt?“

„Seien Sie doch zufrieden, daß ich es Ihnen nicht gesagt habe,“ erwiderte Hinrich, den Brownlock zärtlich auf den schlanken Hals klatschend. „Sie wüßten jetzt noch nicht, daß Sie, ich weiß nicht wie viel tausend Thaler reicher sind, als Sie geglaubt haben.“

„Es ist sechs,“ sagte Brandow, auf seine Uhr sehend

„Dann reiten Sie hin und holen Sie sich ihn. Ich muß den Brownlock nach Hause bringen. Soll ich der Frau sagen, daß wir heute Abend noch Besuch bekommen?“

„Vorläufig weiß ich das selber noch nicht.“

„Sie würde sich gewiß so freuen.“

„Mach’, daß Du nach Hause kommst, und halte Dein Maul.“

Ueber Hinrich’s groteskes Gesicht zog ein widerliches Grinsen, er warf einen stechenden Blick auf den Herrn, erwiderte aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_582.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)