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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Die andere Classe jedoch machen jene anständigen und ehrenwerthen Leute aus, welche es wirklich ernst und aufrichtig mit der Sache meinen – und diese haben ein volles Recht, von uns berücksichtigt, besprochen und ernst und wohlmeinend zurechtgewiesen zu werden – wenn auch Rath und Belehrung natürlich taube Ohren finden!

In dieser Classe sind wieder zwei Gruppen zu unterscheiden: erstens gute Menschen, aber schlechte oder vielmehr gar keine Musikanten, d. h. die naturwissenschaftlichen Laien, die sich entweder niemals oder nur ganz oberflächlich mit Naturforschung, ihren Resultaten und Methoden beschäftigt haben; und zweitens einige wenige Naturforscher von Beruf, die sich sogar auf ihren speciellen Fachgebieten wirkliche und bleibende Verdienste um die Wissenschaft erworben haben können.

Von Denjenigen, welche zur ersten Gruppe dieser Classe gehören und somit ohne Beruf und specielle Vorbildung anscheinend so verwickelte und räthselhafte Vorgänge zu untersuchen sich unterfangen, können wir einfach Folgendes sagen: Hätten diese Biedermänner auch nur eine Ahnung von den Erfordernissen und Schwierigkeiten einer exacten Naturbeobachtung, einen leisen Begriff von der Strenge des Beweises, welche die Wissenschaft unbedingt fordern muß, wenn es sich um die Constatirung von Thatsachen und um die Ermittelung des ursächlichen Zusammenhanges selbst der einfachsten Vorgänge handelt, so würden sie in aller Bescheidenheit von ihren wunderlichen, sinn- und fruchtlosen Bestrebungen gänzlich ablassen, und – wohlgemerkt – zuerst und vor Allem mit dem so reichen Schatze der Errungenschaften der heutigen Naturlehre, und mit jenem Geiste der nüchternen, strengen Forschung sich bekannt zu machen und zu durchdringen suchen, ohne welchen der Mensch – einem Schiff ohne Steuer und Compaß vergleichbar – auf dem Meere des Irrthums und der Täuschung rettungslos herumgeworfen – bis zum Blödsinn verwirrt werden kann! – Ihnen sei der aufrichtige und wohlgemeinte Rath ertheilt, sich, trotz aller Lockung, alles Reizes des Geheimnißvollen und Uebernatürlichen, von jenen nutzlosen und die Integrität ihrer Geistesfunctionen gefährdenden Beschäftigungen absolut fernzuhalten. Ein trefflicher Wahrspruch sagt: „Es giebt eine Tugend der Entsagung im intellectuellen, wie im moralischen Gebiet.“ Und man muß hier, um sich nicht in Versuchung zu führen, diese Entsagung nach den übertrieben rigorosen, aber praktisch erprobten Principien der englischen Temperance-Vereine bis zum intellectuellen „Teatotalism“ treiben!

Schwieriger, so scheint es, ist’s, mit der zweiten Gruppe dieser Classe fertig zu werden, – indessen ist es für jeden Denkenden klar, wären die wenigen Naturforscher, welche diese Gruppe ausmachen, vom Geiste der nüchternen, strengen Forschung, der ihnen früher eigen gewesen sein mag, nicht gänzlich verlassen, so hätten sie längst Mittel und Wege gefunden haben müssen, die „ungenau beobachteten“ Thatsachen, für welche, als von wirklichen Thatsachen, Zeugniß abzulegen sie sich nicht entblöden, wenigstens in einer echt wissenschaftlichen, das Vertrauen und die Beachtung aller nüchternen Forscher gewinnenden Weise zu constatiren. Da ihnen dies aber niemals und in keiner Weise – höchstens gegenüber der Urtheilslosigkeit beschränkter Fanatiker – gelungen ist, so sinkt der Werth auch ihres Zeugnisses, trotz seiner zweifellosen Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, auf das gleiche Niveau mit den nicht minder glaubwürdigen und ernst gemeinten Zeugnissen der urtheilslosen Laienmenge, der ersten Gruppe dieser Classe von Biedermännern, herab.

In Bezug auf die Beobachtung und Erkenntniß der Naturvorgänge kann man nicht, wie über menschliche Gesetzesparagraphen, per majora abstimmen lassen, – hier dürfen die Stimmen eben nicht gezählt – sie müssen gewogen werden!

Um übrigens keine Veranlassung zu Mißverständnissen zu geben, will ich ausdrücklich hervorheben, daß die selbstverständlich sehr vereinzelten Naturforscher, von denen ich hier spreche, nicht etwa deshalb allen ihren früheren, etwaigen Ruf, all ihr Gewicht und Ansehen in der Wissenschaft verdientermaßen verloren haben, weil sie mit ihrem Zeugniß für die Realität unerhörter und absolut unglaublich anscheinender Vorgänge öffentlich eintraten, sondern nur deshalb, wie und auf welche Begründung hin sie dies thaten – d. h. Dinge für wirkliche Thatsachen erklärten, die bisher noch gar nichts, als höchstens „ungenau beobachtete“ Thatsachen sind. –

(Schluß folgt.)


Erinnerungen aus dem Indianeraufstand in Minnesota.

2. Belagerung von Fort Ridgley.

Zwölf Meilen südöstlich von der „Unteren Agentur“ am nördlichen Ufer des Minnesota, ungefähr eine halbe Meile vom Flusse entfernt, liegt Fort Ridgley am Rande der hohen Prairie. Zwischen dieser letzteren und dem Wasser zieht sich eine mit dichtem Buschwerk und höheren Bäumen bewachsene Niederung hin, die sich dann gegen den Prairierand zu zwei vielfach durchschluchteten Waldhöhen erhebt, das Fort gleichsam mit zwei Armen umfassend.

Unter einem solchen sogenannten Fort im Westen der Vereinigten Staaten muß der Leser sich freilich nichts einer Festung Aehnliches vorstellen. Es besteht in der Regel aus nichts als einer Reihe niedriger Holzbaracken für die Soldaten, einigen besseren Wohnhäusern für die Officiere und einer Anzahl anderer leichter Gebäude, theils zu wirthschaftlichen Zwecken, theils für die Familien der Besatzung bestimmt, das Ganze mit Palissaden oder einer leichten Mauer umgeben. Alles ist nur darauf berechnet, den umwohnenden Ansiedlern Schutz gegen die Räubereien und gelegentlichen Feindseligkeiten der Indianer zu gewähren, sowie diesen letzteren durch die Anwesenheit einer Militärmacht den nötigen Respect einzuflößen.

Fort Ridgley war einer der am oberflächlichsten befestigten dieser kleinen Militärposten. Erst vor zehn Jahren angelegt, hatte es sich noch nie gegen ernstliche Angriffe zu vertheidigen gehabt. Ueberdies hatte man bei dem allgemeinen Sicherheitsgefühl, dem sich Alles hingegeben hatte, verabsäumt, auch die nöthigsten Vorsichtsmaßregeln gegen etwaige Feindseligkeiten ernsterer Art zu treffen. Die Südseite des Forts, gegen den Fluß zu, bestand aus einer langen Reihe leichter Holzbaracken; zwischen diesen und dem ziemlich steil abfallenden Prairierand befanden sich ein großer Stall, eine Scheune und zwei alte Häuser. Die Ostseite, an der sich eine Schlucht hinaufzieht, wurde ebenfalls von Soldatenbaracken gebildet; zwischen diesen und der Schlucht stand eine Anzahl kleiner Blockhäuser, die gewöhnlich von Soldatenfamilien als Wohnungen benutzt wurden. An der Westseite lagen, außerhalb des Forts, das Wohnhaus und das Magazin des Postenhändlers. Nach Norden dehnte sich die weite, freie Prairie unabsehbar aus.

Die ganze Umgebung bot einem auf Indianerweise kämpfenden Feinde hinreichend Schutz und Deckung dar. Dazu kam noch, daß das Wetter schon seit einiger Zeit sehr trocken gewesen, die mit Schindeln gedeckten sich weithin streckenden Dächer ausgedörrt wie Zunder waren, und im Fort selbst sich weder Brunnen noch Cisternen befanden, sondern das Wasser aus einer sechszig Ruthen entfernten Quelle in der östlichen Schlucht geholt werden mußte. Der Leser wird es daher begreiflich finden, daß die Besatzung nicht ohne Besorgniß war, als am 18. August Vormittags um neun Uhr der erste Bote eintraf, welcher den Ausbruch und das Blutbad an der „Unteren Agentur“ meldete. Es befanden sich in dem Augenblick nur achtzig Mann vom fünften Minnesota-Freiwilligenregiment im Fort, unter dem Befehl des Capitains J. S. Marsh. Vierundzwanzig Stunden vorher waren zwei Abtheilungen von je fünfzig Mann, die eine nach Fort Ripley am oberen Mississippi, die andere nach Fort Snelling bei St. Paul, abgeschickt worden. Kaum hatte der Unglücksbote seinen Bericht erstattet, als der tapfere Capitain sich, schnell entschlossen, an die Spitze von sechsundvierzig Mann stellte und in Begleitung des Dolmetschers Quinn unverzüglich nach dem zwölf Meilen entfernten Schauplatz der Blutscene aufbrach. Es blieben also nur vierunddreißig Mann unter Lieutenant Culver zurück, die nebst drei Geschützen unter Sergeant Jones die ganze militärische Besatzung des Forts ausmachten, wozu allerdings eine Anzahl Civilisten kamen, die im Laufe des Tages

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_162.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)