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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

gehört auch die befohlene Bildung eines indianischen Corps von vierhundert Mann, die aus freundlich gesinnten Stämmen angeworben werden sollen, um als Kundschafter gebraucht zu werden.

Das Gefühl der Ansiedler in vielen Theilen der beiden Staaten ist ein gedrücktes, theilweise sehr ängstliches, und wenn es gleich in der Natur der Sache liegt, daß sie als die fast wehrlosen Opfer indianischer Rache oft schwärzer sehen, als vielleicht gerade nothwendig ist, so sind sie doch andererseits, als die nächsten und vieljährigen Nachbarn der Indianer, am besten befähigt, die Anzeichen des kommenden Sturmes zu beurtheilen. Seit dem 26. April bis heute, den 8. Mai, ist Alles still, kein Schuß gefallen, und wir warten mit einiger Spannung, wie sich das Drama, dessen zweiter Act jetzt als geschlossen betrachtet werden kann, weiter entwickeln wird.

Und auch diejenigen Leser der Gartenlaube, welche mit unsern hiesigen Heißspornen Capitain Jack und sein halbes Hundert Bravos in aller Geschwindigkeit abfertigen zu können gemeint hatten, werden sich gedulden müssen, bis es den rothen Rittern vom Scalp belieben wird, sich abfertigen zu lassen. Hoffen wir, daß General Schofield, der die specielle Leitung sämmtlicher militärischen Operationen in Oregon und Californien hat, und General Davis, der zum Nachfolger Canby’s ernannte Commandant des Departements des Columbia, die Unruhestifter recht bald bewältigen werden, damit keiner der Schuldigen der ihm gebührenden Strafe entgehe![1]




Naturbeobachtungen aus einer Gartenlaube.
1. Vom Kukuksei.

In unserer Heimath befindet sich ein Park, einst von einer für die Natur und ihre Gebilde begeisterten adeligen Gutsbesitzerin verschönert und erweitert. Von dichten reichen Busch- und Baumgruppen durchzogen, von einem größeren Bache und dessen Nebenarm umspült und durchrieselt, war er von jeher eine gesuchte Ansiedelung unserer beliebtesten einheimischen Sänger. Wir Brüder verdanken diesem Eldorado der Vögel neben dem Garten der Burg Friedberg ein gutes Stück Erfahrung in der heimischen Ornithologie[WS 1], und noch heute verlieren wir uns gern in die grünen Verstecke jenes Gartens an der Nidda, wenn wir bei dem Vater, fern von „Büchern und Papier“, zuweilen ungestört uns der Beobachtung in der Natur hingeben können. Eine Laube am Ausgange eines Buschganges und gegenüber einem freien Rasenplatze mit einzelnen Baumgruppen verbirgt uns dann den mißtrauischen Blicken der scheuen befiederten Schaar um uns her, und ein Fernrohr bringt uns auch die entfernteren Scenen des Thierlebens klar vor Augen.

Von unserem Versteck aus finden wir sofort interessanten Stoff für unsere Forschungen. Schon verräth sich unseren Blicken ein Kukuk, der mit etwas gesträubtem Gefieder in einem Fliederbusche sitzt. Sein bräunlich gesperbertes Kleid läßt einen weiblichen Vogel vermuthen. Eben fußt er geräuschlos wie ein Schatten vor einem mit niedrigem Gestrüppe bewachsenen Raine der Grasfläche. Unter Nicken des Kopfes und Wippen des Schwanzes trippelt der Vogel auf einer Stelle herum; es überkommt ihn ein leises Zittern, wobei er die Flügel etwas ausbreitet und eine Weile in gebückter Stellung verharrt. Jetzt hebt er sich empor, und erstaunt sehen wir durch das Fernrohr ein Ei unter dem Vogel im Grase, das derselbe mit seitlich geneigtem Kopfe in den weitgeöffneten Schnabel nimmt und unter seinem eigentümlich papageiartigen Gange den Rain hinauf unter einen Rasenvorsprung bringt. Gleich darauf fliegt er wieder zum Fliederbusche zurück, schüttelt sich daselbst und verschwindet flüchtig und geheimnisvoll, wie er gekommen; bei seinem Rückzuge jedoch von einem Weidenzeisigpaare und einigen wachen Meisen in ein nahes Feldgehölz lärmend verfolgt. Erwartungsvoll eilen wir zu dem Raine und finden daselbst unter einer ausgehöhlten Stelle das von Grasüberhang verborgene zugewölbte Nest des kleinen Weidenzeisigs. Unter sechs niedlichen weißen Eiern, spärlich aber deutlich mit großen dunkelrothen Punkten versehen, liegt das viel größere Kukuksei fast auf der Spitze. Nicht viel kleiner aber schlanker als ein Singdrosselei, zeigt es auf tief bläulichem Grunde dunkelbraunrothe und graue Punkte und Striche, also auch in der Färbung und Zeichnung auffallende Abweichung von dem hellen freundlichen Nestgelege.

Rasch ziehen wir uns zurück, um das Gebahren der zum Neste zurückkehrenden Weidenzeisige zu beobachten. Dieselben lassen nicht lange auf sich warten. Vor dem Neste sträuben die Gatten die Kopffedern; das Weibchen beschaut sich stutzend den fremden Gegenstand in seiner Behausung und hüpft unruhig um das Nestchen, endlich zögernd sich auf das Gelege begebend. Wir lassen das Leben der kleinen Familie ruhig bis auf Weiteres sich entfalten und bemühen uns nunmehr, den Garten nach anderen Nestern in der Nähe aufmerksam zu durchspüren, auf Grund unserer Erfahrung in der lebhaften Erwartung, wohl von demselben Kukuksweibchen noch ein oder das andere Ei bei Gelegen zu finden. Das Glück will, daß wir ein ganz ähnliches, zugleich mit einem zweiten grünlichen, schwarzbraun und olivenfarben punktirten und gestrichelten Ei derselben Art in dem Neste eines Rothkehlchens bei fünf Eiern des Vögelchens entdecken. Auch hier stechen die größeren Kukukseier von den auf gelbweißem Grunde rostgelb punktirten kleineren Eiern des Rothkehlchens bedeutend ab.

Wir gewahren, daß der Brutvogel die eingeschobenen fremden Eier angenommen und mit seinem Gelege schon bebrütet. Um zu erfahren, ob das Kukuksei oder überhaupt fremde Eier in gleicher Weise von kleineren friedlichen Sängerarten angenommen werden, stellen wir Versuche bei verschiedenen anderen Nestern mit Gelegen an, wozu uns der Park und seine Umgebung reiche Gelegenheit bietet. In das bodenständige Nest eines brütenden Goldammers bringen wir zuerst ein anderwärts aufgefundenes Kukuksei und vertheilen zwei Eier des Rothkehlchens in ein aufgefundenes Nest einer fahlen Grasmücke und eines grauen Fliegenfängers, von beiden letzteren Vögelarten je ein Ei in die Nester einer Braunelle und eines Rohrsängers versetzend. Mit der Eiervertheilung fertig, besichtigen wir sogleich die Niststelle des Goldammers, finden zu unserm Erstaunen aber das Kukuksei vor dem Neste des Brutvogels, diesen selbst ruhig auf seinem Gelege brütend. Wir scheuchen den Vogel von den Eiern und gesellen vorsichtig das Kukuksei wiederholt zu dem Goldammergelege. In ein nahes Gebüsch zurückgezogen, beobachten wir nun das Betragen des Brutvogels. Derselbe, alsbald zum Neste zurückgekehrt, fußt auf den Rand desselben, blickt mit hohem Halse hinein und pickt dann in dessen Tiefe mehrmals mit dem Schnabel, um kurz darauf das Kukuksei über den Rand zu werfen und sich sofort auf sein Gelege zu begeben. Wir finden das Kukuksei an einer Stelle eingedrückt.

Ein Rundgang zu den übrigen Nestern überzeugt uns, daß die untergeschobenen Eier von den Nistvögeln angenommen worden sind bis auf das der fahlen Grasmücke übergebene Rothkehlchenei, welches zerbrochen unter dem Strauche, worin das Nest steht, aufgefunden wird. Schließlich erprobt sich noch die Duldung einiger Nistvögel bis zu der Grenze hin, daß runde Kieselsteine von der Größe der fraglichen Eier, zu diesen gethan, von den Brutvögeln nicht allein angenommen, sondern auch auf denselben weiter gebrütet wird.

Wir notiren diese Thatsachen zu unzähligen anderen gleicher Art als derjenigen Behauptung stracks zuwider, welche in der Vogelkunde nun schon eine gewisse Zeit auffallendermaßen wie eine krankhafte Erscheinung aufgetaucht ist und in dem abenteuerlichen Satze sich breit gemacht hat: jeder weibliche Kukuk habe von der Vorsehung das „Vermögen“ ererbt, denjenigen Nestgelegen täuschend ähnlich oder gleich gefärbte Eier hervorzubringen, zu welchen er die seinigen in der Regel lege; mit anderen Worten: jedes Kukuksweibchen bringe besonders gefärbte, gleichsam „typische“ Eier hervor, um diese regelmäßig solchen Nistvögeln

  1. Wie aus Washington telegraphirt wird, hat sich der Rest der Modoc-Indianer inzwischen am 30. v. M. ergeben. Jack und drei seiner Anhänger sollen erschossen werden. Ob uns unser Correspendent in Green-Bay noch mit einem dritten Artikel über diese Kämpfe erfreuen wird, können wir zur Stunde noch nicht sagen.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ornothologie
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_407.JPG&oldid=- (Version vom 6.3.2019)