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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Aus dem menschlichen Seh- und Hör-Instrumente.


Was immer im Weltall existirt, Alles befindet sich in steter Bewegung, selbst Das, was starr und ganz unbeweglich zu sein scheint. Auch im festesten Stahl und im härtesten Diamant finden fortwährend zitternde Bewegungen statt. Es ist überall, im Großen wie im Kleinen, Bewegung; kein Stoff kennt den Zustand der Ruhe. All unser Wirken und Schaffen im Leben beruht auf dem Hervorrufen von Bewegungen, ja unser Leben selbst, sogar unser Denken, Fühlen und Wollen ist nur Bewegung und die Folge von Bewegungen. Ein Stillstand, welcher Art er auch sein möge, kommt in der Natur nicht vor.

Nur Bewegungen größerer Massen, ebenso auf unserer kleinen Erde, wie im unbegrenzten Weltenraume, sind für uns wahrnehmbar. Man pflegt diese als „mechanische, Massen- oder Molarbewegungen“ zu bezeichnen. Dagegen sind die Bewegungen der kleinsten und letzten Körpertheilchen, welche für sich existiren und Molecüle und Atome genannt werden, für uns unsichtbar. Man nennt sie „Molecularbewegungen“ und denkt sich dieselben als aus hin- und hergehenden Schwingungs- oder Wellenbewegungen bestehend. Kein Körper ist ohne alle Molecularbewegung. Sie ist es, welche die Verschiedenheit der Körper hinsichtlich ihres festen, flüssigen und luftförmigen (sogen. Aggregat-) Zustandes (die Cohäsion) bedingt; sie ist der Grund für die Erscheinungen des Lebens, des Lichtes, der Farbe, der Wärme, der Elektricität, des Magnetismus, der chemischen Verwandtschaft, des Schalles.

Massen- und Molecularbewegungen können sich gegenseitig (und zwar nach bestimmten Mengenverhältnissen) ineinander umsetzen, die eine kann in die andere verwandelt werden, die eine kann die andere hervorrufen und dabei scheinbar verschwinden. So kann z. B. Wärme (die Bewegung der Atome und ihrer Aetherhüllen) in Bewegung einer größeren Masse (mechanische Bewegung) umgewandelt werden (beim Arbeiten von Dampfmaschinen), und umgekehrt entwickelt das Arbeiten von Maschinen wieder Wärme. Was aber ineinander übergeht und sich ersetzt, das muß gleichartig sein. Die Wärme kann also nichts Anderes sein als eine Art von Bewegung, sie ist Molecularbewegung. Ebenso können die verschiedenen Molecularbewegungen ebenfalls ineinander übergeführt werden, z. B. Wärme in Licht und Elektricität, letztere in Licht, Schall in Wärme etc. Berühren sich zwei Körper oder stehen sie durch einen dritten (die Luft, den Aether) miteinander in Verbindung, so können die Molecularbewegungen des einen sich den Molecülen des andern mittheilen oder die Bewegungen dieser Molecüle verändern. In dieser Weise denkt man sich die Einwirkung jeder Kraft, und Kraft wäre sonach die Ursache einer Bewegung oder Veränderung, die Fähigkeit eines Körpers, auf einen andern bewegend oder verändernd einzuwirken.

Auf der Umwandlung der verschiedenen Molecularbewegungen ineinander, sowie auf der Umsetzung der Molecularbewegung in Massenbewegung und umgekehrt, beruht das Princip von der Erhaltung der Kraft, vermöge dessen keine Bewegung und kein Kraftaufwand in der Welt verloren geht. Von allen Kräften, welche wir in der Natur thätig sehen, wie von der Wärme, dem Lichte, der Elektricität, mechanischen Bewegung etc., geht nichts verloren. Ueberall, wo wir scheinbar eine Kraft verschwinden sehen, verwandelt sie sich nur in eine neue Kräfteform, die aber der scheinbar verloren gegangenen Kraft ganz gleichwerthig ist, und wir können keine Bewegung herstellen, der nicht ein gleichzeitiges Erlöschen einer andern Bewegung entspricht. In allen Fällen, wo Kräfte in die Erscheinung treten, läßt sich nachweisen, aus welchen anderen Kräften oder Kraftwirkungen dieselben herstammen. Dieses Gesetz von der Erhaltung der Kraft bildet mit dem Gesetze von der Erhaltung des Stoffes, nach welchem aller Stoff, der im Weltall vorhanden ist, weder einer Vermehrung noch einer Verminderung unterliegt, es bildet ein allgemeines Naturgesetz, welches das Wirken sämmtlicher Naturkräfte in ihren gegenseitigen Beziehungen zueinander beherrscht. Ebenso wie die Materie unzerstörbar ist, ebenso ist auch die derselben zukommende Kraft unvernichtbar. Ebenso wie wir keinen Stoff erschaffen und keine vorhandene Materie vertilgen können, ebensowenig kann eine Kraft neu erschaffen werden und eine vorhandene verloren gehen; Kraft und Stoff bleiben unvertilgbar, wenn es auch oft den Anschein hat, als ob sie neu entständen oder untergingen. Keine Bewegung in der Natur geht aus Nichts hervor oder in Nichts über, und jeder scheinbar neuentstandene Stoff ist hervorgegangen aus schon vorhandenen. Jede Bewegung und jede Materie verdankt ihr Dasein einem unermeßlichen, ewig gleichen Kraft- und Stoffvorrath und giebt das diesem Entliehene früher oder später auf irgend eine Weise an die Gesammtheit zurück.

Auch im menschlichen Körper gehen alle Bewegungserscheinungen und Kraftleistungen nach dem genannten Gesetze der Erhaltung der Kraft vor sich, und die auf unsern Körper von außen einwirkenden Bewegungen (Kräfte) erfahren in ihm nur eine Verwandelung, nehmen eine veränderte Form an. – Wir beabsichtigen hier nur ganz in Kürze den Gang von Molecularbewegungen anzugeben, welche die Licht und Schall bedingenden Wellenbewegungen des Aethers und tönender Körper (besonders der Luft) innerhalb unseres Seh- und Hörapparats hervorrufen und schließlich im Bewußtseinsorgan (Gehirn) durch Molecularbewegung Licht- und Gehörsempfindung veranlassen. – Das Licht besteht, wie bekannt, aus Aetherschwingungen, deren Anzahl in einer Secunde vierhundert bis achthundert Billionen beträgt. Jede dieser verschiedenen Schwingungszahlen bedingt den Eindruck einer bestimmten Farbe; die geringste Schwingungszahl von vierhundert Billionen kommt dem Roth zu, dann folgen Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett, welches letztere aus der größten Zahl von Aetherschwingungen besteht. Dem Lichtstrahl verdanken wir also das Helle wie das Farbige. – Wie das Licht beruht nun auch der Schall auf Schwingungen, aber nicht des Aethers, sondern von Körperstoffen (luftförmiger, flüssiger, fester Körper), und diese Schwingungen betragen an Zahl nur sechszehn bis achtunddreißigtausend in einer Secunde. Der tiefste Ton (c II) hat sechszehn, der höchste Ton (das achtgestrichene d) hat achtunddreißigtausend Schwingungen in der Secunde. Wie beim Lichte Helligkeit und Farbe, so unterscheidet man beim Schalle Ton und Geräusch. Töne beruhen auf periodischen und in Dauer, Weite und Form gleichmäßigen Schwingungen, Geräusche dagegen auf ungleichmäßigen und nicht periodischen Schwingungen. – Für die Wahrnehmung dieser zwei Licht- und zwei Schallarten (Helligkeit und Farbe, Ton und Geräusch) besitzt nun unser Auge und unser Ohr je zwei verschiedene Arten von Apparaten, welche als die (optischen und akustischen) Endorgane des Seh- und Gehörnerven bezeichnet werden. – Im Auge vermitteln die „Stäbchen“ das Wahrnehmen des Hellen, die „Zapfen“ das der Farben. Stäbchen und Zapfen bilden aber eine der zehn Schichten der durchsichtigen Netz- oder Nervenhaut, die eine hautförmige Ausbreitung des Sehnerven darstellt. – Im Ohr scheint die Empfindung der Geräusche von den sogen. „Hörhaaren“ und die der Töne von den „Haarzellen“ vermittelt zu werden. Hörhaare und Haarzellen finden sich, von Hörwasser (mit Gehörsteinchen) umgeben, im innersten Theile des Ohres, in dem vom Vorhofe, den drei Bogengängen und der Schnecke gebildeten Labyrinthe. Die Hörhaare haben ihren Sitz im Vorhofe und in den flaschenförmigen Erweiterungen (Ampullen) der Bogengänge; die Haarzellen gehören zum Corti’schen Organe, welches innerhalb der mittleren Schneckentreppe verborgen liegt.

Sehen und Hören kommt nun aber einzig und allein durch Molecularbewegungen zu Stande, und diese gehen einestheils außerhalb unseres Körpers vor sich und bilden hier die Licht- und Schallwellen, anderntheils finden sie innerhalb unseres Seh- und Gehörorgans statt und tragen sich hier auf eigenthümlich gebaute, leicht in Schwingung zu versetzende Gebilde über, welche den empfindenden Nerven veranlassen, dieselben zum Bewußtseinsorgane (Gehirn) fortzupflanzen. – Der Gang der Lichtwellen ist folgender: von den von einem leuchtenden Körper nach allen Richtungen hin ausgehenden Lichtstrahlen dringen die auf und durch die durchsichtige Hornhaut des Augapfels fallenden in das Wasser der vordern Augenkammer, gelangen durch die Pupille (eine runde Oeffnung in der Regenbogenhaut) in die Linse und treten aus dieser in den von der Netzhaut umgebenen Glaskörper. Bei dem Durchgange der Lichtstrahlen durch diese durchsichtigen Gebiet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_584.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)