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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Sie reichte ihm die Hand. Es waren nur wenige Secunden, während welcher diese Hand, weiß und zart wie ein Blumenblatt, in der rauhen, hartgearbeiteten Faust des jungen Bergmanns lag, aber die leichte Berührung schien ihn seltsam zu durchzucken. Die ganze Bitterkeit verschwand aus seinen Zügen, die Düsterheit aus dem Blicke; das trotzige Haupt beugte sich, mit ihm der starre Nacken, und er neigte sich über die dargebotene Hand mit einem Ausdrucke von Milde und Nachgiebigkeit, wie kein über ihm Stehender sich rühmen konnte, sie jemals an Ulrich Hartmann gesehen zu haben.

„Ah, Sie geben hier Audienz, Eugenie, und noch dazu einem unserer Leute?“ tönte Berkow’s Stimme hinter ihnen, der in diesem Augenblicke die Thür öffnete und in Begleitung seines Sohnes eintrat. Eugenie zog die Hand zurück, und Ulrich richtete sich rasch empor, es hatte nur dieser Stimme bedurft, um seiner Haltung wieder ganz die stumme Feindseligkeit zu geben, die sie sonst so bedeutsam charakterisirte und die noch mehr hervortrat, als Arthur mit einer Schärfe, die eigenthümlich mit seinem sonstigen matten Tone contrastirte, auf einmal fragte:

„Hartmann, wie kommen Sie hierher?“

„Hartmann?“ wiederholte Berkow, aufmerksam gemacht durch den Namen, und trat einen Schritt näher. „Ah, da haben wir ja den Herrn Agitator, der –“

„Der unsere scheu gewordenen Pferde bändigte und dabei selbst eine Wunde davontrug, während er uns das Leben rettete!“ unterbrach ihn Eugenie ruhig, aber mit vollster Entschiedenheit.

„Ja so!“ sagte Berkow, ebenso sehr aus der Fassung gebracht durch diese Erinnerung, wie durch den sehr bestimmten Ton seiner Schwiegertochter. „Ja freilich! Ich hörte bereits davon und der Director sagte mir auch, daß sie und Arthur bereits erkenntlich dafür gewesen wären. Der junge Mann ist jedenfalls hier, um seinen Dank für das Geschenk auszusprechen. Sie waren also zufrieden, Hartmann?“

Die Wolke auf Ulrich’s Stirn ballte sich wieder drohend zusammen und die Entgegnung, welche auf seinen Lippen schwebte, hätte diesmal wahrscheinlich die schwersten Folgen auf ihn herabgezogen, aber Eugenie war ihrem Schützlinge beschwichtigend näher getreten und berührte leise warnend mit dem Fächer seinen Arm. Er verstand die Warnung; er sah sie an, sah den Ausdruck unverhehlter Besorgniß in ihrem Auge, und Trotz und Haß sanken wieder machtlos nieder, als er ruhig, fast kalt entgegnete: „Gewiß, Herr Berkow! Ich bin zufrieden mit dem Danke der gnädigen Frau.“

„Das freut mich!“ sagte Berkow kurz abbrechend. Ulrich wandte sich zu Eugenie.

„Ich darf jetzt wohl gehen, gnädige Frau?“

Sie neigte in stummer Einwilligung das Haupt. Sie sah es nur zu gut, mit welcher Gewalt sich der trotzige Mann hier zur Ruhe zwang; noch ein Gruß gegen den Chef und seinen Sohn hin, ein Gruß, dem man das widerwillig Gezwungene ansah, und er verließ das Gemach.

„Nun, das muß man gestehen, Eugenie, viel Lebensart besitzt Ihr Schützling nicht!“ bemerkte Berkow höhnisch. „Er verabschiedet sich sans façon, ohne zu warten, bis man ihn beurlaubt. Freilich, wo sollen solche Leute auch Manier lernen! – Arthur, Du scheinst diesen Hartmann für eine ganz besondere Merkwürdigkeit zu halten! Hast Du ihm nun lange genug nachgesehen?“

Arthur hatte in der That dem sich Entfernenden unverwandt nachgeblickt und sah noch jetzt ebenso unverwandt auf die Thür, die sich hinter Jenem geschlossen. Die Augenbrauen des jungen Mannes waren leicht zusammengezogen, die Lippen fest auf einander gepreßt. Erst auf die Frage des Vaters hin wendete er sich um.

Dieser näherte sich mit großer Artigkeit seiner Schwiegertochter. „Ich bedaure, Eugenie, daß Ihre völlige Unkenntniß der hiesigen Verhältnisse sie in der Herablassung zu weit gehen ließ. Sie konnten natürlich keine Ahnung davon haben, welche Rolle grade dieser Mensch unter seinen Cameraden spielt, aber er durfte auf keinen Fall in’s Haus kommen, am wenigsten Ihren Salon betreten, selbst unter dem Vorwande eines Dankes für empfangene Geschenke nicht.“

Die junge Frau hatte sich niedergelassen, aber ihr Antlitz trug wieder völlig jenen Ausdruck, der es ihrem Schwiegervater rathsam erscheinen ließ, nicht, wie er anfangs beabsichtigte, an ihrer Seite Platz zu nehmen, sondern ihr gegenüber zu bleiben; sie schien ihn in der That zu zwingen, sie gleichfalls nur „aus der Ferne zu bewundern“.

„Man hat Ihnen, wie ich sehe, nur die Hälfte der fraglichen Angelegenheit mitgetheilt,“ erwiderte sie kühl. „Darf ich fragen, wann sie den Herrn Director zuletzt gesprochen haben?“

„Heute Morgen, wo ich von ihm erfuhr, daß er beauftragt sei, noch im Laufe des Vormittags dem Hartmann eine Summe zu übermitteln, die ich, beiläufig gesagt, viel zu groß finde. Das ist ja ein Vermögen für solche Leute! Indessen ich mochte Ihnen und Arthur darüber keine Vorschriften machen, wenn Sie nun einmal glauben, in dieser übertriebenen Art erkenntlich sein zu müssen.“

„Also wissen Sie noch nicht, daß der junge Mann die ganze Summe ausgeschlagen hat?“

„Aus – ausgeschlagen?“ rief Berkow zurückprallend.

„Ausgeschlagen?“ wiederholte auch Arthur, „weshalb?“

„Vermuthlich weil es ihn beleidigte, durch einen Dritten mit einer Geldsumme abgefunden zu werden, während die, welche er rettete, es nicht der Mühe werth hielten, auch nur ein Wort des Dankes hinzuzufügen. Ich habe die letztere Versäumniß allerdings wieder gut zu machen gesucht, konnte ihn aber nicht bewegen, auch nur das Geringste anzunehmen. Es scheint doch nicht, als ob der Director das so ‚ausgezeichnet arrangirt hätte‘!“

Arthur biß sich auf die Lippen. Er wußte, an welche Adresse die Worte gerichtet waren, obgleich sie zu seinem Vater gesprochen wurden.

„Es scheint also, Du hast ihn eigens herrufen lassen?“ fragte er.

„Allerdings!“

„Ich wollte, Sie hätten das unterlassen!“ sagte Berkow etwas gereizt. „Gerade dieser Hartmann wird mir von allen Seiten als das eigentlich revolutionäre Element unter den Arbeitern bezeichnet, gegen das ich eben im Begriffe bin, mit vollster Strenge vorzugehen. Daß man mir nicht zuviel gesagt hat, sehe ich jetzt deutlich! Untersteht sich dieser Mensch, eine solche Summe auszuschlagen, nur weil man bei der Auszahlung nicht mit all der übertriebenen Umständlichkeit zu Werke geht, die sein Hochmuth verlangt! Ja freilich, der ist zu allem fähig. Ich muß sie doch daran erinnern, Eugenie, daß meine Schwiegertochter gewisse Rücksichten zu nehmen hat, selbst da, wo es sich um einen Beweis ihrer Güte handelt.“

Um Eugeniens stolze Lippen legte sich wieder jener verächtliche Ausdruck, mit dem sie ihrem Schwiegervater schon öfter entgegengetreten war. Die Erinnerung an das, wozu er sie gezwungen, war freilich am wenigsten geeignet, sie seinen Wünschen geneigt zu machen, und die bei dieser Erinnerung neu aufflammende Bitterkeit ließ sie sogar das ursprünglich Gerechte in seiner Forderung übersehen.

„Ich bedaure, Herr Berkow, daß mir denn doch noch einige andere Rücksichten maßgebend sind, als nur die, Ihre Schwiegertochter zu heißen!“ entgegnete sie eisig. „Es lag hier ein Ausnahmefall vor und Sie werden mir erlauben, auch künftig in solchen Fällen mein eigenes Urtheil zur alleinigen Richtschnur meines Handelns zu machen.


(Fortsetzung folgt.)




Beim schwarzen Jack im Zoologischen Garten in Berlin.


Wohl jedem Besucher zoologischer Gärten wird sehr bald ein Unterschied zwischen diesen und den wandernden Menagerien aufgefallen sein, und zwar derjenige, daß, während in den Menagerien aus zwingenden Gründen immer und immer wieder vorzugsweise die größeren Raubthierarten nebst den unvermeidlichen Affen gezeigt werden, die zoologischen Gärten sich mit besonderer Liebe der Pflege der pflanzenfressenden Säugethiere widmen und mit ihnen gewöhnlich beginnen. Die Gründe dafür

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_056.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)