Seite:Die Gartenlaube (1873) 248.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

unterirdischen Gänge ihrer weiten Trümmerburg verbergen das blutlechzende Thierkoboldchenpaar auf Nimmerwiedersehen unseren darnach ausspähenden Blicken.

Obwohl sich’s noch manchmal hier und da regt, die Erwarteten kehren nicht wieder, und nur Eidechschen oder aufschwirrende Grashüpfer sind es, welche die dürren Halme und die wirre Haide am heißbestrahlten Raine schwanken und rascheln machen und das Ohr glauben lassen, die wildernden Teufelsthierchen wären wieder an’s Tageslicht gekommen. Ebenso täuschte sich auch das gespannte Auge, wenn an überwachter Stelle plötzlich und ungeahnt ein lichter Spätfalter von einer würzigen Thymianblüthe, aus welcher er Nektar gesogen, emporflog, um weiter zu flattern über die umstehende honigduftende, von Bienen und Hummeln umsummte Haideflora.

Wir aber, da die kleinen „Heermännchen“, wie der Volksmund die Wiesel gern nennt, unsere Ausdauer schon allzuschwer auf die Probe stellten und durchaus nicht wieder zum Vorschein kommen wollen, erheben uns endlich und schreiten, den Höhenzug entlang, über ein weites, spinnwebenüberzogenes Gehau dahin, dem hohen Holze zu, wobei die unter unseren Füßen sich lösenden Nachsommerfäden leicht emporsteigen und in langen wolligen Strähnen der leisen, uns umhauchenden Luftströmung folgen.

Im einsamen Jägerhause erwartet uns der gastliche alte Wildmeister. Was wird er sagen, wenn wir ihm bei der Hollundersuppe und der saftigen Rehleber vom heutigen erfolglosen Pürschgange und den darauf – seiner Meinung nach – „verlungerten“ Stunden berichten?




Ein deutscher Wundercur-Fürst.
Nach erst jetzt zugänglichen Acten.


Prinzessin Mathilde von Schwarzenberg, eine Nichte des berühmten Oberfeldherrn der Verbündeten in der Schlacht bei Leipzig und Tochter jener Fürstin Schwarzenberg, welche bei dem heldenmüthigen Versuche, ihr Kind in Paris bei einer Feuersbrunst zu retten, verbrannt war, hatte bereits das siebzehnte Jahr erreicht, aber das Gehvermögen in Folge einer Muskelzusammenziehung nach einer Entzündung, die eine Eitersenkung veranlaßte, schon im dritten Jahre verloren. Nachdem Jahre lang die berühmtesten Aerzte und Chirurgen in Frankreich, Italien, Belgien etc. ihre Kunst an ihr erschöpft hatten, wurde die bereits aufgegebene Kranke dem durch seine chirurgischen Instrumente bekannten Bandagisten und Orthopäden Dr. Johann Georg Heine in Würzburg übergeben, der nach einer Consultation mit Hofrath Schäfer in Regensburg einen Heilplan entwarf, den er standhaft verfolgte, und der bei der Folgsamkeit der Prinzessin auch zur Heilung führte.

Da beide Männer es nämlich als Leiden der Prinzessin erkannt hatten, daß die zum Aufrechtstehen wesentlich beitragenden Muskeln verkürzt seien, so suchte Heine durch eigene, sinnvoll construirte Apparate allmählich die zusammengezogenen Muskeln auszudehnen, und durch eine andere für diesen Zweck erfundene Maschine brachte er die Kranke allmählich so weit, daß sie schon die Stellung einer Gesunden annehmen konnte, indem sie sich an einen Pfeiler lehnte und ein wenig auf die Füße stützte; nach anderthalbjähriger Cur konnte sich die Prinzessin schon aufrichten und einige Schritte thun, kurz: die vollkommene Herstellung des Gehvermögens stand in Aussicht. Heine, dem außer seinem laufenden Ehrensolde auch noch zehntausend Gulden zugesichert waren, wenn er die Prinzessin vollständig heile, wollte augenscheinlich möglichst sicher zu Werke gehen und ersann eine neue Maschine als Sicherheitsmittel für diese Gehversuche. Das Alles hatte so glücklichen Erfolg, daß die Prinzessin im April 1821 sich schon ohne alle Schmerzen erheben und des Tages vier bis fünf Stunden mit Unterbrechung gestreckt stehen konnte, wobei sie alle Bewegungen der Füße zum Gehen machte. Nunmehr schloß Heine, daß die Prinzessin einen Gehversuch vor Zeugen zum öffentlichen Beweis der vollendeten Heilung wagen könne, und er kündigte ihr und ihrem Sachwalter, dem Fürsten von Wallerstein, am 19. Juni an, daß er diesen Versuch nur einer nöthigen Reise wegen um wenige Tage verschieben müsse, aber auf den 23. Juni festsetze.

Prinzeß Mathilde wohnte während der sieben Vierteljahre ihres Würzburger Aufenthaltes bei Freiherrn von Reinach. Arm und Reich, besonders aber die Aristokratie und der damalige Kronprinz Ludwig, welcher damals abwechselnd in Würzburg und Bad Brückenau weilte und gerade von den Jesuiten mit Erfolg in die Cur genommen worden war, interessirten sich für die junge anmuthige, schon durch ihr langjähriges Leiden der Sympathie würdige und auch sonst körperlich und geistig ausgezeichnete Dame. Wer sie kannte, gewann sie lieb. Ihre Heilung mußte voraussichtlich als Triumph der Wissenschaft im In- und Auslande besprochen werden; Heine sowohl, der sie als Maschinist, wie Professor Textor, der sie als Chirurg behandelt hatte, mußten großen Ruf gewinnen, der selbst dem talentvollen jungen Arzte Dr. Eisenmann, der fünf Monate lang Magnetismus angewandt hatte, nicht entgehen konnte.

Da kam ein schlauer Jesuit und sein Werkzeug, ein ebenso schlauer Bauer, beide entschlossen, die Früchte der Arbeit Anderer für sich zu pflücken. Der Jesuit war Alexander, Fürst von Hohenlohe. Geboren am 17. August 1793, das achtzehnte Kind des gemüthskranken Erbprinzen von Hohenlohe, österreichischen Generals, und einer sehr bigotten Magnatentochter, die das Söhnlein gleich bei der Geburt der Kirche weihte, hatte er unter dem Exjesuiten Niel, dann auf den bezüglichen Anstalten in Wien, Bern, Tyrnau, Ellwangen und schließlich im Clericalseminar zu Preßburg seine „Studien“ gemacht und ward 1815 zum Priester geweiht. Seine eigentliche Mission begann mit einer Reise nach Rom, wo er beim Papste nicht nur die beste Aufnahme fand, sondern auch die Vollmacht erhielt, bis auf dreitausend Rosenkränze, Crucifixe u. dgl. zu weihen. So ausgerüstet besuchte er die Höfe zu Stuttgart und München und wurde auf unmittelbaren Specialbefehl des Königs von Baiern am 8. Juni 1817 überzähliger Vicariatsrath des Bisthums Bamberg mit fünfzehnhundert Gulden Gehalt aus der königlichen Dispositonscasse. Nebenbei war er noch Stiftsherr von Olmütz und Ritter des Malteserordens. Der Fürst war zur Zeit seines Auftretens in Würzburg siebenundzwanzig Jahre alt, mittelgroß, wohl beleibt, mit bedeutungslosen Zügen und von blasser Gesichtsfarbe. Die Männer fanden seine Mienen gemacht, gespannt, die Weiber dagegen fromm und liebevoll. Seine Augen hatten jene eigenthümliche Fixheit, die einen geschlossenen Ideenkreis verräth. Sein Anzug war geistlich elegant, seine Sprache abgemessen. Er liebte den Predigerton, obgleich er kein großer Kanzelredner war. Sein früheres Leben soll nicht ganz priesterlich gewesen sein, doch seine Rechtgläubigkeit ließ nichts zu wünschen übrig, wie alle seine Gebetbücher und Predigten bewiesen.

Im Jahre 1820 begann Hohenlohe durch Vermittelung der päpstlichen Nunciatur zu Luzern einen Flugschriftenkampf gegen den Zeitgeist. In einer 1820 zu Bamberg erschienenen Flugschrift: „Was ist der Zeitgeist?“ die er der heiligen Allianz, den Kaisern von Oesterreich und Rußland und dem Könige von Preußen, gewidmet hatte, heißt es: „Die jenseits des Rheins erstickten, giftigen Revolutionskeime scheinen diesseits festere Wurzel geschlagen zu haben. Demagogen, Jacobiner, öffentliche Lehrer, Zeitungsschreiber leiten das Werk. Constitutionen ist ihr Feldgeschrei, der Zeitgeist ihr Palladium, Sturz von Religion und Thron, Lösung aller Bande ihr Zweck etc.“ Diese Lehren wollte Fürst Hohenlohe auch dem Clerus von Baiern einimpfen, um denselben gegen die bestehende Verfassung und jede freisinnige Richtung aufzuhetzen. Bei Gelegenheit einer seiner Mahnreden an die Pfarrgeistlichkeit des Ochsenfurter Gaues lernte er den Bauern und Wunderdoctor Michel zuerst kennen.

Dieser Martin Michel, weil sein Vater Schulze gewesen, kurzweg Schulzen-Märtä genannt, war damals zweiundsechszig Jahre alt und ein durchtriebener Gauner. Schon sein Großvater hatte mit Pater Gaßner und anderen wunderwirkenden Jesuiten auf vertrautem Fuße gestanden. Er selber hatte frühzeitig von den Jesuiten-Missionen profitirt, hatte, um einen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_248.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)