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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Blätter und Blüthen.


Auch eine Weihnachtsfeier. Um die Weihnachtszeit des Jahres 1870 stand unser Regiment einige Tage in Vendôme. Der Rittmeister unserer Escadron, ein Reserve-Officier, ein einjährig Freiwilliger und ich hatten uns verabredet, den Weihnachtsabend in meinem Quartier nach lieber deutscher Sitte bei einem angezündeten Tannenbaum und einer dampfenden Bowle zu verleben, wobei wir uns die Zeit mit Quartett-Gesängen vertreiben wollten, was wir vier regelmäßig und sehr gerne thaten, so oft es uns die Zeit und das Kriegshandwerk erlaubten.

Leider bekam ich am Morgen besagten Tages den Befehl, eine Requisition nach St. Amants hin auszuführen. Das Requiriren, an und für sich ein böses Geschäft, war hier um so unangenehmer, als St. Amants fast vier Meilen von Vendôme und in der Nähe von durch Franzosen besetzten Ortschaften lag. Es gelang mir daher auch nur mit großer Mühe und bedeutendem Zeitaufwand und nach vielfältig angewandten Säbelhieben und freundschaftlichem Kitzeln mit den Lanzen, die Bauern von der Nothwendigkeit zu überzeugen, daß unsere Pferde zu ihrem Unterhalte durchaus Hafer und Heu bedürften, und daß es daher nöthig sei, daß sie selbiges auf ihre Wagen lüden und in meiner und meiner Ulanen werthen Gesellschaft nach Vendôme brächten, von wo sie dann nach empfangener Bescheinigung wieder in ihre Heimath zurückkehren könnten. Es war wie gesagt ziemlich spät geworden, ehe ich mit meinem stattlichen Zuge auf dem Kasernenhofe in Vendôme anlangte, und meine Cameraden, denen einestheils die Zeit lang wurde, die aber auch um mein langes Ausbleiben anfingen besorgt zu werden, waren mir bereits bis hierher entgegengekommen. An den Kasernenhof stieß die Kathedrale, an welcher wir, wenn wir nach meinem Quartier wollten, vorbei gehen mußten. Am heutigen Weihnachtsabend war die Kirche dicht gefüllt und eben als wir uns derselben näherten, sang die andächtige Menge, unter Begleitung einer rauschenden Musik „O sanctissima“. Ueberrascht blieben wir stehen. In dieser Weise hatten wir das Lied noch niemals singen hören, es war im vollständigen Raschwalzertact. „Das ist doch im höchsten Grade empörend, ein solch’ schönes Lied auf diese Weise zu verunstalten,“ sagte Camerad P., „das müßten wir den Franzosen einmal vorsingen.“ Ehe wir’s selbst wußten, waren wir in der Kirche, und da dieselbe in ihren unteren Räumen vollständig gefüllt war, stiegen wir die der Thür zunächst befindliche Treppe zu einem leeren Chor hinan. Musik und Gesang hatten geendet; der Priester vom Altare sprach einige uns unverständliche Worte. Dann begannen wir in gemessener, feierlicher Weise, wie wir es gewohnt waren, mit präciser Innehaltung des piano und forte „O sanctissima“. Es klang in der weiten Kirche prachtvoll. Ueberrascht wandten sich mehr denn tausend Augen nach der Stelle, von wo der Gesang tönte, und man denke sich das maßlose Erstaunen der Franzosen, als sie vier in voller Kriegsrüstung dastehende, ihnen so sehr verhaßte Ulanen, Protestanten, erblickten, in ihrem Heiligthum ein katholisches Lied singend. Lautlose Stille herrschte. Als wir geendet – ich weiß selbst kaum mehr, wie wir darauf kamen – stimmten wir das wohl nicht ganz hierher passende Schäfer’s Sonntagslied „Das ist der Tag des Herrn“ an. Wie unwillkürlich falteten sich während unseres Gesanges die Hände der unter uns sich befindenden Franzosen, und nachdem wir zu Ende gesungen, verließen wir, unter fortdauernder lautloser Stille, selbst ernst und feierlich gestimmt, die Kirche. Es war dies eine eigenthümliche Feier unseres heiligen Weihnachtsabends.

G.




Hermann und Dorothea, unseres Goethe ewigfrische Dichtung, wird auch für jede frische künstlerische Kraft ein Gegenstand bleiben, der zu immer neuer Darstellung der herrlichen Gestalten der Dichterphantasie anlockt. Zu den gelungensten dieser Illustrationen gehören die acht großen Cartons von L. Hofmann in München, welche, im Verein mit zwei Kaulbach’schen Blättern, die Brückmann’sche Ausgabe der Dichtung schmücken. Von diesen legen wir unseren Lesern das erste mit der Scene vor, an welche auch das etwas später erschienene Ramberg’sche Bild hinsichtlich der Auffassung und Gruppirung der Personen erinnert, jedenfalls ein interessantes Zeichen, daß beide an der Hand der Dichtung zum richtigen Ziel gelangt sind.

L. Hofmann’s vorliegende Illustration bedarf keiner Erklärung; als solche ist ihm die betreffende Stelle des Gedichtes beigedruckt. Dagegen wird man über des Künstlers bisheriges Erdenwallen gern Einiges erfahren wollen. Hofmann ist ein geborener Zeitzer und hat seine ersten Kunststudien in Leipzig gemacht, wo er auch mit den ersten Arbeiten auftrat. Er blieb da, bis er sich die Mittel erschwungen hatte, vor etwa zehn Jahren die Akademie München zu beziehen. Dort schloß er sich anfangs aus Vorliebe und Neigung Schwind an, von dem er dann auf seine eigene Bahn überging, um Malen zu lernen, ohne der herrschenden schroff realistischen Richtung zu verfallen. Für Brückmann führte er die ersten kleinen Oelbilder aus, lieferte 1867 vier Zeichnungen zu deutschen Volksliedern, 1868 und 1869 die Cartons zu „Hermann und Dorothea“ und malte seit Ostern 1870 eine Reihe großer und kleiner Bilder, welche Beifall und Absatz fanden, wie sein „Verdorben und gestorben“ zu dem Volkslied: „Es fiel ein Reif in die Frühlingsnacht“, seine „Turcos in Ingolstadt“ und vieles Andere. Möge die rüstige Schaffenskraft den Künstler und uns noch recht oft erfreuen! –




Erklärung. Die scharfe Kritik meiner früheren Erfindungen auf dem Gebiete der Wissenschaft, obschon sich dieselbe mit wenigen Ausnahmen als unzutreffend erwiesen, ließ mich gleichwohl in Betreff meiner Behandlung des krankhaften Kopfhaares ähnliche Angriffe erwarten.

Der neuesten Kritik des Herrn Stabsarzt Dr. Pincus in Berlin sehe ich mich nun veranlaßt, unter vollständiger Aufrechthaltung meiner im „Ausland“ Nr. 12 d. J. ausgesprochenen Ansicht, die an meinem eigenen, sowie dem Haar vieler Anderer beobachteten Resultate entgegenzustellen.

Würde der Herr Stabsarzt Dr. Pincus meine derzeitige Abhandlung eingehender geprüft haben, so würde ihm nicht entgangen sein, daß ich gleich anfangs jeden Versuch, auf Glatzen von längerer Andauer und gänzlichem Verluste der Haarwurzel neues Haar zu erzeugen, als erfolglos bezeichnet habe; gleichwohl lehrt meine langjährige mikroskopische Prüfung der Kopfhaut, daß das fragliche Präparat auf die krankhaften Zustände derselben entschieden zu influiren vermag. – Es erscheinen nämlich die Haarwurzeln, bevor deren gänzliche Verödung eingetreten ist, im Stadium des Herausfallens nebst den zahlreichen sie umgebenden und in dieselben einmündenden Drüsen trocken und verschrumpft und häufig von einer Pilzwucherung umsponnen; untersucht man dagegen diese Organe nach halb- und dreivierteljährlicher vorschriftsmäßiger Anwendung dieses Mittels, so zeigt sich in der Regel ein in Fülle und Gestalt gesundes Aussehen der Haarwurzeln, sowie ein fast gänzliches Verschwundensein der Pilzbildung, auch werden die kleinen Wurzeldrüsen, welche, bislang zu wenig beachtet, für die Ernährung des Haars zweifelsohne von großer Bedeutung sind, wieder sichtbar, eine Erscheinung, mit welcher unverkennbar eine erhebliche Verminderung des Haarausfallens und eine wiederkehrende Belebung seines Wachsthums auftritt.

Max Langenbeck, Professor Dr. med.
in Hannover. 


Bemerkung zu vorstehenden Zeilen.

Ich habe Herrn Professor Langenbeck nicht für einen Arzt gehalten, sonst hätte ich meine Entgegnung in einem medicinischen Journal veröffentlicht. Da aber die Polemik nun einmal in literarischen Blättern angeregt ist, will ich kurz antworten.

Ich darf wiederholen, was ich früher gesagt habe: „Die Absicht ist gut, die Ansicht ist irrig!“

Was Herr L. für Pilze hält, das sind nach meiner Ansicht die Oberhautschüppchen der Wurzelscheide des Haares.

Wenn die Haarproduction stockt, so rührt dies nicht daher, daß die Kopfhaut Mangel an Hornstoff hat; und selbst, wenn dieser Mangel vorhanden wäre, könnte man ihm nicht durch äußeres Hinzuthun abhelfen; denn die menschliche Haut ist nicht etwa eine lockere Erde, in die man einprägen könnte, was man will – sie nimmt nur auf, was sie nach ihrer vitalen Beschaffenheit aufnehmen kann.

Was würde wohl Herr L. sagen, wenn Jemand riethe: „bei schadhaften Zähnen extrahire man aus Thierzähnen den ‚Zahnstoff‘ (Zahnleim) und reibe diesen Extract in das Zahnfleisch“? Würde Herr L. glauben, daß dies nütze? – Dies würde eben gar nichts nützen!

Ich kann nur dringend rathen: wo Verdacht auf vorzeitigen Haarverlust vorhanden (namentlich auf erbliche Anlage), da prüfe man das Haar vom fünfzehnten Lebensjahre an; um diese Zeit, oder etwas später beginnt das (meist sehr langsam vorschreitende) Leiden; da ist Hülfe möglich, sehr leicht und für die Dauer. Wo bereits eine Verdünnung des Haares eingetreten, da ist Besserung nur von einer ganz regelrechten Cur zu erwarten, nicht von Anwendung dieser oder jener Pomade oder Flüssigkeit.

Berlin.

Stabsarzt Dr. J. Pincus,
Docent a. d. Universität.




Bock’s „Buch vom gesunden und kranken Menschen“, das in neunter Auflage bisher in einer möglichst billigen und dennoch mit hundertzwanzig Abbildungen ausgestatteten Heftausgabe erschienen, ist in diesen Tagen complet geworden. Außer dem bewährten alten Inhalt dieses weltberühmten Buchs, das nach Maßgabe der Fortschritte der Wissenschaft Verbesserungen und Zusätze an Text und Abbildungen erfahren, ist dasselbe mit einem neuen Capitel bereichert über die natürliche Entwickelungsgeschichte der Erdrinde mit ihren Bewohnern und die Abstammung des Menschen nach Darwin und Häckel. Als ein Belehrer und Helfer in der schlimmsten Noth dürfte auch die neue Auflage dieses Buches in allen Familien willkommen sein.




An unsere Freunde.


Wir sind in der angenehmen Lage, den Lesern der Gartenlaube in Deutschland und jenseit der Meere heute schon mittheilen zu können, daß der nächste Jahrgang unserer Zeitschrift folgende Erzählungen veröffentlichen wird:

„Glückauf“ von E. Werner, Verfasser des mit so vielem Beifall aufgenommenen Romans „Am Altar.“
„Der Loder“ von Herman Schmid und eine größere Erzählung von E. Marlitt,

denen sich kleine Novellen von E. Wichert („Schuster Lange“), Werber etc. anschließen werden.




Wir bitten die Bestellungen für den nächsten Jahrgang recht zeitig aufzugeben.

Leipzig, im December 1872.

Die Redaction und Verlagshandlung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_830.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)