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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Es war eine Grausamkeit der Zeit, daß der Henker persönlich von dem Großvater des Hingerichteten die Kosten der Execution einforderte, und es bedurfte eines Gnadengesuchs der Familie beim Könige, um die Leiche in der Gruft auf dem Familiengute Wust beisetzen zu dürfen. Da ist sie noch zu sehen, und auch das Schwert, welches das Haupt des Jünglings vom Rumpfe trennte, wird in der Katte’schen Familie aufbewahrt.

Das freundlichste Andenken, das er hinterließ, ist sein Bild, und so sende ich es hin, die Theilnahme für den in der Blüthe der Jahre Hingeopferten in vielen Herzen wachzurufen.




Aba Kaissi, der abessinische Räuberfürst.


Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.


Stellt man sich einen mittelalterlichen Raubritter in vergrößertem Maßstabe vor, so bekommt man einen annähernden Begriff von dem, was ich einen „Räuberfürsten“ nenne. Sich selbst wird freilich Keiner so nennen. Das gewöhnliche Wort dafür ist in Abessinien „Rebell“, worunter man hier nicht etwa einen kleinen Verschwörer (solche sind fast alle Abessinier, selbst die anscheinend friedlichsten Unterthanen), sondern einen großen Rebellenführer zu verstehen hat.

Das Rebellenthum ist bei den wechselvollen und anarchischen Zuständen von Habesch ein so eingewurzeltes Uebel geworden, daß man es beinahe als eine dem Lande eigene Institution ansehen kann. Gewöhnlich ist ein solcher Rebell ein Dedschas, ein Titel, der traditionell mit „General“ übersetzt wird. Er hat immer ein kleines stehendes Heer unter seinem Befehl und meist auch eine Provinz unter seiner unmittelbaren Verwaltung. Diese beiden Factoren nun liefern ihm die Mittel, sich, sowie er eine günstige Gelegenheit hierzu erspäht, gegen seinen Lehnsherrn aufzulehnen und sich nicht selten zu behaupten. Eine solche Gelegenheit bricht er sehr oft vom Zaun. Ist der Fürst schwach oder augenblicklich in Verlegenheit, im Nu wachsen die Rebellen wie Pilze aus der Erde. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, so sind die Dedschasse dennoch oft tollkühn genug, sich gegen ihn aufzulehnen, wenn sie einen Grund zur Unzufriedenheit zu haben glauben.

Das Rebellenthum liegt gleichsam in der Luft. Die Verlockung dazu ist auch zu groß. Wenn man bedenkt, daß in Abessinien in den letzten hundert Jahren kein legitimer Herrscher mehr regierte, sondern daß alle Fürsten nichts Anderes waren, als glückliche Rebellen, so begreift man, daß ein ehrgeiziger und unternehmender Heerführer sich die Frage stellen muß: warum soll nicht auch ich mein Glück durch Rebellion machen und mich zum Herrscher aufschwingen? Auch der oft genannte Kaiser Theodor war ein Rebell. Alle, die sich jetzt in die Herrschaft von Habesch theilen, sind nichts anderes, mit einziger Ausnahme Menelek’s, des Fürsten von Schoa, dessen Vorfahren schon jene Provinz beherrschten. Indeß dem Fürsten legt man nicht mehr den Namen „Rebell“ bei, sondern nur denen, die es werden wollen.

Jeden Rebellen können wir aber nicht einen „Räuber“ nennen, da man für Denjenigen, welcher Länder raubt, diesen Ausdruck mit dem Titel „Eroberer“ vertauscht hat. Freilich rauben alle Rebellen bei Gelegenheit auch Privatgut, aber der Raub ist doch nicht ihr Hauptgeschäft. Wohl aber giebt es in dem gesegneten Habesch auch solche Guerillaführer, deren vorzüglichster Zweck Rauben und Plündern ist; vielleicht nur einstweilen.

Unter diesen zeichnet sich zur Zeit ein Mann aus, den wir das Ideal eines tollkühnen Raubrebellen nennen können. Dieser Mann ist Aba Kaissi, manchmal auch „Aba Käse“ gesprochen, was aber keineswegs nach dem „Livre des sauvages“ mit „Père du fromage“ zu übersetzen ist, wie ein Franzose gethan haben soll, denn so weit im Deutschen, wie die Indianer Nordamerikas, haben es die Abessinier denn doch noch nicht gebracht. Dieser Aba Kaissi ist für uns Deutsche jedoch aus anderem Grunde interessant. Er hat nämlich die Tochter des berühmten Naturforschers Schimper aus Mannheim, dieses Nestors aller Reisenden in Abessinien, zur Frau. Sie ist übrigens Deutsche nur der väterlichen Abstammung nach, Abessinierin dagegen von mütterlicher Seite, durch Geburt und durch Erziehung. Aba Kaissi soll nicht um die Zustimmung des Vaters gefragt haben, ob dieser ihm seine Tochter geben wolle. Ja, wie man mir sagte, hatte die Tochter gleichfalls ihre Zustimmung nicht ertheilt. Ein Abessinier erzählte mir die Geschichte dieser Brautschaft. Ich will sie hier des Scherzes halber wiederholen, obgleich ich gestehen muß, daß ich keinen felsenfesten Glauben daran habe. Sie mag übrigens als Beispiel dessen dienen, was man in Abessinien für möglich hält.

Dr. Schimper war, so viel ich gehört habe, der Erste, welcher die Kartoffelpflanze in Abessinien einführte. Er schenkte den Bauern Kartoffeln, welche diese anpflanzten und die bei dem fruchtbaren Boden des Landes vortreffliche Ernten zur Folge hatten. Aus Dank brachte ihm nun jährlich jeder dieser Bauern einen Sack voll selbstgezogener Kartoffeln. Der Sohn eines solchen Bauern soll (immer noch nach derselben, keineswegs von mir verbürgten Erzählung) Aba Kaissi gewesen sein. Eines Tags mußte auch er einen Sack voll Kartoffeln in das Haus des Naturforschers tragen. Beim Ausleeren war ihm ein junges Mädchen behülflich, deren Schönheit einen tiefen Eindruck auf ihn machte. Sie war zwar ziemlich dunkelhäutig, hatte aber glattes Haar von einer Länge und Pracht, wie es bei den krausrolligen, meist kurzhaarigen Abessinierinnen nie vorkommt, dazu regelmäßigere Züge und vollere Formen, als die schmächtigen Töchter des Landes, und dennoch entbehrte sie jenes reizenden, halb schmachtenden, halb schwermüthigen Gesichtsausdrucks nicht, der die Frauen von Habesch so unwiderstehlich und sogar für das Herz des Europäers gefährlich machen kann. In der That kommt es vor, daß solche Mischlinge europäischen und einheimischen Blutes nur das Schöne beider Racen zur Schau tragen. Das Gegentheil ist zwar auch manchmal der Fall, und ich kenne mehrere Beispiele davon; hier aber war dem nicht so. Aba Kaissi wurde auf einmal sterblich verliebt. Da er jedoch kein träumender Schwärmer, sondern ein Mann der That war, so hatte er bald den Entschluß gefaßt, sich seiner Geliebten mit Gewalt zu bemächtigen. Der Kartoffelsack gab hierzu das geeignetste Mittel. Er bat das Mädchen, einige Kartoffeln aus der Tiefe des bereits fast ganz geleerten Sackes herauszunehmen, und hielt ihr diesen zu dem Zwecke so hin, daß sie unwillkürlich den Oberkörper ganz in denselben versenkte. Nun streifte er den Sack über den ganzen übrigen Körper, schnürte denselben zu und trug die so geraubte Geliebte in demselben von dannen. Das verblüffte Mädchen soll nicht einmal geschrieen haben. Im Hause aber merkte es Niemand, da man nur einen Kartoffelsack hinaustragen gesehen hatte. Lange vermißte man sie, ehe man erfuhr, daß sie die Gattin Aba Kaissi’s geworden sei. Wenn diese Geschichte auch nicht wahr ist, so verdient sie es zu sein. Uebrigens sind, wie Edmond About in seinem „Roi des montagnes“ sagt, nicht immer die wahrsten Geschichten die, welche wirklich passirt sind.

Nach dieser Geschichte wäre also der so romantisch zu einer Frau Gekommene ein Bauer gewesen. Nach Anderen soll er jedoch schon seit frühester Jugend dem Kriegerstande angehört haben. Vielleicht war er Beides zugleich. Jedenfalls verschaffte ihm sein Muth und seine militärische Tüchtigkeit ein Commando, wohl jedoch nur untergeordneten Grades, denn zum Dedschas hat er es nie gebracht. Aber das regelmäßige Soldatenleben konnte seinem auf Abenteuer erpichten Sinne nicht lange zusagen. An Gesinnungsgenossen fehlt es einem Manne, der sich zum „Herrn des Weges“, was wir etwa „Ritter der Landstraße“ nennen würden, aufwerfen will, in Abessinien niemals. So fand er bald ein Häuflein Gleichgesinnter, und mit diesen begab er sich „in die Berge“, wie man in Habesch die Schlupfwinkel der Räuber nennt, selbst wenn sie in der Ebene liegen sollten. Er hatte anfangs erstaunliches Glück. Sein Anhang mehrte sich zusehends, denn alle Vagabunden, alles Räubergesindel gesellte sich zu ihm. Bald stand er an der Spitze einer kleinen Armee, die aus den verwegensten, gefährlichsten Menschen bestand und im Stande war, es mit der eines Provinzialgouverneurs aufzunehmen. Ein solches Unternehmen bot sich ihm denn auch wirklich dar, und Aba Kaissi kam auf diese Weise in den Besitz einer Provinz.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_636.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)