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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

beträgt zweiundsechszig, die Höhe fünfzig, die Länge des Schaftes vom unteren Ende bis zur Höhe der Halbmondspitzen einundachtzig Centimeter.

Das eben beschriebene kleine Feldzeichen ist eine Compagniefahne der Tirailleurs algériens, bei denen sich der Glaube an die Fahne knüpfen soll, daß, sobald diese sinkt oder in die Hände der Gegenpartei geräth, der Sieg unwiderruflich sich für den Feind entscheidet.

A. L–z.




Eine Todtenbeschwörung im Kloster.
Aus den Erinnerungen eines sechszigjährigen Landpredigers.


„Sie wollen nach Jena?“ fragte der alte Herr, den ich auf dem Fußsteige von Löbstedt aus einholte.

Er war mir schon im Hofe des Löbstedter Gasthauses aufgefallen, wo er einsam, wie in Gedanken versunken, im Schatten der Bäume am frischen Trunke sich erquickte. Etwas entfernt von ihm hatten die Dioskuren Luden und Fries mit ihren Familien Platz genommen. In ihrer Mitte gab’s Leben und heiteres Lachen

Etwas Besonderes ließ sich an dem alten Herrn nicht gerade bemerken, es müßten denn der trotz der etwas nach vorn geneigten Gestalt entschieden ernste Schritt und die Energie der Bewegung gewesen sein. Seine Kleidung war ärmlich, der Rock fadenscheinig, die Kopfbedeckung datirte mit ihrem Ausgange auf eine Reihe von Jahren zurück; seine Einsamkeit am sonnigen Kneiptage schien auf sein Alleinstehen in der Welt hinzuweisen. Gehörte er vielleicht zu den wackeren Magistern, dergleichen sich in Universitätsstädten wohl vorfinden, oder war er gar eine „verflossene“ Größe der Akademie?

Freundlich meinem Gruße dankend, fragte er, ob ich nach Jena wolle. Auf meine bejahende Antwort erkundigte er sich, da er in mir einen Studirenden erkannte, nach meinem Studium, der Studienzeit, den Vorlesungen, die ich besuche, der Gegend, aus welcher ich stamme, und nach der Lectüre, die mich jüngst am meisten angezogen. Ich gab die gewünschte Auskunft, indem ich meinen Schritt zu seiner Begleitung mäßigte, bereits sicher, der Mann sei mehr, als seine äußere Erscheinung erwarten lasse. Als ich ihm berichtete, die für mich ergreifendste der jüngst gelesenen Schriften sei die Selbstbiographie des Professor Dr. Schad gewesen, blieb er stehen, richtete seinen Blick voll und ernst auf mich, und forschte nach dem Grunde meiner Aeußerung. Ich entgegnete, es sei ergreifend und erhebend, Männer zu finden, die ihrer heiligen Ueberzeugung so viel als Schad, nämlich Alles, opferten, um mit dem Gewissen in Uebereinstimmung zu bleiben.

„Kennen Sie den Professor Schad, junger Mann?“

„Nein, mein Herr, von Person kenne ich ihn nicht.“

„Er steht vor Ihnen!“

Ich war überrascht. Staunen und Freude machten mich befangen. Also das war der ehemalige Mönch zu Banz, der aufgeklärte Gelehrte in der Kutte, der Flüchtling aus dem Kloster und der von den Conventualen hart Verfolgte, der nachmalige Protestant und Universitätslehrer! Die Zunge versagte mir im Augenblick den Dienst; ich drückte meinem Begleiter kräftig die Hand, indem ich mich, die Mütze vom Haupte nehmend, vor ihm verbeugte.

„Gut, gut,“ sprach er wohlwollend. „Wir kennen uns nun, und ich freue mich Ihrer Theilnahme. Aber Sie könnten mir einen Gefallen thun.“

„Gebieten Sie, Herr Professor, über meine geringen Dienste.“

Im Weitergehen äußere er: „Wie ich vorhin von Ihnen hörte, sind Sie im N–er Kreise daheim. Ich habe diesen Kreis auf meinen Reisen blos berührt, obschon er für mich ein eigenthümliches Interesse hat, denn in ihm ist jedenfalls die Lösung eines Räthsels zu erlangen, nach welcher ich lange schon suche. Die Sache ist kurz die: In unserm Kloster Banz starb der Abt. Wir setzten seinen Leichnam unter Beobachtung der geordneten Ceremonien bei und thaten weiter, was Brauch ist. Der Todesfall wurde von den Mönchen viel besprochen. Die Einen erhoben den Verewigten, die Anderen urtheilten minder günstig über ihn. Man gerieth im erregten Für und Wider auf die Frage, ob der Hingeschiedene zu Gnaden aufgenommen sein möge; aber auch hier waren die Meinungen getheilt. Zuletzt vereinigte man sich, und dahin hatten es besonders die Verehrer des Abts gebracht, diesen selbst um Entscheidung angehen zu lassen, denn es werde ja noch Leute geben, welche so viel wie – das Zauberweib zu Endor vermöchten, das den Schatten Samuel’s zum Erscheinen beschwor!

Wer sucht, findet gemeiniglich. Man zog Erkundigung ein, man vernahm, daß im N–er Kreise zwei sogenannte Nekromanten oder Todtenbeschwörer hausten, man fand sie auf, lud sie zum Kommen ein, sie erschienen und citirten den Todten in einer Nacht voll Grauens und Entsetzens; er stieg aus seinem Grabe und – beruhigte die Conventualen über sein jenseitiges Loos!

Daß die Erscheinung auf Täuschung beruhte, war mir auch in jener schrecklichen Stunde nicht zweifelhaft. Ich sah den Abgeschiedenen auf den Spruch des Zauberers sich erheben; es war der Abt, wie er leibte und lebte, nur in der Blässe des Todes; ich hörte seine Stimme und wußte, es war Alles – Gaukelwerk und Trug! Indessen ich verschwieg meine Ueberzeugung, denn es war nicht gerathen, im Kreise jener Finsterlinge das Licht der Vernunft leuchten zu lassen; aber ich vermochte damals so wenig wie heute, mir die Kunstgriffe zu erklären, welche die Nekromanten anwendeten, um das gräßlich glänzende Ergebniß zu erzielen.

Der Spuk trug vor einem Menschenalter sich zu. Möglich, daß die Todtenbeschwörer, bei ihrem Aufenthalte in Banz jüngere Männer, noch leben. Haben Sie, Herr Studiosus, daheim nie von Landsleuten gehört, oder kennen Sie keine Solchen, die das nekromantische Geschäft betrieben? Ist dies der Fall, so versuchen Sie, ob Sie mir den Wunsch um Aufklärung der Manipulationen zu erfüllen im Stande sind. Das ist die Gefälligkeit, die ich von Ihnen erbitte.“

„Von zwei Männern, Herr Professor, denen ich ein Gauner- und Bubenstück der Art zutrauen zu dürfen glaube, habe ich nicht allein gehört, ich kenne sie auch seit meiner Kindheit. Der Eine, hager und kurz, ist Federarbeiter, der Andere, wohlbeleibt und länger von Gestalt, Lederarbeiter. Beide Cumpane stehen in dem Rufe der Uebung der Geisterbannerei, Schatzgräberei und der Künste, die vom Aberglauben und der Unwissenheit der Menschen Geld erpressen und Genüsse und Bequemlichkeiten in Fülle versprechen. Ich werde versuchen, Ihrem Verlangen zu genügen. Vielleicht begünstigt mich, Ihnen zu Gefallen, das Glück. Der Sohn des Ledermannes ist mein Schulfreund, dessen Vater mittheilsam, wenn man die gute Stunde trifft.“

Jena war erreicht. Ich verabschiedete mich vom Dr. Schad mit dem herzlichsten Danke für alte und neue Wohlthat.

Die Michaelisferien verbrachte ich bei meinen lieben Eltern, „auf der süßen heimathlichen Erde“, wo jeden Tag Speise und Trank und Arbeit und Schlaf so gut schmeckt. Bald schickte ich mich zu einem Besuche bei meinem Herrn Urian – Ledermann – an, den ich daheim und, ungeachtet des Verlustes seiner sehr vornehmen Frau, die immer mit souverainer Geringschätzung auf die Gespielen ihres etwas aufgeblasenen Herzbuben Louis herabgeschaut hatte, recht wohlgelaunt traf.

Als die üblichen Complimente gewechselt waren, erinnerte ich ihn an die Ergötzlichkeiten und an die Furcht meiner Kinderjahre in seiner Behausung, an die großen Oelgemälde und die Stuhlschaukel des Vorsaals, sowie an die gräulichen Laute im Nebengemache, wo eine künstliche, vom Doctor Sachse erkaufte Boa constrictor – Abgottsschlange – aufbewahrt sein sollte, die sich, wie es hieß, automatisch bewegte und den zahngepanzerten Rachen öffnete, – für uns Knaben schon in der Vorstellung ein unheimliches Grauen!

Mit Wohlgefallen nahm er meine Erinnerungen auf, nickte zuweilen und lächelte behaglich; seine einträglichste Thätigkeit lag gerade in jenen vergangenen Jahren. Noch trug er das gewohnte Gepräge: das Gesicht intelligent, die Augen unruhig und ein wenig stechend im Blicke, die tabakliebende Nase den Athem mitunter scharf ausstoßend, der lüsterne Mund bei fröhlicher Stimmung des Gemüths sich etwas verbreiternd; nur die Glatze hatte an Umfang gewonnen.

Studentische Anekdoten und lustige Streiche, die ich ihm erzählte, hatten seinen ungetheilten Beifall, da er in ähnlichen praktischer Meister war. Allmählich steuerte ich meinem Ziele näher. Er erfuhr als Curiosum, was ich von Schad gehört.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_790.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)