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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

daß das Holzwerk dröhnte. „Geh’ zu der Martha, heirathe sie, mach’ was Du willst, aber rede mir nicht länger von solchen Geschichten! ich will, ich kann das nicht hören!“

Der junge Bergmann sah seinen Freund erstaunt an; er konnte sich diese wilde Zurückweisung nicht erklären; es war doch kein Zweifel, daß Jener das Mädchen freiwillig aufgab; es blieb ihm aber keine Zeit, darüber nachzugrübeln, denn in diesem Augenblick wurde draußen die scharfe Stimme Berkow’s laut, die in sehr ungnädigem Tone zu den ihn begleitenden Beamten sagte:

„Und nun bitte ich wirklich, meine Herren, davon aufzuhören! Die alte Wetterführung hat so lange vorgehalten, ohne daß ein Unglück geschehen ist, und wird es auch ferner thun. Wir brauchen keine kostspieligen Neuerungen, die Sie für nothwendig zu erklären belieben, weil es nicht aus Ihrer Tasche geht. Denken Sie, daß ich hier eine philanthropische Musteranstalt will? Die Betriebsfähigkeit will ich erhöht wissen, und die Ausgaben, die Sie dafür ansetzen, werden bewilligt werden. Das Uebrige wird gestrichen. Wenn die Bergleute in Gefahr sind, so kann ich das nicht ändern; das bringt ihr Brod eben so mit sich. Ich kann nicht Tausende fortwerfen, um ein paar Häuer und Förderleute vor einem Unglück zu sichern, das möglicher Weise einmal kommen könnte und bis jetzt noch nicht gekommen ist. Die Arbeiten in den Schachten werden auf das Allernothwendigste beschränkt, um sie betriebsfähig zu erhalten, und damit Punctum!“

Er stieß die Thür des Schachthauses auf und schien unangenehm überrascht zu sein, als er die beiden Bergleute gewahrte, die er hier wohl nicht vermuthet hatte und die seine letzten Worte gehört haben mußten. Noch unangenehmer als ihm schien ihre Gegenwart dem Oberingenieur zu sein.

„Hartmann, was thun Sie noch hier oben?“ fragte er betreten.

„Der Obersteiger sagte uns, wir müßten die Herren in den Fahrschacht begleiten,“ antwortete Ulrich, ohne das dunkelglühende Auge von Berkow abzuwenden.

Der Oberingenieur zuckte leicht die Achseln und wandte sich zu seinem Chef mit einer Miene, in der deutlich genug zu lesen war: „dazu hätte er auch einen Andern aussuchen können“ – indessen äußerte er nichts.

„Schon gut!“ sagte Berkow kurz. „Fahrt immer an, wir kommen nach. Glück auf!“

Die beiden Bergleute gehorchten; als sie den Herren aus dem Gesichte waren, hielt Lorenz einen Augenblick inne.

„Ulrich!“

„Was willst Du?“

„Hast Du gehört?“

„Daß er nicht Tausende wegwerfen kann, um ein paar Häuer und Förderer zu sichern? Aber der Betrieb soll auf Hunderttausende erhöht werden! Nun, sicher ist am Ende Niemand hier in der Tiefe, und er fährt ja heute auch ein. Wir wollen abwarten, an wen zuerst die Reihe kommt. Mach’ fort, Karl!“ –

Es schien in der That, als ob mit dem Unwetter des gestrigen Tages sich der so lange ersehnte Frühling sein Reich erstritten habe; mit einer solchen Zauberschnelle hatte sich die Witterung über Nacht geändert. Wie spurlos verschwunden waren Nebel und Wolken, mit ihnen Wind und Kälte; die Berge lagen jetzt so klar da, umleuchtet von dem hellen Sonnenschein, umweht von der milden warmen Luft, daß man sich nun endlich der Hoffnung hingeben durfte, es sei vorbei mit dem ewigen Regen und Sturm der letzten Wochen, vorbei für eine lange sonnenhelle Frühlings- und Sommerzeit.

Eugenie war auf ihren Balcon getreten und blickte hinaus in die nun endlich entschleierte Landschaft. Ihr Auge haftete nachdenklich und träumerisch auf den Bergen drüben. Vielleicht dachte sie an die gestrige Nebelstunde dort oben auf der Höhe; vielleicht tönte noch in ihren Ohren das Rauschen und Wehen der grünen Tannenarme; aber die Erinnerungen wurden rasch und gewaltsam durch den Klang eines Posthorns unterbrochen, das in ihrer unmittelbaren Nähe ertönte; gleich darauf fuhr eine Extrapostchaise unten an der Terrasse vor, und mit einem Schrei der Freude und Ueberraschung flog die junge Frau vom Balcon zurück.

„Mein Vater!“

Es war in der That Baron Windeg, der rasch aus dem Wagen stieg und in’s Haus trat, wo ihn seine Tochter schon oben an der Treppe empfing. Es war das erste Wiedersehen zwischen ihnen seit ihrer Vermählung, und trotz der Gegenwart der beiden Diener, die herbeigestürzt kamen, den vornehmen Gast zu empfangen, schloß der Vater sein Kind so leidenschaftlich fest in die Arme wie damals am Abende ihres Hochzeittages, als sie im Reisekleide von[WS 1] ihm Abschied nahm. Die junge Frau machte sich endlich sanft los und zog ihn mit sich in ihr Lieblingszimmer, den kleinen blauen Salon.


(Fortsetzung folgt.)



Brodvisitation beim Dorfbäcker.


Es lebt in München eine kleine Schaar von Künstlern, die den hervorragenden Rang, den sie unter ihren gleichaltrigen Collegen einnehmen, keiner Schule, keiner Akademie, auch nicht einem glücklichen Schicksale, sondern nur ihrem eigenen Talente, ihrer Strebsamkeit und der oft im Kampfe mit den schwierigsten Verhältnissen gestählten Energie zu danken haben. Dem Dichten und Schaffen solcher Männer spenden wir um so freigebiger unser Interesse, als dieselben vollständig ihre eigenen Wege gegangen, durchaus originell in ihrer Compositionsweise und in der Manier ihrer Technik geworden und durch selbsteigene Thätigkeit zu einem Resultate gelangt sind, das Anderen nur erreichbar ist, wenn ihnen durch die besten Schulen und Anleitungen das Vorwärtskommen auf jede mögliche Weise erleichtert wird.

Dieser Autodidakten Einer ist es, dessen Bild „die Brodvisitation“ wir heute unseren Lesern vorführen; es ist dasjenige Bild, welches dem Künstler, nachdem er lange in Verhältnissen gelebt, die jedem Anderen alle Lust zum Schaffen verkümmert hätten, das Schicksal zum ersten Male geneigt machte und ihm endgültig einen Platz unter den berühmteren Namen in München verschaffte.

Hirschfelder führt uns in eine Bäckerstube seiner Heimath Hohenzollern; der Tag der Vergeltung für die Bäcker, der Tag der Brodvisitation, der mit dem jüngsten Tage das Ueberraschen Unvorbereiteter gemein hat, sucht den Bäcker mit einem Actuar nebst Amtsdiener heim. Den kritischesten Moment der Prüfung sehen wir vor uns. Bäcker, die zu schweres Brod backen, gehören zu den seltensten Ausnahmen; auch unser Mann ist nicht darunter, denn – das Zünglein der Wage hat entschieden Partei genommen, es hat einen unwiderstehlichen Zug empfunden, sich stark nach der Schale zu neigen, welche das erbarmungslose Gewicht enthält. Bei so bedeutender Differenz müßte der Visitator nicht ein Auge, sondern beide zudrücken, wenn er nicht sehen wollte. Darum macht er auch mit der linken Hand eine bedenkliche Bewegung, als wollte er sagen: „es thut mir leid, aber –“ Die Frau des Bäckers, der verlegen und rathlos sich das Kinn kratzt, sucht sofort Herrin der Situation zu werden und das drohende Unwetter abzuwenden. Sie wendet sich nicht direct an den Amtsdiener, aber indem sie ihrem Gatten darüber Vorwürfe macht, daß er sich die Praxis des „neuen, metrischen Gewichtes“ (das alte Gewicht war in Hohenzollern leichter) gehörig anzueignen zu saumselig gewesen sei, sucht sie den Herrn Visitator für die Annahme mildernder Umstände geneigt zu machen. Auch die Großmutter will das Ihrige thun; sie macht sich an den Actuar, und will mit einem Gläschen feinen, für besondere Anlässe bereit gehaltenen Liqueurs die Härte seines Herzens erweichen; die Unschuld und Naivetät des Kindes, das sie schlau mit einem Teller vorschiebt, sollen gleichfalls zum Attentat auf den Mann des Gesetzes dienen. Letzterer, eine urkomische Gestalt mit der Physiognomie eines Mannes, der unter Umständen mit sich reden läßt und in früheren Zeiten vielleicht viele „Beschwichtigungen“ miterlebt hat, blickt lüsternen Blickes auf die Verführungsmittel, den Liqueur und die schönen Aepfel, die vollständig auf seinen Geschmack berechnet scheinen, er ist noch nicht im Reinen mit sich, was er thun soll, er hat den qualvollen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vom
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_124.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)