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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Er spähte vergeblich in ihrem Gesichte nach einer Bestätigung. Ihre Züge waren wie erstarrt in einem grauenhaften Lächeln.

„Nein,“ sagte sie, „so nicht; nicht, bevor Du mir versprochen hast, daß Du meinen Mann, den ich liebe und ehre, von dem ich mich nicht trennen kann und mag, retten willst –“

Sie sprach die Worte langsam, tonlos, wie ein Auswendiggelerntes und schwieg jetzt, wie eine Schülerin, die ihre Lection vergessen hat.

„Was soll die Komödie?“ sagte Gotthold.

Die Thür zur Schlafstube that sich auf, Gretchen streckte ihren Lockenkopf herein und kam dann auf die Mutter zugesprungen. Cäcilie riß das Kind an sich und fuhr, während fieberhafte Gluth die frühere Blässe verdrängte, hastig fort: „– retten willst vom Bankerott, dem er verfallen ist, wenn Du ihm nicht hilfst. Es handelt sich um – um –“

Sie hatte Gretchen losgelassen und griff mit den Händen nach der Stirn.

„Mama! Mama!“ rief Gretchen und fing laut an zu weinen, als Gotthold die Schwankende nach dem nächsten Stuhl führte.

„Was ist mit meiner Frau?“ fragte Brandow.

Gotthold hatte ihn nicht kommen hören. Bei dem ersten Ton seiner Stimme richtete sich Cäcilie aus seinen Armen auf und stand jetzt zwischen den beiden Männern, ohne Stütze, das Kind an sich drückend, blaß; aber mit dem Ausdruck finsterer Entschlossenheit, und es lag eine sonderbare klanglose Festigkeit im Ton ihrer Stimme, als sie jetzt, die Augen auf ihren Gatten richtend, sagte:

„Er weiß es und wird es thun.“

Und dann zu Gotthold gewandt:

„Nicht wahr, Gotthold, um unserer alten Freundschaft willen wirst Du es thun? Und, lebe wohl, Gotthold; wir werden uns nicht wiedersehen.“

Sie reichte ihm eine eiskalte Hand, nahm Gretchen auf den Arm und verließ das Zimmer, ohne sich umzusehen, während Gretchen über ihre Schulter die Händchen nach Gotthold ausstreckte, rufend: „Bring’ mir heute was Schönes mit, Onkel Gotthold! hörst Du, Onkel Gotthold?“




16.


„Wenn doch die Frauen nicht gleich Alles tragisch nehmen wollten!“ sagte Brandow, „es ist wirklich ein Leidwesen! erst erbietet sie sich selbst, und jetzt – aber Consequenz darf man von den guten Geschöpfen freilich nicht fordern.“

„Und was forderst Du von mir?“ fragte Gotthold.

Er hatte sich an den Tisch gesetzt, während Brandow unruhig auf und ab ging, und sich bald da, bald hier im Zimmer etwas zu schaffen machte.

„Fordern! wie Du nur redest! fordern! wenn ich etwas von Dir zu fordern hätte, ich würde nicht so lange geschwiegen haben; aber ich denke, meine Frau hat Dir Alles gesagt, oder sollte sie –“

„Sie hat Alles gesagt, bis auf die Summe, um die es sich handelt!“

„Bis auf die Summe! prächtig, prächtig! so ganz frauenzimmermäßig! bis auf die Summe! auf solche Nebensachen braucht man freilich kein Gewicht zu legen!“

Und Brandow versuchte ein Lachen, das sehr heiser klang.

„Kurz und gut!“

„Kurz, meinetwegen! und gut! na, ich hoffe, daß Du es gut nimmst! ich brauche fünfundzwanzigtausend Thaler.“

„Zu wann?“

„Das ist eben der Teufel; zehntausend, die ich dem Curatorium für die aufgelaufene Pacht schuldig bin, sind morgen Vormittag an der Klosterhauptcasse in Sundin zu zahlen, nur daß Sellien, wenn er heute kommt, sie gleich mitnehmen wollte; aber natürlich ist das nur eine Gefälligkeit von seiner Seite, und würde eine Coulanz von der meinigen sein – keine Verpflichtung. Die Geschichte hat also bis morgen Zeit. Der Rest – will sagen fünfzehntausend – ist eine Schuld auf Ehrenwort, respective Ehrenschein, die heute Abend bezahlt sein muß, wenn ich meinen Brownlock und meine Weizenernte, die ich als Pfand eingesetzt, nicht verlieren will. Unter uns, man hat es eigentlich nur auf den Brownlock abgesehen; man, das heißt, die beiden Plüggens und Redebas, die mir seiner Zeit das Geld förmlich aufgezwungen und den Termin auf heute angesetzt haben, weil sie wußten, in welcher Klemme ich durch meine Pachtverpflichtungen bin, und hofften, ich würde auf keinen Fall zahlen können, und dann hatten sie den Brownlock! Die Schleicher, die Gauner! den Brownlock, der noch einmal so viel werth ist, als die ganze Mahlzeit, den Brownlock, auf den ich jetzt schon Fünfzehntausend in meinem Wettbuch habe und der mir seine Dreißigtausend einbringen soll, so wahr ich Karl Brandow heiße!“

Er that, als ob er sich in Zorn geredet habe und schlug mit der Reitpeitsche durch die Luft und an die Stulpen seiner Stiefel, während sein Lauerblick unverwandt an Gotthold haftete, der noch immer, die Stirn in die Hand gestützt, regungslos an dem Tische saß.

„Und das Geld sollte ich Dir verschaffen? Wie hast Du Dir das gedacht?“

„Ich dachte etwa so. Meine Frau sagte mir, daß Du uns heute schon verlassen willst; es thut mir natürlich ungeheuer leid; aber Du hast gewiß Deine Gründe, die ich achte, ohne sie zu kennen, und da benutzest Du vielleicht den Wagen, den ich eben, um Selliens zu holen, nach Prora schicke. Ich werde Dir Hinrich Scheel mitgeben, auf den ich mich vollkommen verlassen kann, und Hinrich könnte mir dann die Fünfzehntausend, mit denen ich meine lieben Gäste füttern muß, gleich zurückbringen. Du brauchst das Geld gar nicht zu zählen; Dein ausgezeichneter Wollnow, dieser untadelhafte Manichäer, verzählt sich nicht. Die Zehntausend für Selliens können gleich dort bleiben; er kann sie sich ja morgen mitnehmen, da er doch wieder über Prora muß. Du schreibst mir nur eine Zeile, oder sagst auch nur Hinrich, daß das Geld für ihn bei Wollnow auf meine Anweisung bereit liegt. Er läßt mir dann die Quittung gleich hier, oder giebt sie morgen an Wollnow, wo ich mir sie ja dann gelegentlich holen kann, und die Sache ist in Ordnung.“

„Und wenn Wollnow mir das Geld nicht geben will?“

„Nicht geben will? aber ich denke, Du hast Fünfzigtausend in seinem Geschäft?“

„Keinen Groschen mehr als Zehntausend!“

„Aber Semmel versicherte mich doch –“

„Semmel irrt.“

Brandow war mit erhobener Reitpeitsche stehen geblieben. Sollte der Mensch sich auf’s Handeln legen? elende Zehntausend? und dachte damit durchzukommen?

Ein höhnisches Lächeln flog über sein scharfes, heute ungewöhnlich blasses Gesicht, und die Reitpeitsche sauste durch die Luft.

„Ah bah! so hast Du doch Credit für Fünfzigtausend. Credit ist Geld, das weiß Niemand besser als ich, der ich seit lange schon von Credit lebe. Aber mache, was Du willst! Ich plaidire nicht für mich – ich bin von hartem Holz und werde auch diesen Sturm überstehen. Um die arme Cäcilie thut es mir freilich leid. Sie hat so sicher auf Deine Freundschaft gerechnet; sie hat mir so zugeredet, mich Dir anzuvertrauen –“

Gotthold hatte seine ganze Kraft zusammennehmen müssen, um während dieser abscheulichen Scene an sich zu halten, seinem Gegner nicht zu zeigen, wie furchtbar er litt. Plötzlich flirrte es ihm vor den Augen, es sauste in seinen Ohren, ihm war, als ob er am Boden läge und Brandow, der über ihm stand, holte eben zu einem zweiten Hiebe aus. Und dann raffte er sich mit einer ungeheuren Anstrengung aus der Ohnmacht, die ihn zu befallen drohte, auf und sich erhebend sagte er:

„Es ist gut; Cäcilie soll nicht umsonst auf meine Freundschaft gerechnet haben; sieh’ Du zu, daß Du Dich nicht verrechnet hast.“

Brandow war, von dem geisterhaften Ausdruck in Gotthold’s Gesicht erschrocken, unwillkürlich ein paar Schritte zurückgewichen. Er wollte mit einem Scherz erwidern, daß er sich, wenn es seine Schulden beträfe, nicht zu verrechnen pflege; aber Gotthold schnitt ihm mit einem verächtlichen „Genug!“ die Phrase in der Mitte durch und verließ das Zimmer, seine Sachen zu ordnen.

Eine Viertelstunde später rollte der Wagen, den Hinrich Scheel lenkte, in den Nebelmorgen hinein über die Haide den Weg nach Prora.


(Fortsetzung folgt.)




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