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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Dieselbe unterscheidet sich vielmehr wesentlich von den gewöhnlichen, denjenigen zum Beispiel, welche von Bornu und anderen Märkten Innerafrikas sich der mittelmeerischen Küste zu bewegen. Schon der Umstand, daß bei diesen die Heimath der Sclaven schon fern liegt, daß ihr Entfliehen nicht mehr zu befürchten ist, stimmt die Besitzer milder. Die Reise geht in gemäßigterem Schritte vorwärts, mit welchem die Sclaven meist Stand zu halten vermögen. Auch ist die Sclaven-Waare, welche sich bereits in zweiter oder dritter Hand befindet, schon um ein Beträchtliches im Preise gestiegen (der Mensch kann wieder mit dem Pferde im Werthe wetteifern); ja, das Gelingen der Reise stellt eine Verdoppelung oder Verdreifachung des Preises in Aussicht. Was Wunder also, daß man einen Handelsgegenstand, der so viel Vortheil verspricht, mit größerer Schonung behandelt! Freilich bietet sich auf diesen Reisen ein anderes Hinderniß und für die Sclaven eine neue Gefahr; denn hier hat man ganze Strecken wasserloser Wüsten zu durchwandern. Man führt zwar Wasser in Menge mit sich; aber oft trocknet es der heiße Wüstenwind mitten in den Schläuchen aus. Nicht selten tritt Wassermangel ein, noch ehe man die Hälfte der trockenen Strecke zurückgelegt hat, so daß nach einer drei- oder viertägigen Wüstenfahrt das kostbare Naß nur noch höchst spärlich vertheilt wird, nach einer achttägigen aber kaum ein Tropfen den durstigen Kehlen mehr zugewandt werden kann. Und von welchem Durst sind diese gepeinigt! Vom Wüstendurst, dem selbst das in der Fähigkeit, das Wasser lange zu entbehren, Ungewöhnliches leistende Wüstenschiff, das Kamel, nicht selten erliegt, an dem der Mensch aber schon nach kürzester Zeit verschmachtet. Da sinkt denn nicht selten ein Sclave am Wege nieder. Nichts vermag ihn mehr zu beleben als Wasser. Aber es ist nicht mehr genug da, um es an einen Sclaven zu verschwenden; denn den allenfalls noch vorhandenen Rest brauchen die Herren selber. Er bleibt liegen. Niemand kümmert sich um ihn. Der Herr schreibt seinen Tod (dem er doch in den meisten Fällen bald erliegt) in’s Verlustbuch. Ein schlechtes Geschäft! Damit ist er vergessen. Seine Gebeine bleicht die Wüstensonne, und nach Jahren bezeichnen sie noch den Weg in dem Wirrwarr des Sandmeeres. Die Knochen der Karawanenopfer sind die sichersten Wegweiser der Wüste. Verschüttet sie auch in einem Jahre der Wüstenwind, ein Sturm deckt sie im andern wieder auf, und ihre Masse ist so groß und auf so weite Strecken vertheilt, daß ihrer hier und dort immer genug zu Tage liegen, um als schreckliche Denkzeichen uns die Gefahren der Wüstenreise und die Gräuel des Sclavenwesens zu verkünden.

„Unmenschlich!“ wird der Leser ausrufen. Leider habe ich aber noch viel Unmenschlicheres zu berichten; denn die Gräuel einer Wüstenkarawane sind ein Kinderspiel gegen Das, was unser Gewährsmann in Baghirmi sah. Hier leidet der Sclave zwar nicht vom Durst, eher vom Gegentheil, der Nässe. Das Land, so erschöpft es auch immer sein mag, bietet doch für einen einzelnen Menschen immerhin noch hinreichende Nahrung. Sinkt er am Wege nieder, so braucht er weder zu verdursten, noch zu verhungern. Doch ein viel schlimmerer Feind bedroht ihn, der Mensch. Sein unerbittlicher Herr gestattet nicht, daß die günstigen Bedingungen des Landes dem erschöpften Sclaven zu Gute kommen. Bringt ihn Entkräftung oder Krankheit zu Fall und hilft kein Aufpeitschen mehr, so werden zuerst grausame Drohungen versucht, um ihn zum Aufraffen seiner letzten Kräfte zu zwingen. Man hält ihm ein Schlachtmesser vor die Kehle, ihn mit Tödtung bedrohend. Man stachelt ihn auch wohl mit diesem gräulichen Sporne. Manchmal, das heißt, wo noch ein Rest von Kräften vorhanden ist, erreicht man durch dieses grausame Mittel auch wirklich seinen Zweck; denn, wie gesagt, die Neger hängen am Leben, und die Todesdrohung ist selbst den Unglücklichsten unter ihnen noch fürchterlich. Indeß oft vermag gar nichts, selbst die grausamste Züchtigung nicht mehr, den bis zum Sterben Erschöpften emporzurütteln. Dann liegt er da, schon halb eine Leiche. Aber in dem von der Ohnmacht umnebelten Hirne mag doch in einem lichten Augenblicke der Blitzstrahl der Freiheitshoffnung aufleuchten. Wie wenn man ihn am Wege liegen ließe, wie es ihm in Bezug auf die Marschunfähigen der Wüstenkarawanen erzählt worden ist? Könnte er in diesem Falle nicht durch Ruhe und Nahrung gesunden und wieder zu Kräften gelangen? Und dann – süßester aller Hoffnungsstrahlen! – die geliebte Heimath ist ja nicht so fern. Welche bittere Enttäuschung wartet des Unglücklichen! Sein Herr weiß sehr gut, welche glückliche Möglichkeit zur Flucht sich dem Erschöpften eröffnet, wenn er ihn am Wege liegen läßt. Indeß sein Eigennutz, verbunden mit unmenschlicher Grausamkeit, bestimmt ihn, diese Möglichkeit zu nichte zu machen. Wohl läßt er ihn am Wege liegen, aber nicht lebend. Kaltblütig zieht er sein Messer aus der Scheide und schlachtet ihn ab, zum grausigwarnenden Beispiele für seine anderen Sclaven, die möglicher Weise ähnliche Hoffnungen fassen und, ohne wirklich bis zum Tode erschöpft zu sein, Marschunfähigkeit heucheln könnten.

Es ist dies vielleicht die schwärzeste Nachtseite, welche jemals an dem dunkeln Bild des afrikanischen Sclavenhandels enthüllt worden ist. Nur in Brasilien und Westindien sollen in früheren Zeiten, wenn man den Berichten einzelner Reisenden Glauben schenken darf, ähnliche Grausamkeiten vorgekommen sein, und zwar wären diese, wie es heißt, von Europäern ausgeübt worden, wie denn der Europäer, wenn er ausartet, oft schlimmer ist, als der barbarischste Wilde. Diesen Europäern (denn sehr viele sogenannte amerikanische Sclavenhändler waren nicht Amerikaner, sondern Europäer) können sich also die Leute von Baghirmi würdig an die Seite stellen. Aber in Afrika selbst ist ein solch unmenschliches Verfahren sonst etwas Unerhörtes. Dr. Nachtigal, der viele Sclavenhändler in Bornu kannte, die gewohnt waren, von dort aus mit den oben beschriebenen Wüstenkarawanen nach Tripolis zu reisen, fand, daß die Erzählung seiner schrecklichen in Baghirmi gemachten Erfahrungen selbst bei diesen keineswegs sich durch Menschenliebe auszeichnenden Leuten Staunen und Entrüstung erweckte. Auch sie wollten anfangs nicht an die geschilderten Unmenschlichkeiten glauben. Als aber die Berichte vieler Augenzeugen keinen Zweifel mehr gestatteten, brachen sie in Verwünschungen über die Uebelthäter aus. Einer meinte: diese Leute entehrten das Handwerk; man müßte sich ja schämen, Sclavenhändler zu sein, wenn man solche Berufsgenossen sähe.

Sollte, so wird wohl der Leser fragen, denn diesem schändlichen Treiben, wie überhaupt dem ganzen Sclavenwesen nicht ein Ende zu machen sein? England hat ja in neuester Zeit wieder (durch Sir Bartle Frêre’s Mission) Bestrebungen zur Unterdrückung dieses Handels gemacht und sogar vom Sultan zu Zanzibar einen Vertrag erzwungen, wonach der Verkauf von Sclaven an der ostafrikanischen Küste eingestellt werden muß. Sollten die Folgen hiervon sich nicht auch in Inner-Afrika fühlbar machen? Leider können wir auf diese Fragen keine unbedingt tröstliche Antwort geben. Das Sclavenwesen ist eben eine inner-afrikanische Institution geworden. Aber die Unterdrückung des überseeischen Sclavenhandels (denn dieser ist es fast ausschließlich, auf dessen Aufhebung die Bestrebungen Englands bis heute gerichtet waren) hat ohne Zweifel einen großen Fortschritt gemacht, obgleich auch hier noch lange nicht so viel erreicht worden ist, wie uns einige rosig gefärbte Zeitungsberichte glauben machen wollen. (Ich brauche nur daran zu erinnern, daß trotz der schon sehr alten Verträge mit der Türkei, welche allen Sclavenhandel in den Staaten des Sultans verbieten, immer noch Neger in Constantinopel, Tripolis und andern Städten verkauft, ja sogar, o Ironie! auf englischen Dampfschiffen von Tripolis nach Constantinopel verschickt werden.) Indeß wäre es ungerecht, alle Folgen der Aufhebung des überseeischen Sclavenhandels auf die Verminderung des inner-afrikanischen zu leugnen. In der Nähe der Küsten werden sich diese Folgen recht bald geltend machen. Im Innern langsamer, ja wahrscheinlich anfangs in kaum merklicher Weise, aber doch vielleicht stetig, ausdauernd, wenn nur die Europäer nicht in ihrem Eifer erschlaffen. Einen Strahl der Hoffnung, daß gleichfalls jener Binnenhandel mit Sclaven einmal energisch unterdrückt werden könne, dürfen wir auch in der Aussicht erblicken, daß sich das Innere Afrika’s dem Europäer immer mehr erschließen wird. Sind aber diese Regionen einmal der Wissenschaft und dem Handel erschlossen, dann werden sich auch dort dem die Menschenrechte zur Geltung bringenden Einfluß europäischer Gesittung die Thore öffnen. Es wird freilich ein langsames Werk, ein Werk der Geduld und Aufopferung sein, aber wir brauchen nicht an seinem endlichen Gelingen zu verzweifeln. Unter diesem Werk verstehen wir die Ausrottung des inner-afrikanischen Sclavenhandels und die Abschaffung solcher Gräuel, wie wir sie in obigen Zeilen geschildert haben.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_521.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)