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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 8.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


„Wir sind Beide nicht frei genug, um alle Rücksichten bei Seite zu setzen,“ fuhr Arthur in dem gleichen Tone fort, „Dein Vater wie der meinige sind zu bekannt in ihren Kreisen, unsere Verbindung machte zu großes Aufsehen, als daß wir sie sofort wieder hätten lösen können, ohne der Residenz einen unerschöpflichen Stoff zu Skandalgeschichten zu liefern, deren lächerliche Helden wir geworden wären. Man trennt sich nicht nach vierundzwanzig Stunden ohne jede äußere Veranlassung, auch nicht nach acht Tagen, man hält ‚anstandshalber‘ ein Jahr miteinander aus, um dann mit einiger Wahrscheinlichkeit erklären zu können, daß die Charaktere nicht zusammen passen. Ich hoffte, so lange würden auch wir das Nebeneinanderleben ertragen; es scheint aber doch, als ob unsere Kräfte der Aufgabe nicht gewachsen sind. Wenn das so fortgeht, erliegen wir ihr Beide.“

Der Arm, den die junge Frau um den Stamm des Baumes geschlungen hatte, zitterte leise, aber ihre Stimme klang vollkommen fest, als sie entgegnete:

„Ich erliege nicht so leicht einer einmal übernommenen Aufgabe, und was Dich betrifft, so glaubte ich in der That nicht, daß Du überhaupt eine Empfindung für das Peinliche dieses Zusammenlebens hättest.“

Sein Blick sprühte auf; es war wieder jenes schnelle, blitzähnliche Aufleuchten, das in den braunen Augen kam und ging, ohne eine Spur zu hinterlassen; sie waren matt und ausdruckslos wie gewöhnlich, als er nach einer kurzen Pause antwortete:

„Du glaubtest das in der That nicht? So? Nun, auf meine Empfindungen kommt es ja auch nicht an. Ich hätte diesen Punkt überhaupt nicht berührt, hätte ich nicht die Nothwendigkeit eingesehen, Dir die Beruhigung zu geben, daß unsere Verbindung gelöst werden soll, sobald es der Welt gegenüber nur irgend möglich ist. Vielleicht sehe ich Dich dann nicht mehr so bleich, wie in diesen letzten Tagen, und vielleicht glaubst Du mir nun auch, was Dir bisher immer noch als eine Lüge galt, daß ich keine Ahnung von jenen Machinationen hatte, die mir eine Hand erzwangen, welche ich freiwillig zu empfangen wähnte.“

„Ich glaube Dir, Arthur“ sagte sie leise, „jetzt glaube ich Dir.“

Arthur lächelte, aber es war ein Lächeln grenzenloser Bitterkeit, mit dem er diesen ersten Beweis des Vertrauens seiner Gattin empfing, in dem Momente, wo er sie aufgab.

„Der Nebel fängt an zu fallen,“ sagte er abbrechend, „und auch der Sturm scheint sich für einige Minuten zu legen. Wir müssen das benutzen, um hinabzukommen; unten im Thale sind wir geschützt und erreichen in wenigen Minuten den Pachthof, wo man uns hoffentlich einen Wagen leihen kann. Willst Du mir folgen?“

Der Weg war steil und schlüpfrig; aber Arthur schien heute nun einmal seine ganze Natur verleugnen zu wollen; er schritt fest und sicher bergabwärts, während Eugenie in ihren dünnen Schuhen und langen Kleidern, durch den Mantel noch mehr in ihren Bewegungen gehindert, kaum vorwärts schreiten konnte. Er sah, daß er ihr zu Hülfe kommen mußte, aber mit einem bloßen Arm-bieten war es auf diesem Wege nicht gethan; er mußte sie nothgedrungen umfassen, wenn die Hülfe überhaupt etwas nützen sollte, und das – ging doch nicht. Der Gatte scheute sich hier, seiner Gattin einen Dienst zu leisten, den er jeder Fremden geleistet hätte, und was jede Fremde unter diesen Umständen unbedenklich angenommen hätte, das zauderte die Frau hier von ihrem Manne anzunehmen; sie bebte leise zusammen, als er nach kurzem Zögern schließlich doch den Arm um sie legte. Keines von Beiden sprach ein Wort während des ganzen nur etwa zehn Minuten dauernden Weges, aber Eugeniens Antlitz wurde immer bleicher bei jedem Schritt, den sie niederwärts thaten. Sie schien es nun einmal nicht ertragen zu können, daß dieser Arm sie umfaßte, daß sie sich auf diese Schulter stützen mußte, so nahe, daß sein Athem sie berührte; und doch erleichterte er ihr das Peinliche der Situation so viel als möglich. Nicht ein einziger Blick fiel auf sie; seine ganze Aufmerksamkeit schien auf den Weg gerichtet, der allerdings Sorgfalt und Umsicht genug erforderte, sollten sie nicht Beide hinabgleiten. Aber die Lippen des jungen Mannes zeigten trotz aller Ruhe doch wieder das verrätherische Zucken, und als er, unten angelangt, mit einem tiefem Aufathmen seine Frau aus den Armen ließ, da sah man deutlich, daß er bei dieser seltsamen Promenade nichts weniger als ruhig gewesen war.

Zwischen den Bäumen hervor schimmerten bereits die Gebäude des Pachthofes, und hastig, als müßten sie um jeden Preis das fernere Alleinsein abkürzen, schlugen Beide den Weg dorthin ein. Ueber sie hin brausten die Frühlingsstürme, und oben auf der Höhe legte sich der Nebel wieder dicht um die Tanne am Saume des Waldes, die ihre Zweige schirmend über zwei Menschen ausgebreitet hatte in der Stunde, von der die Bergsagen erzählen: „Was sich da findet, das gehört zusammen für immer, und was sich da trennt, das trennt sich für alle Ewigkeit!“




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_121.JPG&oldid=- (Version vom 28.5.2018)