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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Realschule geschickt. Er sollte Mechaniker oder Chemiker oder Baumeister werden. Aber weder die hier verbrachten drei Jahre, noch die ebensolange Studienzeit auf der Oberrealschule in Rakonitz, einem altersgrauen Städtchen im Prager Kreise, konnten ihm die fehlende Liebe für die trockenen mathematischen Formeln beibringen. Dennoch folgte er dem väterlichen Gebot, das ihn im Herbst des Jahres 1860 nach Wien in das polytechnische Institut wies. Dort zeigten Theater und Bildergallerie erst recht ihm seinen Lebensgang, und obwohl schon damals ihm der Beruf eines dramatischen Sängers als das beneidenswertheste Loos erschien, so war er doch schon glücklich, als sein Vater mit schwerem Herzen seinem dringenden Wunsche, Maler zu werden, nachgab und ihn die Akademie in Wien besuchen ließ. Nach einem Jahre siedelte er nach München über. Dort machte er bald die erfreulichsten Fortschritte und glaubte nun auf dem ihm bestimmten Lebens- und Kunstpfade zu wandeln. Da ward durch ein an und für sich geringfügiges Ereigniß in seinem Leben der wichtigste und für immer entscheidende Wendepunkt herbeigeführt. Schon längst hatten Bekannte und Freunde sich an dem wohllautenden Bariton erfreut, mit welchem er die Lieder vortrug. Bei Gelegenheit eines heitern Weihnachtsfestes, welches eine Künstlergesellschaft anstellte, der auch der junge Maler angehörte, sang er, nach Beendigung einer tragikomischen Ritterkomödie, worin er den grausamen Vater der „Kunigunde“ spielte, mehrere Lieder, wodurch er die Aufmerksamkeit seines Lehrers Anschütz erregte, der Art, daß er ihm sogleich ernstlich rieth, einen umfassendern Gebrauch von seiner Gesangsgabe zu machen, ja vielleicht einst seinen Beruf darin zu suchen.

Diesem Winke folgte er, nachdem ihm jener bei dem damaligen Director des Münchener Conservatoriums für Musik, Franz Hauser, einen Freiplatz in erwähntem Institute ausgewirkt, und nachdem er etwa zwei Jahre das Conservatorium besucht hatte, entschloß er sich endlich fest, auf der Bühne als dramatischer Sänger sein Glück zu versuchen. Generalmusikdirector Franz Lachner forderte ihn zu einem Probegesang auf dem Münchener Hoftheater auf, und nachdem dieser zur Zufriedenheit ausgefallen, wurde Gura im April des Jahres 1865 für die königliche Hofbühne auf die Dauer von drei Jahren engagirt.

Am 14. September 1865, an seinem dreiundzwanzigsten Jahre, betrat Gura zum ersten Male die Bühne als Graf Liebenau in Lortzing’s „Waffenschmied“. Trotz des großen Beifalls, den er erhielt, fühlte er recht gut, wie viel ihm noch fehlte. Seine Stimme reichte damals kaum für die großen Räume des Hoftheaters aus. Spiel und Bewegungen waren zaghaft und schüchtern. Im September 1867 ging er nach Breslau, wo er von dem Director Lobe an dem neuerbauten Stadttheater ein vortheilhaftes Engagement erhielt. Dort erreichte er, nachdem er vorher noch manche herbe Täuschung erlebt, nach Verlauf eines Jahres, durch beharrlichstes Studium, durch häufige mannigfache Beschäftigung auf den Brettern, eine bedeutend höhere Stufe und errang Erfolge, die er sich früher nie hätte träumen lassen. Ein Glück für ihn war, daß der Director Lobe, selbst ein trefflicher Schauspieler, die Befähigung des neuengagirten Mitgliedes sogleich erkannte und Gura allmählich in immer bedeutenderen Rollen vorführte und selbst im Schauspiel verwandte; Gura spielte zum Beispiel den Talbot in der „Jungfrau von Orleans“ etc. Dadurch gewann er schließlich seine Sicherheit des Auftretens, seine Beherrschung in den Bewegungen, seine Deutlichkeit in der Declamation. Außerdem nahm sein Organ durch fortgesetzte Uebung bedeutend an Kraft, Glanz und zäher Ausdauer zu, so daß er leicht an zwei aufeinander folgenden Tagen die Baßpartie des Gaveston in der „Weißen Dame“ und die schwierige hochliegende Partie des Bois Guilbert in Marschner’s „Templer und Jüdin“ singen konnte.

In Folge des ausbrechenden Krieges von 1870 sah sich der Breslauer Director genöthigt, die Verträge mit sämmtlichen Mitgliedern zu lösen, und so konnte Gura einen Contract auf zwei Jahre mit dem Leipziger Stadttheater abschließen. Mit diesem Moment waren die Lehrjahre Gura’s vorbei, und der Meister stand fertig da.

Wie er nun am 5. September 1870 den Wolfgang von Eschenbach und als zweite Partie den „Tell“ sang, was er von da an bis heute gewirkt, und wie das Publicum ihn als einen seiner größten Lieblinge betrachtet, habe ich oben bereits berichtet.

Schließlich will ich noch eine Bemerkung machen, welche mir manche wirkliche und viele eingebildete Genies übel nehmen werden. Ich bin gegen die Forderung, daß man den Künstler vom Menschen scheiden müsse. Nur was Jener zeige, gehöre vor die Oeffentlichkeit, das Privatleben gehe Niemanden was an. Nun meinetwegen: decke man den Mantel der christlichen Liebe über die Schwächen und Gebrechen aller der Künstler, die des Zudeckens bedürfen. Ich darf aber doch wohl sagen, und es wird den sämmtlichen Lesern der Gartenlaube kein unangenehmes Gefühl erwecken, daß unser Eugen Gura ein liebevoller, dankbarer Sohn, ein braver Gatte und Vater ist, ein Mann von Ehre, der niemals wortbrüchig aus seinem Contract herausspringen wird, wenn er auch in fremden Welttheilen Millionen gewinnen könnte; der seine besten aufopferndsten Freunde nicht mit dem schwärzesten Undank belohnt; kurz ein Mann, der abermals ein Beispiel liefert, daß man ein ausgezeichneter Künstler und zugleich ein rechtschaffener Mensch sein kann.

J. C. Lobe.


Ueber Hypnotismus bei Thieren,[1]

nebst gelegentlichen Bemerkungen über Naturwissenschaft und Spiritismus, Geistermanifestationen u. dergl.
Von Prof. Joh. Czermak.

Hochverehrte Anwesende! Der Gegenstand, welchen ich in meinen beiden Vorträgen zu behandeln gedenke, dürfte in doppelter Hinsicht von allgemeinem Interesse sein.

Einmal sind die physiologischen Erscheinungen, welche ich besprechen will und vor Ihren Augen an verschiedenen Thieren hervorzurufen und zu demonstriren bemüht sein werde, an und für sich außerordentlich überraschend und wunderbar; sodann aber bieten sie Gelegenheit zu allgemeinen Betrachtungen von culturhistorischem Interesse, indem sie uns den werthvollen Nachweis zu liefern gestatten, wie urtheilslos sich der naturwissenschaftlich ungeschulte Mensch bei der Beobachtung von Naturvorgängen einem trügerischen Augenschein gefangen zu geben pflegt und Dinge und Geschehnisse thatsächlich und unmittelbar wahrgenommen zu haben steif und fest überzeugt ist, welche sich in Wirklichkeit gar nicht ereignet haben!

Diese Urtheilslosigkeit und diese Hartnäckigkeit sind geradezu erstaunlich und lassen erkennen, wie wenig Gewicht der Naturforscher auf das aufrichtigste Zeugniß der glaubwürdigsten und ehrenhaftesten Personen legen darf, wenn es sich um die Constatirung von noch unaufgeklärten Naturerscheinungen und ihres ursächlichen Zusammenhanges handelt, – selbst wenn jene Personen eine hervorragende allgemeine, und vielleicht auch naturwissenschaftliche Bildung besitzen, vom Geiste der exacten Naturforschung aber doch nicht völlig durchdrungen sind. Wie oft muß man nicht von ernsten und aufrichtigen Berichterstattern über ungewöhnliche oder zweifelhafte Naturvorgänge die mit steigender Gereiztheit und Entrüstung vorgebrachte Versicherung hören: „Ich bin aber doch selbst dabei gewesen! – ich habe ja selbst Alles mit meinen eigenen Augen mit angesehen, mit meinen eigenen Ohren mit angehört! Was ich berichte, ist eine Thatsache!“


  1. Obige Vorträge wurden den 24. und 25. Januar 1873 im Amphitheater des physiologischen Privatlaboratoriums an der Universität Leipzig gehalten. – Zur Erklärung des Wortes Hypnotismus bemerken wir, daß es von dem griechischen „ὕπνος“ (der Schlaf) abgeleitet ist. Der schottische Chirurg Mr. Braid hat dasselbe im Jahre 1841 in die Wissenschaft eingeführt; er hat damit jene eigenthümlichen schlafartigen Zustände und sonstigen Nervenerscheinungen bezeichnen wollen, welche sich bei manchen Menschen in Folge länger fortgesetzten starren Fixirens selbst eines kleinen leblosen Gegenstandes einstellen und welche man früher als Phänomen des Mesmerismus, Somnambulismus, thierischen Magnetismus betrachtete. Die Worte Hypnotismus und Braidismus sind daher gleichbedeutend.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_111.JPG&oldid=- (Version vom 29.8.2018)