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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Aus dem Lager der Carlisten.
1. Im Kloster von Montserrat.
Von Fred. John Apel.[1]


Die wilden Parteikämpfe, welche gegenwärtig noch die pyrenäische Halbinsel verheeren, fordern das Interesse der gesammten civilisirten Welt um so lebhafter heraus, je dramatischer sie hier und da sich gestalten und je tiefer die politische Stille in den sonst tonangebenden Staaten ist. Möge daher ein Bild des carlistischen Lagerlebens aus eigener Anschauung, welches zugleich ein Stück meiner Streifzüge abgiebt, freundliche Aufnahme finden.

Nach zweimonatlichem Aufenthalt in Navarra wanderte ich über Arragon nach Catalonien, wo ich mich der Abtheilung des Prinzen Alfonso als Berichterstatter anschloß und, in dieser Eigenschaft Catalonien durchstreifend, hinreichend Gelegenheit fand, mich über die Anzahl, Organisation, Bewaffnung und die Aussichten der Carlisten genau zu unterrichten. Es war während dieser Zeit, daß Don Alfonso nebst seiner ihn stets begleitenden Gemahlin Donna Blanca, oder, um ihren vollen Titel zu nennen, Donna Maria de las Nieves, Tochter Dom Miguel’s aus dem königlichen Hause Braganza, in Verbindung mit Saballs und andern Carlistenführern beim Dorfe Alpens die Colonne des Generals Cabrinetty angriff und gänzlich aufrieb; hierauf trennte sich der Prinz von Saballs mit der Verabredung, daß sie sich drei Tage später in dem Dörfchen Odena, drei Stunden von Igualada, wieder vereinigen wollten.

Nachdem wir im Prado de Llusanes übernachtet hatten, zogen wir nach Sellent und schlugen von hier aus die Richtung nach dem Montserrat ein, an dessen Fuße die kleine Stadt Monistrol liegt, mitten in einem grünen Laubmeer und von dem reißenden Llobregat bespült. Wir näherten uns diesem Orte auf einer wohlerhaltenen Hochstraße, bepflanzt mit laubreichen Kastanien- und Wallnußbäumen; links von der Straße breiteten sich, bis hoch an den Fuß des Berges, in üppiger Fülle goldene Aehrenfelder und Weingärten aus. Gegen acht Uhr Abends marschirten wir ein, aber ich kann nicht sagen, daß uns die ehrsamen Bürger von Monistrol mit heller Begeisterung empfangen hätten; sie zeigten im Gegentheil den Getreuen des Carlos Septimo ziemlich verdrießliche Mienen und schienen entweder sehr republikanisch gesinnt zu sein oder zu fürchten, daß ihre Eigenthumsrechte von den Streitern für das heilige Legitimitätsprincip nicht genügend dürften respectirt werden; eine Befürchtung, die allerdings, wie sich nachher zeigte, nicht ganz unbegründet gewesen war.

Inmitten ihres düsteren Schweigens marschirte unsere Colonne nach der Plaza oder dem Marktplatze, wo auf das Commando: „Descansan armas!“ (Nieder ’s Gewehr) mit dem erfreulichen Zusatze: „Hora y medio!“ (Anderthalb Stunde) Alles auseinander ging. Es war uns also anderthalb Stunde Zeit gegeben, ausreichend, einen vortrefflichen Abendimbiß einzunehmen, dessen Genuß uns weder durch die Nähe einer republikanischen Truppe, noch durch die immerhin nahe liegende Möglichkeit gestört ward, irgend einen auf Bezahlung dringenden trotzigen Bürger füsiliren zu müssen. Die tapferen Streiter Don Alfonso’s blieben dieser unangenehmen Nothwendigkeit überhoben; nachdem dann auch noch das Geschäft, den Stadtsäckel der guten Bürger Monistrols um 25,000 Duros (gleich 125,000 Pesedas) zum Besten der „guten Sache“ zu erleichtern, in aller Ruhe vor sich gegangen war, ertönte das Signal zum Aufbruch.

Als Donna Blanca sich mit gewohnter Grazie in den Sattel schwang, hielt der Alcalde von Monistrol ihr mit der Miene tiefster Zerknirschung, die keineswegs mit einem so freudigen Ereignisse, wie es der Besuch des königlichen Bruders doch hätte sein müssen, harmonirte, den Steigbügel. Der Marsch wurde wieder angetreten, und ich bemerkte nach wenigen Minuten, daß es den Montserrat hinan ging. Obgleich nun, wie fast überall, wo Klöster auf Bergeshöhen liegen, auch der Montserrat zur Bequemlichkeit dickbäuchiger Mönche und Tausender von Wallfahrern mit vielen breiten und gemächlichen Straßen versehen ist, schien doch unser militärischer Führer, General Miret, die allerschlechteste und steilste gewählt zu haben, die wir mit aller Anstrengung in tiefer Finsterniß ersteigen mußten. Rings umher waltete gespenstige Stille, die nur mitunter durch ein indiscretes Säbelgeklirr, das Poltern eines thalwärts rollenden Felsstückes oder das Wiehern eines ungeduldigen Rosses unterbrochen wurde. Eine Stunde später schwebte der Mond am klaren Himmel empor und verbreitete rings um die gigantische Bergmasse und über die tief unten gelegene Ebene mit dem Städtchen Monistrol eine Fülle weißen Lichtes.

Donna Blanca, eine schöne, stolze, kalt gemessene Dame, war auf ihrem prachtvollen schneeweißen Rosse immer unter den Vordersten. Plötzlich wendete sie ihr vom Mondlicht verklärtes Antlitz nach mir hin und redete mich deutsch an; sie ist bekanntlich in Deutschland erzogen und spricht mit Vorliebe die Sprache dieses Landes, obwohl ich ihr als Engländer galt, wußte sie doch auch von mir, daß ich das Deutsche (meine Muttersprache) leidlich spreche.

„Gestehen Sie mir, Herr Engländer,“ begann sie mit schelmischem Lächeln, „wir sind in Ihren Augen doch nur eine Räuberbande – mein Gemahl ist der Räuberhauptmann und ich bin die Frau Hauptmännin.“

„Meiner Treu’, Hoheit,“ erwiderte ich, mit einem Blicke aufrichtiger Bewunderung in ihr hübsches Antlitz, „wenn dem auch so wäre, so möchte ich doch denjenigen sehen, der unter einer so schönen Führerin nicht überall in der Welt gern Räuber sein würde.“

Laut auflachend ging sie flüchtig zu einem andern Thema über. Nach einer weiteren halben Stunde näherten wir uns dem Kloster, zugleich aber auch der steilsten Partie unseres Weges, wie das Hinabstürzen einiger armer Gesellen unseres Zuges, das Fluchen der in den Sturz ihrer Cameraden mit Verwickelten und das Hinabdonnern losgerissener Gesteinsmassen hinreichend bewies. Endlich erreichten wir einen geräumigen Rasenplatz unmittelbar unter den Mauern und vor dem Eingange des Klosters. Unser Erscheinen war jedenfalls den Herren Confratres bereits angekündigt, denn nachdem wir uns ordnungsgemäß aufgestellt hatten, marschirten wir ohne Aufenthalt durch den weiten Klostergarten nach dem bereits offenen, mit einer prächtigen zweistöckigen Façade geschmückten Portal.

Das Kloster von Montserrat ist eine geschichtliche Berühmtheit. In seiner Capelle war es, wo Ignatio von Loyola vor der Madonna Wache hielt, bevor er sich zu ihrem Ritter erklärte und den Orden Jesu gründete, und hier legte er auch auf ihrem Altare das Schwert nieder, welches nun im El Belem zu Barcelona aufbewahrt wird. Die Capelle selbst ist in die von der Natur gebildete, einem Amphitheater gleichende Nische eines hoch emporstrebenden, niederhangenden Felsens eingebaut, der jeden Augenblick herabzustürzen und das Dach der Capelle zu zerschmettern droht. In der That wurde vor einigen Jahren das daneben liegende Krankenhaus durch eine herabsinkende Felsmasse zertrümmert, ungeachtet der täglichen Messen, welche in der Capelle zu Ehren der heiligen Jungfrau gelesen werden.

Das ganze Kloster gleicht mit seinem Krankenhaus, seinem Collegium, seinen Schulen, Verkaufsläden, Weinschenken und einer vortrefflichen Fonda (Gasthaus) einer kleinen Stadt; es breitet sich mit der hochgelegenen Esplanade, umgeben von üppigen Baumanlagen, prächtig aus und gewährt einen herrlichen Ausblick auf die Tiefebene mit dem Städtchen Monistrol.

Unter dem Portale durchmarschirend und einen von zwei Gebäudeflügeln flankirten, mit Marmorplatten belegten Hof betretend, wurde uns ein wahrhaft magischer Anblick. Die Mönche begrüßten in der Annäherung einer carlistischen Truppe, welche der eigene Bruder des strengkatholischen „Königs Karl des Siebenten“ führte, gleichsam das Wiederaufleben ihrer etwas in Mißcredit

  1. Die Gartenlaube schwärmt nicht für die Carlisten, nimmt aber gern die objectiven Schilderungen eines Landsmannes auf, der sich augenblicklich als Correspondent einer englischen Zeitung bei dem Prinzen Alfonso befindet.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_567.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)