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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

einem solchen Wanderbuche, welches uns vorgelegen, waren auch allerlei scherzhafte Visa enthalten.

Wann diese humoristische Besenbinderzunft zu Schwarzburg gegründet und die oben erwähnte Ordnung entworfen worden ist, kann nicht nachgewiesen werden. Die Innungstage auf „Herrn Herrn Fastnacht“ wurden, wie sich alte Leute zu erinnern wissen, schon am Ende des vorigen Jahrhunderts abgehalten. Ein „Ehrbarer Lehrbrief“ eines Besenbinders, den wir eingesehen haben, ist aus dem Jahre 1798 datirt. Die Innungstage der Besenbinder waren Festtage für das ganze Dorf Schwarzburg und wurde der letzte im Jahre 1849 abgehalten. Sämmtliche Besenbinder zogen aus dem im Thale gelegenen Dorfe mit Musik nach dem Schloßberge hinauf in das dort befindliche Gasthaus. Voraus gingen die Obermeister mit Kronen aus Birkenreisern und Brillen von demselben Material. Dann folgten vier Meister, welche die mit Besenreisern umflochtene Innungslade auf Besen trugen. Jeder Innungsgenosse führte einen Besen. Im Gasthause angekommen, wurde zur Abhaltung der Zunftsitzung geschritten. Der Innungsschreiber verlas die Artikel der Zunftordnung, und Solche, welche Meister werden wollten, mußten ihr Meisterstück fertigen. Einer und der Andere kam wohl auch als wandernder Besenbinder aus der Fremde zugereist und mußte seine Kunstfertigkeit beweisen. Kurz, man suchte durch allerlei Schwänke, die oft derb genug ausfielen, die Heiterkeit der Anwesenden zu erregen und die nöthigen Geldmittel zu einem Trunke beizutreiben. Die Wohlhabenderen im Orte erkauften sich auch gern durch ein Geldgeschenk die Erlaubniß, dem originellen Feste beiwohnen zu dürfen. Ein Tanz beschloß endlich den großen Tag.

Wir hoffen hierdurch gezeigt zu haben, daß selbst ein so geringfügiger Gegenstand, wie der Besen ist, da er aus Menschenhand hervorgegangen, seine Geschichte hat, die der Beachtung werth ist. Wir wünschten nur, daß in jedem Stande und Gewerbe sich so viel fröhlicher Sinn, so viel gesunde Lebenslust fände wie bei den armen Besenbindern. Vielleicht tragen diese Zeilen dazu bei, daß die Hausfrauen die wenigen Kreuzer für die so nothwendigen Besen viel lieber zahlen, seit sie wissen, wie und von wem sie verfertigt werden.

R. Sigismund.


Ein Denkmal treuer Liebe.

Es war ein sonnig klarer Septembernachmittag, als der Dampfwagen uns keuchend und stöhnend die steile Steigung zu der Höhe des Aachener Waldes hinanführte. Immer weiter und prächtiger breitet die Landschaft zu beiden Seiten sich aus. Tief unten beginnt jetzt die alte Kaiserstadt mit ihren Thürmen und Häusermassen im Dufte der Ferne zu verschwinden; noch ein letzter Blick hinab auf das herrliche, im warmen, goldigen Sonnenscheine daliegende Thal, dann dringt der Zug donnernd in die Tiefe des Berges ein und die Nacht der Unterwelt breitet ihren Mantel über uns aus.

Als wir nach einigen Minuten das Licht des Tages auf’s Neue erblicken, befinden wir uns in einer einsamen, wilden Gebirgslandschaft. Es ist das ehemalige Jagdrevier jenes alten Riesen, der, wie die Sage erzählt, mit seinem Wunderschilde hier „tief im Ardennerwalde“ hauste, bis jung Roland sich durch seine Besiegung die Rittersporen verdiente.

Auf den Flügeln des Dampfes geht’s nun durch den stillen Forst dahin, den einst bei Sonnenschein und Mondenlicht die kühnen Degen von der Tafelrunde des großen Karl bei der Verfolgung des Riesen durchstreiften. Zum zweiten Male bahnt unser Zug sich den Weg durch die Tiefe des Berges, eilt dann über Thäler und Schluchten dahin und bringt uns rasch zu dem Dörfchen Astenet, wo wir ihn verlassen, um von hier zu Fuß einen Streifzug in die Berge zu unternehmen.

Ein bequemer Fußpfad führt von dem Stationsgebäude dem nahen Walde zu, und nachdem wir hier etwa eine Viertelstunde weitergeschritten sind, sehen wir, aus dem unter den Bäumen herrschenden grünen Dämmerlichte in’s Freie hinaustretend, ein herrliches Bergpanorama vor uns aufgerollt: steile Gebirgskuppen wechseln mit reich bewaldeten Höhenzügen, und zur Rechten schaut, von einer jäh in die enge Waldschlucht abfallenden Bergwand halb zwischen dunkeln Tannenwipfeln versteckt, das graue Gemäuer eines alten Burgbaues in das Land hinaus.

Dieses urkundlich erst gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts unter dem Namen „Eyneburg“ erwähnte, im Volksmunde als „Emmaburg“ bekannte Schloß wird von der Sage mit Karl dem Großen und dessen Tochter Emma in Verbindung gebracht.

Die schöne Kaisertochter hatte dem stattlichen, ritterlichen und klugen Eginhard, dem Geheimschreiber und Rath des Vaters, wie alle Welt weiß, ihr junges Herz geschenkt. Wohl wußten Beide, daß eine weite, unübersteigliche Kluft ihre Wege trennte; dennoch vermochten sie nicht mehr von einander zu lassen, und da am Tage das strenge Hofceremoniell ihren Verkehr und ihre Blicke bewachte, so gestattete Emma dem Geliebten von Zeit zu Zeit, daß er sie nächtlicher Weile in ihrem Gemach in der alten Kaiserburg zu Aachen besuchte und dort in allen Ehren ein Stündchen mit ihr plauderte.

So hatten sie auch einst eine Herbstnacht in seliger Liebe miteinander verbracht, und der dämmernde Tag mahnte Eginhard daran, daß es Zeit sei, den Heimweg anzutreten; mit Schrecken gewahrte er aber, daß über Nacht Schnee gefallen war, der seine Fußstapfen dem Schloßgesinde sogleich verrathen und einen argen Verdacht rege machen mußte. Doch wo selbst der kaiserliche Rath einen Ausweg zu finden verzweifelte, wußte Emma’s kluger Frauensinn bald das Rettungsmittel zu finden, indem sie den Geliebten auf ihren Schultern über den Schloßhof trug. Zum Unglück für die beiden Liebenden hatte der Kaiser sich schon früh von seinem Lager erhoben und sah nun, am Fenster stehend, mit Erstaunen und Zorn auf das seltsame Paar hinab. Wohl liebte auch er den trefflichen Jüngling, der das Herz der Tochter gewonnen, doch solcher Frevel mußte gestraft und gesühnt werden. Noch an demselben Morgen ließ Karl seine Räthe versammeln; legte ihnen, ohne Namen zu nennen, den Fall vor und verlangte ein Urtheil über eine Königstochter, welche nächtlicher Weile ihrem Buhlen Einlaß zu ihrem Gemache gestatte. Die Räthe waren der Ansicht, daß man in Sachen der Liebe milde urtheilen und Verzeihung gewähren müsse. Auch dem Brecher der Hausehre waren sie geneigt Vergebung angedeihen zu lassen. Nur Eginhard, der als der jüngste von ihnen zuletzt seine Meinung abzugeben hatte, stimmte dafür, daß ein solcher den Tod verdient habe.

„Sie haben beide den Tod verdient,“ entschied der Kaiser; „doch anstatt des Rechtes will auch ich Milde walten lassen; aber nimmer will ich die Schuldigen vor meinen Augen sehen; für immer seien sie aus meiner Nähe verbannt!“ Mit blutendem Herzen fügte sich Emma in den harten Spruch und wanderte in geringer Kleidung, damit Niemand sie erkenne, aus der Kaiserburg in den Wald hinaus, wo sie nach längerem Umherirren mit einem einsamen Pilger zusammentraf, in welchem sie alsbald Eginhard erkannte. Nachdem das Schicksal so die Liebenden ohne ihren Willen wieder zusammengeführt hatte, vermochten sie sich nicht mehr von einander zu trennen. Gemeinsam wanderten sie tiefer in den Wald hinein und unweit eines Baches, an welchem Emma kraftlos zu Boden gesunken war, erbauten sie sich eine Hütte.

„Er hieb die Aest’ und Zweige, sie sammelte und trug,
Und sieh, ein Dach war fertig, für zweie groß genug.“

Rasch schwanden ihnen hier im Genusse stillen Glücks die Tage und Jahre dahin, während der Kaiser einsam zu Aachen in seiner Hofburg weilte und mit Wehmuth seines verschollenen Kindes gedachte, welches sein Zorn aus dem Vaterhause in die Ferne getrieben.

„Der Becher, den er leerte, er mundete ihm nicht,
Er that nichts recht aus Freude, er that es nur aus Pflicht.
Und selbst das frohe Jagen, das sonst war seine Lust,
Erlabte nicht wie ehmals des alten Kaisers Brust.
Er ließ die Hunde jagen, weitab wohl durch den Tann,
Er selbst ging trüb’ und einsam, der kaiserliche Mann.“

So hatte er sich, seinen schwermüthigen Gedanken nachhängend, eines Tages wiederum von seinem Jagdgefolge entfernt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_198.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)