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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Stolz, sagst Du, wäre es, was mich verhindert, das zu thun? Sei es denn Stolz! aber doch nur für Dich, auf Dich! Ach, Gotthold, ich habe ihn nicht erst seit heute, diesen Stolz! ich bin schon stolz auf Dich gewesen, damals, wenn Du mit glänzenden Augen so schön sprechen konntest von Göttern und Helden, und daß der heldenhafte Mensch sich kühn den Göttern vergleichen dürfe; und als ich nach Jahren des Leides hörte, daß Du Dich durch unsägliche Hindernisse, an denen Andere tausendmal zu Grunde gegangen wären, durchgedrungen, und mit einer Schnelligkeit, die ihnen, die Dich nicht kannten, und Deine Kraft und Deinen Fleiß, wunderbar erschien, Dich zu der höchsten Höhe Deiner Kunst emporgeschwungen und der Name des jungen Künstlers nur mit den besten stets genannt wurde – ja, Gotthold, da bin ich stolz gewesen, so stolz und so dankbar! – ich habe gemeint, nun könne ich Alles leichter ertragen, da mein Frevel nicht an Dir heimgesucht, da ich allein zu sühnen hatte, was ich allein verbrochen!“

Sie waren aus den abendlichen Feldern, über denen die Sommerfäden im röthlichen Licht der sinkenden Sonne schwebten, in den stillen dunkelnden Wald getreten. Kein Laut, als das Rascheln der braunen Blätter zu ihren Füßen; und jetzt, als Cäcilie schwieg, der klagende Sang eines einsamen Vögelchens.

Aber Gotthold hörte keine Unterbrechung; ihm war, als ob die klagende Vogelstimme nur den Klaggesang der Menschenstimme weitersinge.

„Allein, allein,“ sagte er, „und immer wieder allein, und so willst Du genesen, armes Weib! Und kann denn der Mensch allein sein? und bist Du denn allein? Gesetzt, ich wäre – was ich nicht bin – der starke Held, der den einsamen Weg durch unendliche Arbeit sich hinaufringt zu dem goldenen Tische des Vaters – ist denn Dein Kind nicht da, dem Du die schöne, sonnige Welt erschließen sollst! Du, die sich verhüllten Hauptes in stummer Verzweiflung vom Leben abwendet? Welche Tugenden willst Du es lehren, die Du selbst so ganz der Freudigkeit ermangelst, in der einzig die Tugenden gedeihen; ja, die Du nicht mehr an die Tugend glaubst, an die beste, die höchste, die aller Tugend Tugend ist, die uns zu Dem macht, was wir sind, die uns zu Menschen macht: an die Liebe? Wer klagt mit dem Vögelchen dort, das, im herbstlichen Land verborgen, verwundet vielleicht und verstümmelt, zurückgeblieben ist, um elend zu verkommen? Keiner seiner Brüder und Schwestern, sein Gatte nicht, seine Kinder nicht – sie sind Alle achtlos fortgezogen und haben es zurückgelassen – allein, allein! Nun wohl, sie folgen dem ehernen Gesetz, das ihr Kommen und Gehen, ihr Leben und ihr Sterben bedingt, und so sündigen sie nicht, können nicht sündigen; aber wir können es und wir sündigen, wenn wir dem Gesetz nicht folgen, das uns regiert, wenn wir der Liebe nicht folgen. Sie ist das allgewaltige Band, das alle Geschlechter der erdgeborenen Menschen von Anfang bis Ende zusammengehalten hat und halten wird; die allmächtige Sonne, vor deren holdem Strahl es wieder lenzen muß auch in dem dunkelsten, trübsten Herzen; und so mit meiner Liebe halte ich Dich, Geliebte, wie Du Dich auch sträubst; durchglühe ich Dein Herz, wie Du es auch vor mir verschließest, denn ich bin mächtiger als Du, daß ich Dir leihen kann von meiner Kraft und dennoch genug behalte für mich und Dich und Dein Kind – unser Kind, Cäcilie!“

Sie war stehen geblieben, an allen Gliedern zitternd; bleich, die dunklen, thränenverschleierten Augen, die gefalteten Hände zu ihm erhebend:

„Erbarmen, Gotthold, Erbarmen! ich kann nicht mehr; ich kann nicht mehr!“

Ein rascher Schritt kam den schmalen Pfad, der zu den Hünengräbern führte, hinab.

„Gott sei Dank! ich wollte Ihnen entgegen; gnädige Frau – ich glaube – ich weiß, Sie sind nicht wie unsere anderen Damen –“

„Er ist todt!“ rief Cäcilie.

„Ich fürchte, wir finden ihn nicht mehr am Leben, wenn er auch noch die Kraft hatte, mich fortzuschicken. Ich ging ungern, aber er verlangte so sehr, so herzlich nach Ihnen, nach Ihnen Beiden.“

Sie liefen den Pfad durch das Unterholz hinauf, die Haidehügel empor, auf das Hünengrab zu, dessen gewaltige Masse sich dunkel von dem hellen Abendhimmel absetzte.

Er saß auf einem moosbewachsenen Stein, den Rücken an einen der größeren Blöcke gelehnt, die Hände im Schooß gefaltet, mit einem wunderbaren Ausdruck tiefsten Friedens auf dem bleichen, ehrwürdigen Gesicht, still in den Abend schauend, der über den Feldern, über den Wäldern, auf der Haide, auf dem Meere verglomm. Cäcilie war zu seinen Füßen in das Haidekraut gesunken, ihre Lippen auf seine erkaltenden Hände drückend

Bei der Berührung flog ein leises Beben durch die Glieder des Sterbenden. Sein Blick wandte sich langsam aus der Weite in die Nähe, und ruhte jetzt auf dem schönen blassen, thränenüberströmten Gesicht vor ihm. Ein seliges Lächeln dämmerte in seinen Zügen auf; „Ulrike!“ flüsterte er. Es kam leise, hörbar kaum über die blassen Lippen, und dann schlossen sich die Lippen und die Augen.

Cäciliens Haupt lag an Gotthold’s Brust; der Fürst, der während der ganzen Scene bescheiden in der Ferne gestanden, hatte sich abgewandt; er blickte mit großen, starren Augen in das Abendgold.




Und das Abendgold verglomm über Feldern und Wäldern und über dem Friedhof zu Rammin, auf dem sie so eben den Ahnen zu seinen Kindern und Kindeskindern gebettet hatten. Es war nur eine kleine, sehr kleine Gemeinde gewesen, die um das Grab gestanden, als man den Sarg hinabgesenkt, und sie hatte eines Priesters nicht bedurft, die Stätte zu weihen, die ihnen fortan heilig war. Dann hatte Frau Wollnow Cäcilie umarmt und ihr in’s Ohr geflüstert: „laß Dich nicht durch eine Philisterseele, die Euch begegnet, aus der Fassung bringen;“ und Cäcilie hatte ihr geantwortet: „sei unbesorgt; ich weiß, was ich thue.“ Und dann hatte Ottilie Gretchen geküßt, und der Fürst und Herr Wollnow hatten mit wenigen herzlichen Worten von Cäcilie Abschied genommen; und das leichte Wägelchen des Fürsten war nach Waldschloß, und die solide Equipage Wollnow’s auf dem Wege nach Prora davongerollt.

Auf dem andern Ende des Dorfes, wo der Weg nach Neuenfähr und weiter nach Sundin geht, hielt ein Reisewagen; und sie gingen jetzt durch das Dorf, Arm in Arm, still, und das Kind lief vor ihnen her und haschte nach den Schwalben, wenn sie allzudicht an ihm vorüberschwebten.

Sonst hatten die Schwalben freie Bahn. Hinauf, hinab zogen sie pfeilschnellen Fluges, jetzt an der Erde hin, jetzt sich hebend in anmuthigen Bogen, gerade aus, im Zickzack, zirpend, zwitschernd, unermüdlich die langen Schwingen regend.

Auch für sie war es wohl der letzte Abend, und morgen waren sie fortgezogen nach Süden, und kamen erst wieder mit dem Frühling.

Gotthold dachte daran; und dann dachte er an jenen Abend, als er durch die leere Dorfstraße ging und der Gesang der Schwalben ihm Thränen der Wehmuth in die Augen trieb, und wie leer sie ihm gewesen war, die Heimath und die ganze schöne Welt, und wie ihm jetzt die ganze schöne Welt wie eine Heimath erschien; und er blickte in das dunkle Auge der geliebten Frau und drückte die warme schmale Hand des Kindes, das sein Kind war, und er wußte jetzt, „was die Schwalbe sang“.




Unsere entfernten Verwandten.


Von Brehm.


Der Strenggläubige sieht in jedem Naturforscher der Neuzeit, insbesondere in jedem Thierkundigen, welcher ebenso spricht und schreibt, wie er denkt, einen berechtigten Anwärter auf das höllische Feuer, wenn nicht mehr. Er überlegt sich nicht oder vergißt, daß der Mensch seine Götter und Götzen nach seinem eigenen Bilde sich erträumte und gestaltete, daß der Weiße die edelste Kaukasiergestalt, der Neger einen schwarzen, der Mongole einen schiefäugigen Gott sich ausmalte, und hängt deshalb mit Inbrunst an dem Wahne der gerade ihm gewordenen Ebenbildlichkeit. Nur hierdurch finde ich Erklärung des Entsetzens,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_850.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)