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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

oder gebackener stickstoffhaltiger Nahrungsmittel an feuchten Orten in wärmerer Jahreszeit, wirklich vorhanden waren. Ein besonders günstiger Ort scheinen die dumpfigen Sacristeien zu sein, in denen die Oblaten freilich auch jahrelang der betreffenden Keime harren. Bei dem Wunderblut von Zehdenick wurde die Oblate im feuchten Keller, zu Wilsnack im beregneten Brandschutt der Kirche gefunden. Sonst zeigte sich das Wunderblut in Zeiten der Belagerung, Hungersnoth und Seuche, wo man eben weniger Nahrungsmittel genießt und daher unter Umständen länger aufhebt.

Schröter und frühere Forscher studirten neben dem blutrothen auch orangerothe, gelbe, grüne, blaue, violette und braune Farbestoffe, die ebenfalls und unter ähnlichen Bedingungen von Bacteridien erzeugt wurden. Wir begnügen uns hier an die behexten Milchkeller zu erinnern, in denen sämmtliche Milch mit prachtvoll himmelblauen Flecken bespritzt erscheint. Schon ältere Untersuchungen hatten auch hier die Gegenwart mikroskopischer kleiner Wesen nachgewiesen, ebenso wie die Identität des nur die stickstoffhaltigen Theile der Milch (den Käsestoff) färbenden Pigments mit Anilinblau, oder wie die Chemiker sagen: Triphenylrosanilin. Ja, es gelang den Breslauer Beobachtern sogar, die Farbenfäule in bloßen stickstoffhaltigen Salzlösungen hervorzurufen, wodurch die Fähigkeiten der kleinen Chemiker in ein noch glänzenderes Licht gesetzt werden. Die farblose Auflösung von essig- oder weinsaurem Ammoniak, mit einem Tropfen Bacteridien-Wasser versetzt, färbte sich nach und nach grünlich, grünblau und zuletzt intensiv himmelblau. Ein wenig Säure verwandelte diese Farbe sofort in roth; Alkali stellte die ursprüngliche Färbung wieder her, gerade wie bei dem bekannten, eben dieser Eigenschaft wegen zur Prüfung auf das saure oder alkalische Verhalten anderer Dinge benutzten Lackmus, den man bekanntlich durch Fäulniß von Meeresküstenflechten unter Zusatz ammoniakalischer Flüssigkeiten erzeugt. Vielleicht sind so die Bacteridien als Fabrikanten eines vielgebrauchten Farbestoffes an den Küsten des mittelländischen und atlantischen Meeres seit Jahrhunderten gezüchtet worden, und vielleicht fällt noch einmal ein speculativer Kopf darauf, auch das Blutwunder, welches so viel Schrecken in der Welt erzeugt hat, industriell auszubeuten, das kleine Wunderwesen sorgsam zu züchten. Wir würden uns dann ausbitten müssen, daß er ebenso wie die anderen Anilinfarben-Fabriken etwas abseits von unseren Wohnungen bliebe, da es jedenfalls nicht angenehm wäre, seine aufgesparten Leckerbissen mit solchen rothen Tröpfchen verziert zu finden, wenn man auch weiß, daß es sich dabei um nichts weniger als wirkliches Blut handelt. So hat die Wissenschaft wieder einmal ein altes Wunder, wenn auch nicht seines Interesses, so doch seiner Unheimlichkeit entkleidet.

Carus Sterne.




Aus den Zeiten der schweren Noth.
Die Kyritzer Opfer.


Wir saßen, es war nach Beendigung des letzten Feldzugs, Abends um eine Bowle versammelt. Die meisten von uns waren als Landwehrleute erst vor kurzer Zeit aus Frankreich zurückgekehrt, und so drehte sich das Gespräch um die Erlebnisse des Krieges. Ein älterer Forstmann theilte uns seine Abenteuer bei Gelegenheit eines Ueberfalls durch Franctireurs mit, und wie er, dem combinirten Jägerbataillon zugetheilt, bei der Besetzung von Rheims wiederholt zur Vollstreckung von Executionen befehligt gewesen.

„Es ist ein eigenthümliches Gefühl,“ sagte er, „die Büchse auf den wehrlosen Feind zu richten, obschon diese Kerle den Tod wohl verdient haben mochten. Der letzte der Erschossenen, ein Fleischer, der einen harmlos bei ihm eintretenden deutschen Soldaten in Folge kurzen Wortwechsels mit dem Schlächtermesser erstochen, starb mit einem Mannesmuthe, der einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Als wir schon im Anschlage lagen, riß er sich die Binde von den Augen und sprudelte uns eine Menge der verächtlichsten Schimpfworte in französischer Sprache entgegen, die erst in dem Krachen unserer Büchsen verstummten.“

Unter uns saß ein alter Veteran, der die Kämpfe unter dem ersten Napoleon mitgekämpft, und jetzt stillschweigend unseren Erzählungen gelauscht hatte.

„Ja,“ unterbrach er den letzten Sprecher, „wohl ist es eine schlimme Sache um derartige Executionen, und um so schlimmer, wenn unschuldiges Blut fließen muß, wenn ein Beispiel statuirt werden soll, wie es unter dem ersten Napoleon so vielfach geschehen ist. Von einem solchen will ich sogleich erzählen.“

Wir füllten ihm sein Glas, und als er getrunken, begann er:

„In jener traurigen Periode nach den Tagen von Jena und Auerstedt, als die französischen Heere auch den Norden Preußens überflutheten – während der tapfere Schill in Colberg dem zehnfach überlegenen Feinde bewies, was ein entschlossenes, von energischen Officieren geführtes Häuflein vermag – erschien an einem Vormittage zu Ende März in dem Hause des Kaufmanns Kersten in der kleinen märkischen Stadt Kyritz ein französischer Commissionär, welchem der junge Kaufmann durch eine Strohlieferung, die er früher für ein in Berlin errichtetes Verpflegungscomptoir der Armee geleistet, bekannt geworden war. Der erstere stellte an Diesen das Ersuchen, in seinem Hause eine Summe Geldes deponiren zu dürfen, welche zum Ankauf von allerhand Armeebedürfnissen dienen sollte. Kersten ging nur ungern auf dieses Verlangen ein und machte den Ueberbringer des Geldes auf die Unsicherheit und Gefahr aufmerksam, die bei derzeitigen Verhältnissen ihm und seinem Gelde drohe. Denn war auch das Städtchen bisher von den Drangsalen des Kampfes selbst verschont geblieben, so waren doch Parteigänger aller Art um so häufigere Gäste, und wie leicht konnte eine Abtheilung der die Gegend durchstreifenden Schill’schen Soldaten Wind davon bekommen. Der Commissionär schien wenig um sein Geld bekümmert, denn es war ja nicht sein Eigenthum, sondern das des französischen Comptoirs in Berlin, und da er die Stadt durch französische Gensdarmen hinlänglich geschützt glaubte, entfernte er sich, nachdem er die Beutel in Fässern und Kisten, so gut es gehen wollte, verborgen hatte. Frau Kersten machte nach Entfernung desselben ihrem Manne Vorwürfe über seine Gutwilligkeit; sie hatte ein Gefühl, als schwebe irgend ein unbekanntes Unglück über ihrem Hause, so lange das fremde Geld unter ihrem Dache sich befinde. Sie beruhigte sich erst, als ihr Gatte ihr das Versprechen gegeben, sobald als möglich für die Entfernung der Geldbeutel besorgt zu sein.

In den Mittagsstunden des darauffolgenden Tages brachten Bürger der Stadt, welche von Wusterhausen kamen, die Nachricht, daß ein Streifcorps von dorther in Anmarsch sei, und ehe noch die wenigen französischen Gensdarmen zu irgend einem Entschlusse kamen, sahen sie sich schon von den hereinbrechenden Parteigängern überrumpelt und entwaffnet. Eigenthümlich genug war der Anblick dieser Soldaten, die sich für Schill’sche ausgaben. Nur ihr Führer trug die Schill’sche Husarenuniform mit den Abzeichen eines Wachtmeisters; der Trupp selbst zeigte Montur und Waffen der verschiedensten Art in buntem Durcheinander. Nachdem die Leute verpflegt und eine Partie vorhandener Montirungsstücke requirirt war, zogen sie vor das Kersten’sche Haus. Das Vorhandensein französischer Gelder war ihnen schnell verrathen worden. Als die freiwillige Auslieferung derselben verweigert worden, ging es an die Durchsuchung aller Räume des Hauses, und alsbald wurden die Beutel gefunden und jubelnd aus demselben fortgeschleppt, während der Besitzer selbst abwesend war.

Nachdem die Schaar abgezogen, beeilte sich der Magistrat des Ortes, um jeden Verdacht eines schuldigen Einverständnisses mit derselben im Voraus zu beseitigen, einen Bericht an die französische Commandantur in Berlin abgehen zu lassen, während dem damaligen Gouverneur der Provinz, Clarke, schon durch einen der entkommenen Gendarmen über Wegnahme jener Gelder durch preußische Parteigänger Bericht erstattet worden war. Der an sich unbedeutende Vorfall sollte in Folge eines geheimen Befehls des Kaisers (die preußischen Provinzen durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_230.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)