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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Es kam fast wie Reue über mich, daß ich die keinen Geschöpfe aus ihrer selbstgeschaffenen Behaglichkeit aufgestört, und als die Alte mich wutschnaubend, die Kinder aber ganz starr anblickten, da versprach ich ihnen, auch bei Hamstern etwas Eitelkeit voraussetzend und so mein Gewissen beschwichtigend, ich wolle sie malen. Das habe ich denn auch gethan und führe in anliegendem Bildchen den geehrten Lesern der Gartenlaube diese possierlichen und wirklich in ihrem ganzen Wesen und Gebahren nicht uninteressanten Thierchen vor. – Manch’ sinnend Auge ruht vielleicht lächelnd auf der kleinen Gruppe.

Bemerkt sei noch, daß während der vierzehn Tage, welche ich an den Hamstern studirte, die Jungen sehr zahm wurden. –

Hamsterfamilie.
Nach dem Leben gezeichnet von H. Willimer.

Wenn ich sie zeichnete, ließ ich sie zu zwei und drei, von meinem Burschen bewacht, auf einem großen Tisch umherlaufen, dann knabberten sie an Getreide-Aehren, Mohrrüben oder Kartoffeln, und wenn ich mit den Fingern schmalzte, richteten sie sich empor und streckten die drolligen Pfötchen mit den vier rosa Fingern von sich. – Mama Hamster machte aber keine Freundschaft mit mir, sie zernagte alle Tücher, welche ich über das Bauer hing, bog die Stäbe, an welchen sie mit Verzweiflung arbeitete, ganz krumm, und magerte, trotzdem sie fraß, sichtbar ab. Als ich mein Bildchen vollendet, war ich in Verlegenheit: was mit der Sippschaft beginnen, da sie so viel Schaden macht? Tödten mochte ich sie nicht, nachdem ich mit den Kindern auf so freundschaftlichen Fuß gekommen, und auch die Alte hatte mir Modell gestanden. Mein Garten ist von Feld umgeben, das theilweise mein Eigenthum ist. Da schenkte ich ihnen eines Abends die Freiheit wieder. Ob sie sich nun für die erlittene Unbill bezahlt gemacht, auf meinem oder des Nachbarn Felde, ich weiß es nicht, aber ich denke, es ist nicht unrecht, selbst gegen das Thier Dankbarkeit zu üben für, wenn auch nur erzwungene, Dienste.

H. W.


Goethe.
Sein Leben und Dichten in Vorträgen für Frauen geschildert.
Von Johannes Scherr.

„Räthin, er lebt!“

Dieses Zurufswort sprach in froherregtem Großmutterton eine „schöne, hagere, immer weißgekleidete“ Greisin zu ihrer achtzehnjährigen Schwiegertochter, welche bleich und erschöpft in ihren Kissen ruhte, jetzt aber die dunkelbraunen Augen mutterfreudig aufschlug und ihrem neununddreißigjährigen Eheherrn, der gefaßt und „geradlinig“ wie ein richtiger Reichsstadtbürger, aber nicht theilnahmlos an ihrem Bette stand, die Hand drückte.

Das geschah am 28. August 1749 in der altfränkisch getäfelten Schlafstube eines alterthümlichen Bürgerhauses „im Hirschgraben“ zu Frankfurt am Main. Der Nachhall vom Mittagsstundenschlag der Domuhr zitterte noch in der Luft. Die Gestirne blickten günstig: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und Jupiter und Venus sahen freundlich auf sie.

Drei Tage und Nächte hatte die junge schöne Mutter in harten Wehen gerungen. Es galt aber auch einen Löwen zur Welt zu bringen, einen rechten Mannlöwen: den Johann Wolfgang Goethe. Als der Junge endlich erschien, gab er kein Lebenszeichen und war „ganz schwarz, wie aus Zorn, daß ihn die Noth aus dem eingeborenen Wohnort getrieben“. Da legte man den armen Wurm, aus welchem der größte Mann seiner Nation werden sollte, in einen sogenannten „Fleischnarden“ und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_029.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)