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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

des Laubes vor seinem Fenster und das Klopfen des Regens gegen die Scheiben einen Ton, der ihn jäh sich vom Bette emporrichten und mit angehaltenem Athem in die Nacht hineinhorchen ließ. Es war wie ein Schrei gewesen, eines Weibes Schrei, und konnte nur aus dem Zimmer unter ihm gekommen sein, wo Cäcilie allein mit dem Kinde schlief. Mit einem Sprunge war er am Fenster. Wind und Regen schlugen ihm in’s Gesicht, dennoch durch Wind und Regen hörte er jetzt deutlich Brandow’s Stimme, bald lauter, bald leiser, wie ein Mensch spricht, den die Leidenschaft fortreißt und der sich dann wieder gewaltsam zur Ruhe zwingt. Zwischendurch glaubte er ein paar Mal ihre Stimme zu vernehmen; aber seine bis zum Wahnsinn erhitzte Phantasie füllte auch vielleicht nur die Pausen aus, in denen er die Stimme des Verhaßten nicht hörte. Eine eheliche Scene im Schlafgemach der Gattin, die ihre Thür nicht verschließen kann, nicht verschließen darf; die die wüsten Worte des Wüthenden, Trunkenen anhören muß, ihm nichts entgegenzusetzen hat als Thränen!

„Und es dulden, dulden müssen! Hülflos die Hände ringen müssen! Das ist bitterer als der Tod!“ murmelte Gotthold. „Warum habe ich nicht gesprochen? es könnte jetzt schon Alles entschieden sein! Ist denn schweigen, wo man sprechen müßte, nicht auch Lüge, grauenhafte, scheußliche Lüge? und muß denn hier gelogen sein, von dem Guten, wie von dem Schlechten? Morgen! wäre der Morgen da, wenn es nach solcher Nacht noch einen Morgen giebt!“

Er warf sich stöhnend, schluchzend auf sein Bett, den Kopf in die Kissen begrabend, außer sich, und sprang dann wieder auf. War es nicht ein Schritt, der über den Bodenraum knisterte, vorsichtig langsam? kam man zu ihm? mit der Mordwaffe in der Hand? gleichviel! und Gott sei Dank!

Gotthold sprang nach der Thür, die er aufriß. Alles war still, still und dunkel. Die Treppe von unten führte grade in der Mitte zwischen den beiden Giebeln herauf; der vorsichtige Schritt, den er gehört, war nicht nach seiner Seite, war ohne Zweifel nach der andern gegangen, wo seinem Zimmer gegenüber zwei kleinere Zimmer lagen, von denen das linker Hand leer stand, und das rechter Hand der hübschen Rieke eingeräumt war. Denn aus dem Zimmer rechter Hand durch die Ritze der Thür schimmerte jetzt ein schwacher Lichtschein, der ebenso schnell wieder erlosch, und durch die lautlose Stille kam ein Lachen, das alsbald abbrach, wie wenn sich eine rasche Hand auf den lachenden Mund legte.

Gotthold schloß die Thür; er mochte nichts weiter sehen und hören.




15.


Der dunkeln regnerischen Nacht war ein grauer trüber Morgen gefolgt. Endlose, dann und wann zu finsteren Wolken zusammengeballte Dunstmassen wälzten sich vom Meere her, so tief, daß sie fast die hohen Wipfel der Pappeln streiften, die vor dem rauhen Winde sich jetzt über die verregneten Strohdächer der Scheunen bogen und jetzt trotzig zurückschnellten und dann wieder unmuthig sich schüttelten.

Gotthold stand am Fenster der Wohnstube und blickte düstern Auges auf das düstere Schauspiel. Er hatte erst gegen Morgen, wider Willen fast, eine Stunde geschlafen; aber schwerer als die physische Erschöpfung auf seinem Körper, lastete auf seiner Seele die Sorge des Kommenden. Furchtbar wie die Nacht gewesen, es hatten dann und wann doch Hoffnungssterne auf Augenblicke tröstlich durch die Finsterniß gefunkelt; jetzt wollte ihm bedünken, als sei der trübe Tag nur deshalb angebrochen, ihm zu sagen: dies öde häßliche Treiben ist das Leben, ist die Wirklichkeit; was gehen mich deine Träume an? Er hatte, als er die Treppe hinabkam, mit einem Gefühle des Grauens fast gesehen, wie man in dem großen sonst unbenutzten Saale nach dem Garten die Vorbereitungen zu der Gesellschaft traf, und aus der Küche am Ende des langen Ganges das Klappern der Kessel gehört und das laute Gespräch der Mägde; und eben schob ein Knecht aus der Remise den Wagen heraus, der die Gäste aus Prora holen sollte. Das ging Alles seinen Gang, als sei heute wie gestern und morgen wie heute, als sei nichts geschehen, als könne nichts geschehen, was die alte Welt wieder jung macht wie am ersten Paradiesestage. Und doch, und doch! es war ja kein Traum; es war ja geschehen! es konnte nicht verwehen wie formloser Nebel! es mußte eine Gestalt annehmen, heraustreten aus dem Chaos, vielleicht herausgearbeitet werden in heißem Kampf – gleichviel! nur verloren konnte es nicht sein!

Aber dies öde thatlose Warten war fürchterlich. Sie mußte wissen, daß er hier stand, seit einer halben Stunde schon, ihrer harrend, auf ein Wort aus ihrem Munde, auf einen Blick nur, der ihm sagte: ich gehöre dir, wie du mir; zähle auf mich, wie ich auf dich. Warum kam sie nicht? der Augenblick war günstig, wie er im Laufe des Tages vielleicht nicht wiederkam. Brandow war vorhin über den Hof nach den Ställen gegangen, wie er es jeden Morgen that; das Frühstück stand auf dem Tische; sie waren noch immer um diese Zeit eine halbe Stunde ungestört beisammen gewesen – und heute, heute mußte sie ihn allein lassen!

Eine grenzenlose Ungeduld erfaßte ihn; er schritt in dem Gemache auf und ab; jeden Moment wieder die Blicke nach der Thür wendend, durch die der Andere heute Nacht gekommen und gegangen und die für ihn verschlossen war, gespannten Ohres lauschend, ob er keinen Laut vernehmen würde. Er hörte nichts, nichts als das verschlafene Summen einer Fliege; selbst die Wanduhr in dem hohen alten Holzgehäuse tickte heute nicht, der Zeiger war während der Nacht stehen geblieben.

Er preßte die Hände gegen die pochenden Schläfen; es war ihm, als müsse er wahnsinnig werden, wenn diese Marter nicht bald ein Ende nahm; und dann kam ihm ein Gedanke, entsetzlicher als alle früheren. Hatte sie Furcht vor ihm? Hielt sie die Scham gebannt, Dem vor die Augen zu treten, dessen Herz gestern an ihrem Herzen geschlagen, dessen Kuß sie genommen und erwidert hatte? Nein! nein! und tausendmal nein! Was sie auch fern von ihm hielt, das war es nicht, das nicht! Es war Versündigung an der Stolzen, es zu denken! Sie konnte sterben, aber nicht ehrlos leben. Vielleicht war sie krank, zum Sterben krank, hülflos, allein –

Doch da, das war Gretchens Stimme. „Mama, ich will mit, ich will mit zu Onkel Gotthold, ich will Onkel Gotthold ‚Morgen‘ sagen!“ und dann leise beschwichtigende Töne, und dann öffnete sich die Thür, und sie trat herein.

Gotthold stürzte auf sie zu, aber nur wenige Schritte. Sie hatte beide Hände erhoben in einer Geberde rührendster Bitte, und rührendste Bitte blickte aus den großen thränenumflorten Augen und aus jeder Miene des holden, von tödtlicher Blässe bedeckten Gesichtes. So kam sie auf ihn zu. So blieb sie vor ihm stehen, und dann kam über die zuckenden Lippen kaum hörbar:

„Wirst Du mir verzeihen, Gotthold?“

Er war nicht im Stande, zu antworten; diese Geberde, diese Miene, diese Worte – sie sagten ihm, daß seine bange Sorge zur Wahrheit wurde, daß, so oder so, Alles für ihn verloren sei.

Ein grimmiger Schmerz erfaßte ihn, und dann wallte der Zorn in seinem Herzen auf; er lachte laut.

„Das also ist Dein ganzer Muth!“

Ihre Arme sanken herab, ihre Lider schlossen sich, ein krampfhaftes Zucken flog über ihr Gesicht, sie bebte am ganzen Körper.

„Es ist nicht mein ganzer Muth, Gotthold! Aber ich danke Dir, daß Du so zornig bist; es wäre mir sonst doch wohl unmöglich. Nein, blicke mich so nicht an! nicht so! Lache, wie Du eben lachtest! Was kann ein Mann thun, als lachen, wenn eine Frau, von der er sich geliebt glaubt, kommt und sagt: –“

„Es ist nicht nöthig,“ rief Gotthold, „es bedarf dessen nicht; dergleichen begreift man nicht, aber man versteht es ohne Worte.“

Und er wandte sich zur Thür.

„Gotthold!“

Es lag Verzweiflung in dem Tone; der junge Mann ließ die Hand vom Drücker.

„Cäcilie, kann es denn sein? Ich habe Dich durch meine Heftigkeit erschreckt; es soll nicht wieder geschehen. Sage mir nur das Eine Wort, daß Du mich liebst, so will ich alles Andere tragen, so ist ja alles Andere gleichgültig; es muß und wird sich finden; aber so kannst Du mich nicht fortlassen, so nicht!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_664.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)