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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

so beweist dies nur, daß sie denselben entweder gar nicht kennen, oder daß derselbe nicht in ihren Kram paßt.

Wenn von Manchen die Befürchtung ausgesprochen wird, daß der Darwinismus der Religion Eintrag thun könnte, so ist diese Behauptung geradezu kindisch, denn deshalb, weil er die Entstehung organischer Wesen auf natürlichere Weise erklärt, wird die Moral in der Menschheit ebensowenig angetastet, wie durch Galilei’s „Und sie bewegt sich doch“. Und wie die Inquisition trotz der Folter die Erde nicht wieder zum Stillstehen zwingen konnte, ebenso können naturunkundige Philosophen und orthodoxe Theologen das „In der Natur geht Alles natürlich zu“ nicht wegdecretiren. Uebrigens wird ja auch der Gläubige an seinem Gott und seinem Glauben ebensowenig gekränkt, wenn ihn die Wissenschaft zwingt anzuerkennen, daß alles Vorhandene aus dem Vorhergegangenen (der Mensch aus einem affenartigen Thiere) allmählich hervorgegangen ist, wie durch die Thatsache, daß sich die Erde um die Sonne bewegt. Ja, er muß eigentlich die Weisheit eines gütigen und zweckmäßig thätigen Schöpfers noch weit mehr verehren, wenn dieser gleich beim Beginne der Erdschöpfung den Grund für alle kommenden Schöpfungsproducte in das Einfachste legte, als wenn er erst jedes Einzelne neu erschaffen müßte. – Wenn einige Schriftsteller bei Besprechung des Darwinismus gleichzeitig ihre einander (wie bei Strauß und Büchner) geradezu widersprechenden politischen, socialen, ästhetischen und religiösen Ansichten mit kundgeben, so steht dies mit dem Darwinismus in gar keinem Zusammenhange und dieser sollte dafür nicht verantwortlich gemacht werden. – Weiteres und Ausführlicheres über die Abstammungslehre, welche von allen Männern der Wissenschaft als eine der größten Eroberungen des menschlichen Geistes und als der glänzendste Sieg über das blinde Vorurtheil bezeichnet wird, sowie über die täglich sich mehrenden Beweise (zu denen Häckel’s großartige Forschungen über die Kalkschwämme und Würtenberger’s Entwickelungsgeschichte der Ammoniten gehören) und über die täglich sich mindernden Gegner dieser Lehre soll in einem späteren Aufsatze mitgetheilt werden. Schließlich sei aber Jedem, der nicht eigensinnig im blinden Vorurtheile über Darwinismus verharren will, angerathen, Häckel’s natürliche Schöpfungsgeschichte (3. Auflage) ordentlich durchzustudiren.

Bock.




Glück auf!
Von E. Werner.


(Schluß.)


„Nun, dafür wollen wir Fräulein Melanie sorgen lassen!“ lachte der Director. „Sie hat in manchen Dingen den Kopf ihres Vaters und versteht ihren Willen durchzusetzen. Ich kann Ihnen versichern, daß Wilberg bereits mit sehr siegesgewisser Miene umher geht und alle etwaigen Gratulationen mit einem vielsagenden ‚Noch nicht!‘ ablehnt. Die beiden jungen Leute werden ihrer Sache wohl bereits sicher sein. Adieu, lieber College! Sie melden mir doch zuerst das frohe Familienereigniß?“

Diesmal war die Malice auf Seiten des Herrn Directors, und sie schien zu wirken, denn der Oberingenieur stieg mit sehr verstimmter Miene die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, wo seine Tochter ihm bereits entgegenkam. Fräulein Melanie war heute von einer außerordentlichen Zärtlichkeit gegen den Vater; sie begrüßte ihn, nahm ihm Hut und Handschuhe ab, schmeichelte ein wenig und hielt es nach diesen Präliminarien an der Zeit, mit einer Bitte hervorzukommen.

„Papa, es ist Jemand da, der Dich zu sprechen wünscht, sogleich und dringend zu sprechen. Er ist drinnen bei der Mama. Darf ich ihn herführen?“

„Ich bin nicht zu sprechen!“ grollte der Gefragte, der bereits ahnte, was ihm bevorstand, die junge Dame nahm aber nicht die geringste Notiz von der Weigerung. Sie verschwand im Nebenzimmer, um in der nächsten Minute den „Jemand“ hereinzuschieben, nachdem sie ihm noch schnell einige ermuthigende Worte in’s Ohr geflüstert.

Letztere schienen auch nothwendig zu sein, denn Herr Wilberg, der sich, das blonde Haar sorgfältig gescheitelt, im Frack und überhaupt in der ganzen Erscheinung eines officiellen Freiers präsentirte, stand da, als sei er unversehens in eine Löwengrube geworfen. Er hatte sich jedenfalls für diese wichtige Stunde eine zierliche, wohlgesetzte Rede ausgearbeitet, aber die grimmige Miene seines Vorgesetzten, der in durchaus nicht ermuthigendem Tone fragte, was er denn eigentlich wolle, brachte ihn gänzlich aus dem Concept.

„Meine Wünsche und Hoffnungen –“ stotterte er. „Ermuthigt durch die Neigung von Fräulein Melanie – das höchste Glück, sie die Meine nennen zu dürfen –“

„Dachte ich’s doch! Nicht einmal einen vernünftigen Antrag kann der Mensch machen,“ brummte der Oberingenieur, ohne daran zu denken, daß sein Empfang ganz danach war, jeden Bewerber aus der Fassung zu bringen; als aber der junge Mann in immer größere Verlegenheit gerieth und sich in seiner Rede immer mehr verwickelte, schnitt er ihm kurz das Wort ab.

„Nun, schweigen Sie nur! Es ist mir gerade kein Geheimniß mehr, was Sie wünschen und hoffen. Sie wollen mich zum Schwiegervater?“

Wilberg sah aus, als ob diese letztere allerdings unvermeidliche Zugabe zu seiner künftigen Ehe ihm gerade kein besonderes Entzücken einflöße. „Ich bitte um Entschuldigung; ich wünschte zuvörderst Fräulein Melanie zur Frau,“ bemerkte er schüchtern.

„So? Und mich nehmen Sie wohl sehr ungern mit in den Kauf?“ fragte der gereizte Schwiegervater in spe. „Ich begreife übrigens gar nicht, wie Sie mir mit einem solchen Antrage zu kommen wagen. Haben Sie nicht die gnädige Frau geliebt? Haben Sie nicht Gedichte an sie gemacht, bogenlang? Warum schwärmen Sie da nicht platonisch weiter?“

„Mein Gott, das war vor Jahren,“ vertheidigte sich der junge Beamte. „Melanie weiß das längst, und gerade das war es, was uns zuerst zusammenführte. Es giebt zwei Arten von Liebe, Herr Oberingenieur, eine Jugendschwärmerei, die ihre Ideale in unerreichbarer Höhe sucht, und eine andere dauerndere Neigung, die auf Erden allein findet, was sie wahrhaft beglückt.“

„So, und für diese zweite Liebe, die irdische, hausbackene, ist Ihnen meine Tochter gut genug! Hol’ Sie der Kukuk!“ rief der Oberingenieur wüthend.

„Sie wollen mich nicht verstehen,“ sagte Wilberg tief gekränkt, aber doch mit einigem Selbstbewußtsein; er wußte, welch’ einen mächtigen Rückhalt er im Nebenzimmer hatte. „Melanie versteht mich; sie hat mir bereits Hand und Herz gegeben –“

„Das ist ja allerliebst,“ grollte der erbitterte Vater. „Wenn die Töchter so ohne Weiteres Hand und Herz verschenken, dann möchte ich wissen, wozu die Väter überhaupt noch da sind. Wilberg,“ sein Gesicht und seine Stimme wurden hier etwas milder, „ich lasse Ihnen die Gerechtigkeit widerfahren, daß Sie in den letzten Jahren etwas vernünftiger geworden sind, etwas, aber noch lange nicht genug. Das Dichten können Sie zum Beispiel noch immer nicht lassen. Ich wette, Sie tragen da wieder irgend etwas Lyrisches mit sich herum.“

Er schielte argwöhnisch nach der Fracktasche des jungen Mannes, der ein wenig erröthete.

„Als Bräutigam wäre ich ja wohl dazu legitimirt?“ bemerkte er, wie mit einer schüchternen Frage.

„Ja wohl und auch zu den Serenaden – das wird ein schöner Sommer werden!“ murmelte der Oberingenieur verzweiflungsvoll. „Sehen Sie, Wilberg, wenn ich nicht wüßte, daß Melanie meine Natur hat und Ihnen die romantischen Grillen austreiben wird, so würde ich nein sagen, absolut nein! Aber ich glaube, Sie brauchen eine vernünftige Frau und vor allen Dingen einen vernünftigen Schwiegervater, der Ihnen von Zeit zu Zeit den Kopf zurechtsetzt, und da es durchaus einmal nicht anders geht, so sollen Sie beides haben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_374.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)