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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Sieh’, sieh’!“ sagte Alma, „wer hätte das Deinem Manne zugetraut!“

„Bitte,“ rief Ottilie, „da verkennst Du doch Emil sehr gründlich; er ist von einer Frische, einer Kraft, einem jugendlichen Feuer –“

„Wie glücklich Du bist!“ sagte Alma mit einem leisen Seufzer.

„Ich hoffe, Du bist es nicht weniger; aber ich wollte ja erklären,[WS 1] weshalb Emil still wird, sobald auf Gotthold die Rede kommt. Also einmal aus dem angeführten Grunde, und dann hat er sich in den Kopf gesetzt: dieser Besuch Gotthold’s bei Brandows müsse für ihn – ich meine für Gotthold – zum Unglück ausschlagen. Du weißt, Gotthold hat Cäcilien geliebt, ja, unter uns, ich bin überzeugt, er liebt sie noch. Aber nun sage selbst: kannst Du darin ein so großes Unglück sehen?“

„Gar nicht; ich finde es nur etwas unwahrscheinlich; Du weißt, ich habe Eure Schwärmerei für Cäcilie niemals theilen können und sehe durchaus nicht ein, weshalb sich alle Männer in sie verlieben sollen. Ihr Mann ist offenbar gar nicht mehr in sie verliebt; wenigstens macht er einer Dame, die ich kenne, so oft er sie trifft, den Hof in einer Weise, die dafür spricht, daß sein Herz nach einer andern Seite nicht gerade übermäßig stark engagirt ist.“

„Wenn er überhaupt eines hätte. Verzeihe, liebe Alma, Du bist eine kluge Frau, und ich bin überzeugt, daß Du Deinen Mann liebst; aber Brandow ist wirklich ein ungewöhnlich gefährlicher Mensch: von der feinsten Tournüre, wenn er will, stets munter, launig, oft witzig, ja gefühlvoll, wenn es sein muß; dabei keck, kühn, ein anerkannter Meister in allen ritterlichen Künsten, und so etwas imponirt uns Frauen immer, mit einem Wort ein gefährlicher Mensch. Lieber Gott, wäre es denn sonst zu verstehen, daß die aristokratische, poetische Cäcilie sich in ihn verliebt hätte! Aber was hilft das Alles ohne wahre Liebe, und einer solchen halte ich Brandow ein für alle Mal nicht fähig. Nun laß in eine derartige Ehe einen Mann eintreten, wie ich Dir Gotthold geschildert habe, der noch dazu eine Jugendleidenschaft für die Frau kaum überwunden hat – wahrhaftig, wenn man so recht darüber nachdenkt, kann man meinem Manne kaum Unrecht geben: Naturen von einer solchen Leidenschaftlichkeit – in der Einsamkeit des Landlebens dazu – es fällt mir wirklich wie Schuppen von den Augen. Und daß Gotthold während dieser ganzen acht Tage nichts von sich hat hören lassen! Stille Wasser sind tief, aber sind nicht vielleicht auch tiefe still? Und ich bin doch eigentlich durch meine unglückselige Bilderwuth die Veranlassung dazu gewesen!“

„Darüber glaube ich Dich beruhigen zu können,“ sagte Alma; „ich habe gefunden, daß die Männer immer einen Grund haben, das zu thun, was sie gern thun möchten; ist es das Eine nicht, ist es das Andere. Und dann kann ich Dir ja heute Abend, spätestens morgen, wenn wir die Nacht in Dollan bleiben, die neuesten und genauesten Nachrichten über alle diese interessanten Verwickelungen bringen. Ich fürchte nur, daß sie weniger interessant sind, als Du Dir einredest.“

„Du Glückliche!“ sagte Ottilie seufzend; „wie gern ginge ich mit. Aber das würde mein Mann nie erlauben.“

„‚Erlauben‘ ist ein Wort, das sich ein Mann gegenüber seiner Frau niemals erlauben sollte,“ sagte Alma, indem sie ihren Trauring an dem schlanken Finger auf- und abgleiten ließ.

Das Gespräch der beiden Damen wurde durch den Assessor Sellien unterbrochen, der mit einiger Hast durch den Salon herbeikam.

„Nun,“ sagte seine Frau, „Du kommst schon zurück? Der Wagen ist da? Ich bin noch gar nicht in der Reisestimmung.“

„Der Wagen ist noch nicht da,“ sagte der Assessor, indem er zwischen den Damen Platz nahm und die Hand seiner Frau, die schlaff über der Sophalehne hing, an seine Lippen führte; „ich komme eigentlich, zu fragen, ob Du nicht lieber hier bleiben willst.“

„Ich hier bleiben?“ sagte Alma, sich schnell aus ihrer Ecke aufrichtend. „Aber was fällt Dir nur ein, Hugo?“

„Du hast Deine Migraine, liebes Kind, und in hohem Grade; ich habe es Dir vorhin schon angesehen.“

„Dann hast Du ganz falsch gesehen, lieber Hugo; ich befinde mich heute Morgen ganz ausnahmsweise wohl.“

„Und das abscheuliche Wetter,“ sagte der Assessor mit einem nachdenklichen Blicke durch die offene Balconthür; „da, es regnet schon wieder; ich begreife nicht, wie die Damen sich so exponiren können.“

Er stand auf und machte die Thür zu.

„Brandow wird doch jedenfalls einen geschlossenen Wagen schicken,“ sagte Alma.

„Um so schlimmer!“ rief der Assessor. „Eine Stunde in einem geschlossenen Wagen, das hältst Du, armes Kind, gar nicht aus. Und dazu die gräulichen Wege – ich kenne das! auf der Dollaner Haide, nachdem es die ganze Nacht geregnet hat! – das ist geradezu lebensgefährlich.“

„Ich werde Dich doch dieser Lebensgefahr nicht allein aussetzen!“ sagte Alma lächelnd.

„Das ist ganz etwas Anderes, liebes Kind! Wir Männer müssen folgen, wohin uns die Pflicht ruft.“

„Und die Aussicht auf ein gutes Diner –“

„Und mit Einem Worte, liebe Alma, Du thätest mir einen Gefallen, wenn Du hier bliebest.“

„Ich habe nicht die mindeste Lust, Dir diesen Gefallen zu thun, lieber Hugo, und nun von was Anderm, wenn ich bitten darf.“ Der Assessor war aufgestanden und hatte einen Gang durch das Zimmer gemacht.

„Nun denn,“ sagte er, stehen bleibend; „Du weißt, wie ungern ich Dir etwas versage; aber diesmal kann ich es Dir wirklich nicht erlauben.“

Alma[WS 2] sah ihren Gatten starr an; Ottilie, die nicht länger an sich halten konnte, lachte laut und rief:

„‚Erlauben‘ ist ein Wort, das sich ein Mann gegenüber seiner Frau niemals erlauben sollte.“

„Das Wort ist vielleicht nicht ganz schicklich,“ sagte der Assessor; „aber es ändert schließlich an der Sache nichts. Und die Sache ist, daß mir Ihr Gatte soeben gewisse Mittheilungen gemacht hat, die mir Alma’s Begleitung diesmal nicht nur nicht wünschenswerth, nein geradezu unmöglich erscheinen lassen. Auch ist Ihr Gemahl, theure Frau, ganz und gar meiner Ansicht.“

„Aber Emil geht in seiner Aengstlichkeit auch zu weit,“ rief Frau Wollnow ärgerlich; „das hat doch die arme Cäcilie nicht verdient! Das heißt doch, den Ruf einer Frau preisgeben, noch dazu ganz ohne Noth, ganz ohne Grund! Wenn man so streng sein will, so müßte man schließlich allen Umgang abbrechen.“

„Ich verstehe Sie nicht ganz, verehrte Frau,“ sagte der Assessor; „zum wenigsten weiß ich nicht, was der Ruf der Frau Brandow mit dieser ganzen leidigen Angelegenheit zu thun hätte.“

„Dann verstehe ich wieder Sie nicht,“ sagte Ottilie.

„Es wird am besten sein,“ erwiderte Sellien, „daß ich, um ferneren Mißverständnissen vorzubeugen, den Damen einfach sage, um was es sich handelt. Zwar hat mir Herr Wollnow Discretion zur Pflicht gemacht; aber die mir so schmeichelhafte Hartnäckigkeit, mit der meine Frau meine schüchternen Versuche, sie zum Hierbleiben zu bewegen, zurückweist, zwingt mich, aus meiner diplomatischen Haltung zurückzutreten. Herr Wollnow hat mir aber soeben anvertraut, daß meine sichere Annahme, Brandow werde die zehntausend Thaler bereit haben, die ich heute bei ihm in Empfang nehmen wollte, gänzlich illusorisch ist. Brandow schrieb mir allerdings vor ungefähr vierzehn Tagen und machte aus seiner Verlegenheit kein Hehl; aber er ist ein so gewandter Mensch und hat sich noch immer geholfen, wenn es darauf ankam; jedenfalls hatte er mir auf meinen ermuthigenden Brief nicht geantwortet, und ich mußte, wie gesagt, annehmen, daß er mich nicht umsonst kommen lassen werde, im Gegentheil Alles in Ordnung sei. Nun aber höre ich von Ihrem verehrten Gemahl, wie die Sache ganz anders und in der That ganz verzweifelt steht. Brandow’s Credit ist vollständig erschöpft; Herr Wollnow sagt, auf der ganzen Insel fände sich Niemand, der ihm noch einen Thaler leihen würde, seitdem die beiden Plüggens und Redebas, die ihn so lange über Wasser gehalten, noch gestern unten in Herrn Wollnow’s Comptoir erklärt haben, ihre Geduld sei erschöpft und von ihnen bekomme er keinen Schilling mehr. Dafür aber bekommen sie von ihm, das heißt, sollen sie in den nächsten Tagen schon eine sehr bedeutende Summe bekommen. Sie haben von fünfzehntausend Thalern gesprochen; indessen meint Herr Wollnow, dabei würde wohl ein wenig Aufschneiderei mit unterlaufen. Wie dem aber auch sei und angenommen, daß

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erkären
  2. Vorlage: Anna
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_670.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)