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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Fuße mit ihr verkehrten. Agnes Bernauer dagegen war von niederer Herkunft, und noch ist es nicht gelungen, ihre eigentliche Heimathsstätte mit Sicherheit nachzuweisen. Philippine war dem Kaisersohn Ferdinand durch eheliche Bande angetraut, von ihren Söhnen begründete der eine die Linie der souveränen Markgrafen von Burgau, während der andere im Dienst der Kirche die höchste Rangstufe erreichte; die Verbindung zwischen Agnes und Herzog Albrecht war höchst wahrscheinlich nicht einmal die einer heimlichen Ehe. Philippine lebte, nachdem sie bald ihren Frieden mit dem Kaiser gemacht hatte, an der Seite des Gatten ein ruhiges und glückliches Dasein, während die Bernauerin nach kurzen Jahren genossenen Liebesglückes diese ihr von dem grausamen Zeitalter als Verbrechen angerechnete Liebe mit jähem Tode büßen mußte.

Dieser ungleiche Lebensgang der beiden Frauen äußert seine Wirkung auch in der Art der über sie erhaltenen Nachrichten. Die hohe Stellung, welche die Familie Welser innerhalb der Augsburger Bürgerschaft einnahm, brachte es mit sich, daß die gleichzeitigen Geschichtsschreiber uns eine Menge Notizen über dieselbe aufbewahrt haben. Dazu kam, daß die Patrizier selbst, auf’s Engste unter einander verbunden, sogenannte Geschlechter- und Ehrenbücher, Hochzeitsregister etc. anlegten, in denen oft die unbedeutendsten Familienereignisse mit umständlicher Sorgfalt vorgetragen sind.

Straubing und die Donaubrücke zur Zeit der Agnes Bernauer.

Sodann dürfen wir auch nicht vergessen, daß Philippine Welser in einer Zeit lebte, die sich, gegen das fünfzehnte Jahrhundert – das Zeitalter der Agnes Bernauer – gehalten, durch größere Regsamkeit auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft auszeichnete. Merkwürdige Ereignisse – und ein solches war damals wenigstens die Heirath zwischen einem Kaisersohn und einer Bürgerlichen – gelangten rasch zur Kenntniß auch der fernst liegenden Schichten der Bevölkerung und wurden von Dichtern und Künstlern auf’s Mannigfaltigste verarbeitet.

Nicht so bei Agnes Bernauer! Die gleichzeitigen Augsburger Geschichtsschreiber gehen mit vollständigem Stillschweigen über sie hinweg; die ersten Nachrichten über sie datiren aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts und rühren von bairischen Chronisten her, deren Angaben wiederum die späteren Augsburger Quellen vorzugsweise gefolgt zu sein scheinen. Eine Geschichte der Agnes Bernauer zu schreiben, ist daher mit großen Schwierigkeiten verknüpft, und daraus erklärt sich die Verschwommenheit des Urtheils, die auch heutzutage noch über ihre Person beliebt ist. Ich habe mich, um ein möglichst unparteiisches Urtheil zu gewinnen, bemüht, alle erhaltenen Nachrichten zusammenzustellen und unter einander zu vergleichen; insbesondere habe ich versucht, aus dem Schweigen der gleichzeitigen Augsburger Geschichtsquellen den einen und andern Aufschluß zu erhalten. Wenn ich dabei zu Resultaten gelange, die von der bisherigen Auffassung scharf abweichen, so muß ich mir im Voraus die Verzeihung meiner Leserinnen erbitten; die Geschichte ist leider oft gezwungen, die Träume poetischer Gemüther mit rauher Hand zu zerstören.

Zuvörderst muß ich der allgemein verbreiteten Annahme, als ob Agnes Bernauer eine Augsburgerin gewesen sei, entgegentreten. Die von mir angestellten Untersuchungen haben es mir bis zur Evidenz klar gemacht, daß dies nicht der Fall ist. Der Name Bernauer – oder, wie ein späterer Chronikenschreiber den Namen der unglücklichen Frau angiebt, Leichtlin – begegnet uns in keinem der zahlreichen Bürger-, Steuer- und anderer statistischer Tabellen jener Jahre. Die bairischen Geschichtsschreiber, von denen wir oben gesagt haben, daß sie die ältesten Nachrichten der Bernauerin enthalten, schweigen denn auch entweder ganz über ihre Heimath oder bezeichnen als solche die alte Reichsstadt Biberach im heutigen Königreich Würtemberg. So lange also ein Gegenbeweis nicht vorliegt, steht es mir wenigstens fest, daß Agnes keine Augsburgerin gewesen ist.

Man hat mir entgegengehalten, daß ja die Volkstradition noch heutzutage ihr Wohnhaus in Augsburg zu bezeichnen wisse. Darauf entgegne ich, daß die Volkstradition ein sehr trügerisches Beweismittel ist. Zum Beweis dessen möge hier nur das dienen, daß die Tradition das Wohnhaus der Philippine Welser in die heutzutage nach ihr benannte Straße hinter dem großen Rathhausplatz verlegt, während sie nachweisbar in der jetzigen Ludwigsstraße gewohnt hat.

Es giebt Leute, die eine jede geschichtliche That mit einer Menge kleinlichen Beiwerks ausgestattet wissen wollen, an das sich, da ihnen jede höhere Auffassungsgabe mangelt, ihre kümmerliche Phantasie anklammert. Diese Art von Geschichtsfreunden weiß noch heutzutage den Pflasterstein zu bezeichnen, über welchen das Pferd des jugendlichen Erzherzogs strauchelte und dadurch die Aufmerksamkeit der am Fenster stehenden schönen Welserin erregte. Betreffs der Wohnstätte der Bernauerin gerathen sich übrigens mehrere Traditionen in die Haare, ein Umstand, der keineswegs geeignet ist, besonderes Vertrauen zu erwecken; der eine Führer weist den nach der schönen Baderstochter fragenden Fremden mit der nöthigen Zuversicht in diese Straße, ein anderer in jene etc. Doch lassen wir den Neugierigen ihr Vergnügen und fragen dafür, wie es möglich wurde, daß mehrere Augsburger Chronisten Agnes Bernauer eine Augsburger[WS 1] Bürgerstochter nennen. Ich vermuthe, daß hierbei eine sehr gewöhnliche Verwechselung vorliegt. Denn wenn ich auch ihre Augsburger Abstammung leugnen muß, so ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß sie sich zeitweilig und zwar gerade in den letzten Jahren vor ihrer Verbindung mit Herzog Albrecht in Augsburg aufgehalten habe.

Die Tradition berichtet, sie sei die Tochter eines Augsburger Baders mit Namen Kaspar Bernauer gewesen; ich wende dies dahin, daß sie wohl die Tochter eines Baders Bernauer gewesen sein mag, daß dieser aber nicht in Augsburg, sondern in Biberach gewohnt hat. In welcher Eigenschaft Agnes in der fraglichen Zeit (ungefähr 1430–32) in Augsburg gewesen, kann ich mit Sicherheit nicht angeben. Wenn eine Vermuthung gestattet ist, so geht dieselbe dahin, daß Agnes in dem Dienst eines Baders stand und hierbei die Bekanntschaft des jungen Baiernherzogs machte. Die Tradition weiß natürlich, ähnlich wie bei der Liebesgeschichte der Philippine Welser, ein Breites über die ersten Anfänge des zarten Verhältnisses zu erzählen: Herzog Albrecht sei zu einem großen, von der Reichsstadt veranstalteten Turnier nach Augsburg gekommen, habe sich hier mit den jungen Schwaben herumgestochen und bei einem von dem Stadtrath ihm zu Ehren gegebenen Tanzfeste die Bekanntschaft des schönen Bürgermädchens gemacht. In heißer Liebe zu ihr entflammt, habe er ihr sodann, da sie andern Zumuthungen einen festen Widerstand entgegengesetzt, die Ehe versprochen. Wenige Tage später sei Agnes aus dem väterlichen Hause entflohen, in der Nachbarstadt Friedberg von Albrecht in Empfang genommen und nach Schloß Vohburg gebracht worden. Diese ganze Erzählung ist die Ausgeburt eines müßigen Kopfes, dem es um eine detaillirte Liebesgeschichte zu thun war und der daher die Mängel der wirklichen Geschichte nach seinem Gutdünken ergänzte.

Vorerst constatire ich, daß während des ganzen Zeitraums,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ausburger
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_455.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)