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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


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Nur eine Spalt’ in Mannesbreite

Blieb offen an der Abendseite,
Durch die, wenn sie zur Neige ging,
Ihr Strahl den alten Baum umfing;
Der schien dann neu sich zu beleben,

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Denn seine Blätter, die noch eben

Hernieder hingen, farblos ganz,
Erschienen nun in grünem Glanz.
Oft stand ich damals in dem Raum
Und schaute sinnend auf den Baum –

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Nun saß ich selbst so Tag für Tag

Und harrte auf der Stunde Schlag,
Wo auch zu mir kam meine Sonne,
Zu bringen Wärme mir und Wonne.

Da kam der Krieg – und Kampfeslust

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Zog auch in meines Sohnes Brust.

Er freute sich auf diesen Krieg
Und träumte hoch von Ruhm und Sieg,
Ich glaub’, er hätt’ nicht mit gemußt,
Wenn meine Lage man gewußt,

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Doch ach, ich konnt’ ihm Nichts versagen,

Ich hab’ ihn gar nicht drum befragt
Und ihn zu stören nicht gewagt,
Ich ließ ihn ziehen ohne Klagen.
Mir war das Herz von Weh so voll,

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Doch seins in Muth und Hoffnung schwoll:

„Als Sieger kehr’ ich bald zurück,
O Mutter, denk’ an solches Glück!“
Ich fühlte seiner Küsse Flammen,
Ich nahm all’ meine Kraft zusammen,

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Und ließ ihn. Als sein Schritt verhallt,

Da sank ich nieder. Die Gewalt,
Womit ich selber mich bezwang,
War nun zu End’. So lag ich lang’
Und langsam bin ich aufgewacht

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Aus meiner Ohnmacht tiefer Nacht.

Und wieder saß ich Tag für Tag,
Und kam der Abendstunde Schlag,
Dann hob ich leis mein Haupt empor – –
Es horcht’ auf seinen Schritt mein Ohr;

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Obwohl, daß er nicht kam, ich wußte,

Ich dennoch wieder lauschen mußte.
Und wieder dacht’ ich an den Baum
In jenem engen, dunkeln Raum,
Dem schien ja auch nicht jeden Abend

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Die Sonne, ihn mit Wärme labend,

Mit Wolken war ja oft bedeckt
Der Himmel und die Sonn’ versteckt,
Dann kam sie später doppelt labend
Dem Baum, wenn wieder hell der Abend.

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Und sieh, es kam ein Hoffnungsstrahl,

Zu mindern meine Angst und Qual:
Es kam ein Brief, von ihm geschrieben
– Der Bote hat ihn mir gelesen –
Mein Sohn war in der Schlacht gewesen

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Bei Wörth und unversehrt geblieben.

Da bin ich in die Kirch gewankt,
Von einer Nachbarsfrau geleitet,
Und habe innig Gott gedankt,
Daß er mir diese Freud’ bereitet.

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Dann saß ich wieder Monden lang,

Da – wieder neigte sich ein Tag
Und nah war jener Stunde Schlag –
Vernahm ich eines Mannes Gang.
Der Mann blieb an der Thüre stehen,

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Als scheut’ er sich, herein zu gehen,

Doch öffnet er sie endlich leise
Und leise, leise tritt er ein.
Befremdlich war des Mannes Weise –
Was will er wohl, wer mag er sein?

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Nach einer Weil’, als Nichts er sagt,

Hab’ leis ich, wer er sei, gefragt,
Jedoch kein Wort bringt er hervor,
Ein Schluchzen trifft mein lauschend Ohr.
Ein Mann, der weint?! Ich saß erstarrt

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Und habe athemlos geharrt – –

Da hör’ ich draußen Viele kommen,
Die scheinen etwas herzutragen,
Und wie, wenn Weiber, Kinder klagen,
Hab’ ein Getöse ich vernommen.

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Und jetzt sind sie hereingetreten

Geheimnißvoll mit Schlurfen, Schleichen –
Und mein Erstarren will nicht weichen;
Ich kann nicht sprechen, kann nicht beten,
Ich sitze, wie von Bann umfangen,

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Bewegungslos, in Todesbangen.

Da hör’ ich wunderbarer Weise
Wie Kindeslallen einen Ton.

„Lieb’ Mutter!“ tönt es leise, leise –
Allmächt’ger Gott! Das war mein Sohn!

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Und plötzlich, wie mit Blitzesschlag,

Als schaute ich’s im lichten Tag,
War nun mir Alles, Alles klar:
Es war mein Sohn, o Gott! er war
Verwundet, sterbend. O, und hier

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Nur wollt’ er sterben, nur bei mir!

Cam’raden hatten ihn gebracht,
Und der zuerst erschien so sacht,
Der wollt’ mir bringen den Bericht,
Und konnt’s vor Schmerz und Rührung nicht.

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Jetzt stand ich auf, befreit vom Bann,

Und meinen Arm ergriff ein Mann,
Der führte stumm mich zu dem Sohn.
Ich kniete an des Lagers Rand,
Fand seinen Mund und seine Hand,

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Und wieder kam der Kindeston

„Lieb’ Mutter“ leise, leise; schwach
Und schwer ging schon sein Athem, – ach!
Nun ging’s zum Ende gar geschwind.
Ich glaube fest, das treue Kind

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Hat liebestark den Tod gezwungen,

So lange noch bei Seit’ zu stehen.
Bis das Ersehnte ihm gelungen.
Die blinde Mutter noch zu sehen.
Und um so mehr nun ging’s in Eile:

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Schon stockt der Athem eine Weile,

Es zuckt die Hand ihm in der meinen,
Die ringsum stehn, die schluchzen, weinen,
Ich nicht; ich mußte stark erscheinen,
Fest mußt’ ich seine Hand umfassen,

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Damit er sich nicht fühlt’ verlassen.

Jetzt stockt der schwache Athem wieder
Und länger, kommt dann schwächer wieder,
Wird schwächer, schwächer – leiser – – still.
– – – – – – – – –
Ach, liebe Frau, ich kann nicht sagen,

150
Was sich mit mir dann zugetragen.

Ich lag wohl lange krank darnieder,
Ach, mir zum Leid genas ich wieder.
Als zum Bewußtsein ich erwacht,
Da war und blieb es um mich Nacht,

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Die Sonn’ kam nimmer warm und lind,

Nun wußt’ ich, daß ich arm und blind.

Gustav Duill.




Die würtembergische Bastille.
Ein Stück aus der guten alten Zeit.

In einem großen Bogen umzieht die von Norden nach Stuttgart einmündende Eisenbahn etliche Stunden vor dieser Hauptstadt einen Bergkegel, welcher einsam aus dem hier sehr weiten Neckarthal aufragt. Mit seinen abgeplatteten, schräg niederfallenden Wänden macht er den Eindruck einer mächtigen Schanze, gekrönt von einem Fort. Ringsum bis zu stundenweiter Entfernung kein Höhenzug, der diesen Kegel überragte; als ein König beherrscht er die unter ihm liegende Ebene mit ihren Dörfern und Städten, mit Ludwigsburg, dem würtembergischen Potsdam, mit Markgröningen, dem alten Wachtposten der deutschen Reichssturmfahne, mit Bietigheim, dem Knotenpunkt der nach Baden und Baiern führenden Schienenwege.

Auf dieser einsamen Höhe liegt, ähnlich dem sächsischen Königstein, die Veste Hohenasperg. Niemand wohl, der ihren Namen noch nicht in Verbindung mit andern Zwingburgen der Geister gehört hätte; Niemand, der sie auf dem Schienenstrang umkreist und nicht sinnend seine Blicke zu ihr hinaufrichtete. Der Würtemberger zumal hat eine gewisse mit scheuem Ernst gemischte Zärtlichkeit für den Hohenasperg; denn er weiß am besten, was derselbe für seine Heimath zu bedeuten hatte.

Mählich ansteigend wie durch Gärten führt von dem Dorfe Asperg ein schmaler Weg, das „Schmerzensgäßle“ noch heute genannt, auf den Felsen hinauf und längs seines Randes bis zur Veste. Die Bergwand selbst ist bis oben hinauf mit Rebstöcken besetzt und es ist der nicht geringste würtembergische Wein, welcher von ihnen gewonnen wird. Kokett ist jüngst auch ein erstes elegantes Sommerhäuschen an den Fels in stolzer Höhe geklebt worden; denn sowohl als Festung wie nun auch als Staatsgefängniß ist Hohenasperg eingegangen. Die alten vorderen Burgmauern sind schon in Verfall; die unterirdischen Gänge sind verschüttet. Nur der eigentliche Kern innerhalb des schmalen und gemauerten Grabens ist noch in seinem früheren Zustande.

An einem lauen Novembertag besuchte ich mit einem kundigen Begleiter die Veste. Nachdem man das lange Eingangsthor, in dem die Wachmannschaft sich befindet, durchschritten, gelangt man auf den großen viereckigen Hof, welcher die ganze Höhe des Kegels umfaßt. Von drei Seiten umgeben ihn schmucklose Gebäude älterer Bauart, welche theils für die Wohnungen der Garnison, theils für Gefängnisse bestimmt waren. Auf einem Theil des Hofes exercirten ein paar Züge Infanterie, auf einem anderen übten sich Mannschaften im Bajonnetfechten; eine Ecke bildete die Reitbahn, in der ein Officier sein Roß aus Langeweile tummelte. In der Mitte steht eine alte Linde, in deren Schatten einst die Barbarei einer entschwundenen Zeit ihre Marterkunst an den Opfern geübt. Von den drei Wirthschaften, die sonst hier oben Bäcker, Metzger und Profoß hielten, ist die letztere jetzt als überflüssig eingegangen. Es giebt eben keine Gefangenen mehr hier oben; nur noch zwei erfreuten sich des Vorzugs dieses Aufenthalts – des Vorzugs, denn, mußte man schon die Freiheit entbehren, so ertrug man dies Unglück auf dem Hohenasperg in neuerer Zeit mit dem geringsten Ungemach. Einst die Schreckensorte der Despotie, waren diese Gefängnisse seit dem Sieg einer verfassungstreuen Regierung in Würtemberg nur noch für eine humane Festungshaft bestimmt. Hunderte haben sie kennen gelernt, als die Zeiten der Demagogenverfolgung und der nachmärzlichen Reaction auch in Würtemberg ihre Opfer forderten, und Viele von diesen genießen ihr Dasein jetzt noch in Rang und Ehren. Die Zeitungsredacteure Stuttgarts zumal erfreuten sich nur zu oft der Ehre, die Gäste dieses Prytaneums zu sein, und in ihren Reihen ist seufzend beklagt worden, daß die Zeiten von Hohenasperg nun vorüber sein sollen, da gelegentlich doch einmal die Preßfreiheit einem oder dem anderen von ihnen wieder zu unfreiwilliger Muße verhilft. Mein freundlicher Cicerone, Bäckermeister Schwarz aus Stuttgart, suchte mit wahrer Herzensrührung das Zimmer auf, in welchem er ein paar Mal dafür hatte büßen müssen, daß er auch zugleich[1] der populäre Herausgeber der „Bürgerzeitung“ ist. Und in der That, es war ein freundliches

  1. Vorlage: „zugelich“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_006.JPG&oldid=- (Version vom 26.9.2018)