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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

man hatte den Verlust doch übel empfunden und aus seinem Verdruß um so weniger ein Hehl gemacht, als Brandow noch mit keinem Wort des Geschäftes Erwähnung gethan, zu dessen Regulirung man eigentlich heute zusammengekommen war. Ohne Zweifel konnte Brandow nicht zahlen. Das hatte man freilich vorausgesetzt, ja im Grunde war das ganze von Hans Redebas und den beiden Plüggen gemeinschaftlich unternommene Geschäft auf dieser Voraussetzung basirt; aber jetzt hatte Jeder von ihnen nicht übel Lust, sich in dem Lichte eines Ehrenmannes zu sehen, den man in seinem Vertrauen auf das Schmählichste betrogen hat.

Besonders war Herr Redebas in sehr gereizter Stimmung. Die Bedingungen, zu denen er sich bei Abschluß des gemeinschaftlichen Geschäfts verstanden hatte, gefielen ihm mit jedem Augenblicke weniger. Warum hatte er nicht entweder die ganze Summe gezahlt, oder sich doch für sein Dritttheil das zweite Pfand, das Brandow neben dem Brownlock angeboten, seine Weizenernte, zuschreiben lassen? Der Weizen, wie er sich eben noch überzeugt hatte, stand ganz ausnahmsweise und über alles Erwarten gut, es hätte ein namhafter Gewinn dabei herauskommen können; mit dem Pferde war es doch schließlich ein unsicherer Handel. Seitdem das Comité in die Bahn für das Herrenreiten ein großes Stück Sumpfland hineingezogen, waren die Chancen für den Brownlock, den man allgemein als ein zu schweres Pferd erachtete, namhaft gefallen. Und was hatte ein so äußerst solider Mann wie Hans Redebas mit solchen Dingen zu thun, die sich schließlich nur für Edelleute schickten! Mochten die beiden Plüggen zusehen, wie sie mit dem Pferde fertig wurden! Es war das ihr Metier; sie verstanden sich darauf, und so mochten sie für ihre Zehntausend in Gottes Namen das Pferd behalten und ihm den Weizen lassen! – Aber die beiden Brüder machten trotz der sprüchwörtlichen Uneinigkeit, die sonst zwischen ihnen herrschte, diesmal gemeinschaftliche Sache. Man habe einmal die Verabredung getroffen und es müsse dabei sein Bewenden haben; und wenn Hans Redebas glaube, er wisse allein, wo Barthel den Most hole, so irre er sich gewaltig. Und da nun Herr Redebas seinen Groll an den beiden Compagnons nicht wohl auslassen konnte, hatte er gemeint, sich gegen Brandow desto unzarter und schonungsloser betragen zu dürfen. Er hatte es bereits vor Tisch in überreichem Maße gethan, und der Wein, welchen er bei der Tafel in ungeheuren Quantitäten zu sich nahm, hatte, trotz seiner sonstigen vorzüglichen Qualitäten, nicht die Eigenschaft, die Laune des Riesen zu verbessern.

Brandow würde es zu jeder andern Zeit ein Leichtes gewesen sein, die plumpen Scherze seines Gegners zu pariren und die Lacher auf seine Seite zu bringen; auch galt er sonst unter seinen Gefährten für einen Mann, den man nicht ungestraft reizen dürfe; aber heute schien sein gefürchteter Witz ihn sammt dem erprobten Muth verlassen zu haben. Er hörte nicht, was gar nicht zu überhören war; er verstand nicht, was man gar nicht mißverstehen konnte; er lachte, wo er sonst zornig aufgesprungen sein würde, und versuchte mit blassen bebenden Lippen, so gut es gehen wollte, der Unterhaltung eine scherzhafte Wendung zu geben, wobei er denn zu immer stärkeren Mitteln griff und bald neue Anekdoten zum Besten gab, die selbst dem langmüthigen Pastor allzu anstößig dünkten.

Es war trotz des Gelächters und Lärmens, und trotzdem die Reihe leerer Flaschen unter dem Schenktisch immer länger wurde, ein trübseliges, unerquickliches Mahl, für Niemand mehr, als für den Wirth des Hauses. Brandow wußte aus langjähriger Erfahrung, daß er seinen Nerven viel zumuthen dürfe, aber es kam ihm jetzt doch vor, als werde er, was er heute auf sich genommen, nicht zu Ende führen können. Während er wie toll über eine Geschichte lachte, die er eben zum Besten gegeben, zuckte es ihm in den Fingern, die Champagnerflasche aus dem Kübel zu reißen und sie dem Redebas auf dem großen, schwarzhaarigen Kopf zu zerschmettern. Seine Kraft, er fühlte es, war so gut wie erschöpft; er brach zusammen, wenn Hinrich Scheel nicht bald kam und ihn aus dieser grauenhaften Qual der Ungewißheit erlöste. Und dann war ihm wieder, als ob diese Qual gar nichts sei gegenüber der andern, gegenüber der Qual der Gewißheit, daß seine Frau jenen Menschen liebte und daß sie ihn selbst zu tief verachtete, um ihn auch nur hassen zu können, und daß er diese Verachtung vollauf verdiene. Wieder und wieder – mit der Schnelligkeit des Blitzes – in den paar Momenten, die er brauchte, das Glas zum Munde zu bringen und hinunterzustürzen – durchlebte er die Scene heute Nacht in ihrem Schlafgemach, als er mit geballten Fäusten vor ihr stand und keine Miene in ihrem bleichen Gesicht zuckte, bis er den tödtlichen Streich, den er so lange grausam aufgespart, nach ihrem Herzen führte. Nach ihrem Herzen! in ihr Herz! es war ein Meisterstreich gewesen! ein Streich, der die Stolze, Hoffährtige zusammenbrechen ließ, wie einen Hirsch, den die Kugel auf’s Blatt getroffen, der sie zu seinem willenlosen, gehorsamen Werkzeug und ihn zum Herrn der Situation machte! Eine herrliche Situation, hier zu sitzen und die plumpen Stichelreden des Redebas ertragen, und über seine eigenen albernen Witze lachen, und die dummen Gesichter der Plüggen ansehen, und gegen den scheinheiligen Pfaffen freundlich sein, und darauf achten zu müssen, daß keiner ein leeres Glas habe, und durch all den wüsten Lärm immerfort auf das Rollen des Wagens zu horchen, der den Hinrich brachte und mit dem Hinrich das Geld, für das er gethan, was er gethan, für das er litt, was er litt, und ohne das er ein verlorener Mann war! Endlich, endlich! das war Klappern von Pferdehufen und das Geräusch eines Wagens, der vor dem Hause hielt! Niemand hatte es gehört, außer ihm! desto besser, so konnte er ungestört mit dem Hinrich sprechen!

Er verließ unter dem Vorwand, noch eine andere Sorte Champagner holen zu wollen, seine Gäste, und eilte über den Flur der offenen Hausthür zu, vor der noch der Wagen hielt und er den Assessor im Gespräch mit Hinrich Scheel erblickte, als er plötzlich aus seinem Zimmer, dessen Thür ebenfalls offen stand, seinen Namen rufen hörte, und, sich nach dem Rufe wendend, den Verhaßten dort stehen sah. Schrecken und Wuth durchzuckten ihn wie ein zweischneidig Schwert. Was brachte den Menschen zurück? wie konnte er wagen zurückzukommen? um zu sagen, daß er kein Geld habe, nicht zahlen wolle?

„Wir haben ein paar Augenblicke für uns,“ sagte Gotthold, die Thür hinter dem Eingetretenen verriegelnd, „der Assessor ist noch draußen; er weiß von nichts, und Niemand weiß etwas, außer selbstverständlich Wollnow, ohne den ich Dir das Geld, das Du verlangtest, überall nicht verschaffen konnte. Und auch so ist es mir nicht möglich gewesen, es Dir zu verschaffen, wie Du es wünschtest; ich habe deshalb noch einmal kommen müssen. Du wolltest fünfzehntausend Thaler baar. Wollnow, der gerade morgen sehr bedeutende Zahlungen für Getreideeinkäufe zu machen hat, konnte mir nicht mehr als zehntausend geben; das Uebrige bringe ich Dir in drei Wechseln zu fünftausend Thalern, von Wollnow acceptirt und morgen nach Sicht in Sundin bei Philipp Nathanson, dem bedeutendsten Banquier in Sundin, wie mir Wollnow mittheilte, zahlbar. Diese Wechsel sind bei dem Rufe, in welchem Wollnow in der ganzen Gegend und nicht zum wenigsten bei Deinen Freunden steht, so gut wie baares Geld. Ich denke, daß Du Dich so mit ihnen wirst arrangiren können; schlimmsten Falles bin ich hier, um Dir mit meinem persönlichen Credit zu Hülfe zu kommen, obgleich ich sicher annehme, daß es dessen nicht bedürfen wird.“

Gotthold legte ein größeres, versiegeltes Packet auf den Tisch und nahm aus seiner Brieftasche die drei Wechsel, die er Brandow einhändigte und die dieser mit einem vielgeübten Blick überflog, um sich zu überzeugen, daß diese Papiere in der That vollkommen so gut waren, wie baares Geld.


(Fortsetzung folgt.)




Großmütterchens Kirchensegen.

„Wie Hauch der Nacht verweht das Leben,
Und all sein Glück ist Spreu im Wind!“
So sprach des Pfarrers Mund soeben;
Nimm Dir’s zu Herzen, Enkelkind!

Gar märchenhaft gemahnt mich heute
Entschwundner Tage Lust und Weh’,
Da aus der Kirche beim Geläute
Mit Dir, Du junges Blut, ich geh’!

Ein Sonntag war’s, wie heut so labend,
– Schon sechszig Jahr’! Die Zeit entweicht –
Da nach der Messe er am Abend
Mir hier den ersten Strauß gereicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_672.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)