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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

können Vampyrsträume bei reizbaren Personen erzeugen; gewisse Halskrankheiten bringen Traumvorstellungen des Gewürgtwerdens hervor; Aufregungen in der Sexualsphäre rufen sehr leicht und häufig Incubus- und Succubusträume herbei.

Der oben erzählte berühmteste aller bekannt gewordenen Vampyrskandale zu Meduegia in Serbien wurde, nachdem mehrere Personen am Genusse kranken Fleisches gestorben waren, dadurch eingeleitet, daß ein Haiduck, Joviza, meldete, seine verstorbene Schwiegertochter Stanjoicka habe sich eines Tages frisch und munter schlafen gelegt, sei dann um Mitternacht mit einem entsetzlichen Geschrei, Furcht und Zittern aus dem Schlafe gefahren und habe geklagt, daß sie von einem vor vier Wochen gestorbenen jungen Haiducken, Namens Milloë, am Halse gewürgt worden sei und zugleich einen heftigen Schmerz an der Brust empfunden habe. Man bemerkte auch an ihrem Halse einen zollgroßen, blutunterlaufenen Fleck, und wenige Tage darauf war sie eine Leiche. Die namentlich auf diese Aussage hin erfolgte Aufgrabung zeigte ihren Körper wie den des Haiduckensohnes und anderer Personen im „Vampyrstande“.

Man kann obiger Erzählung und ähnlichen Berichten vollkommen Glauben schenken, nur muß man sich erinnern, daß hier Ursache und Wirkung, wie so oft, verwechselt wurden, denn die Halsentzündung erzeugte den Würgertraum, während sie fälschlich für das Wahrzeichen des Traumes angesehen wurde. Der bereits erwähnte Harenger hielt die gesammte Krankheit zu Meduegia für eine aus dem Genusse giftigen Fleisches (der Vampyrschafe, während doch sonst Vampyrblut heilt) entstandene bösartige und vielleicht ansteckende Bräune. Da haben wir einen dritten sehr gefährlichen Bundesgenossen im Traumleben, der, besonders wenn er, wie in den griechisch-katholischen Ländern, durch kirchliche Lehren unterstützt wird, die allerverderblichsten Folgen für Gesundheit und Leben herbeiführen kann. Nachdem so durch Seuchen, Lebendigbegrabene, kirchlichen Aberglauben und Traumvorstellungen ein grausiges Gespenst im Volksverstande erzeugt war, bedurfte es nur noch eines augenfälligen Beweises, um die unanfechtbare Wahrheit des Vampyrdaseins zu erhärten.

Diesen Beweis lieferten die Kirchhofsuntersuchungen. Drei, vier Wochen, ja Monate lang beerdigte Todte wurden „frisch und unverwest“ gefunden. Ihr Blut war flüssig; Haar, Bart, Nägel waren gewachsen; die Haut war zum Theil erneuert. Daß sich in den Wintermonaten die Leichen lange frisch erhalten, hat für Den nichts Wunderbares, der da weiß, daß man geschossenes Wild in der kalten Jahreszeit viele Wochen unverändert aufbewahren kann. Von diesem Gesichtspunkte würde der Befund auf dem Friedhofe von Meduegia vom 7. Januar 1732 nicht so sehr auffallend sein. Aber auch für den Sommer besitzen einzelne Friedhöfe und Gewölbe (zum Beispiel im Bremer Dome) das sonderbare Privilegium, die Leichen sehr lange unverwest zu erhalten, sei es wegen Trockenheit des Bodens, sehr reichlichen oder äußerst spärlichen Luftzutrittes oder aus anderen Ursachen. Außerdem mögen die Todesursachen die Körper in sehr ungleicher Weise zur Verwesung vorbereiten. Was aber das Fortwachsen von Haar und Nägeln bei Leichnamen anbetrifft, welches bereits der Kirchenvater Arnobius leugnet, Tertullian wenigstens nicht als Beweis dafür gelten lassen will, daß bei einem Körper noch eine Spur Seele und Leben zurückbleibe, so ist mir leider unbekannt, ob dieser Umstand von einem neuern Beobachter untersucht worden ist. In’s Gewicht fällt allerdings, daß Aristoteles in seiner Thiergeschichte den Vorgang behauptet, und zahlreiche ältere Schriftsteller ihm beipflichten. Ranft und Garmann vergleichen diese Hornsubstanzen den Moosen, die auf der Rinde abgestorbener Bäume fortwachsen. Es scheint etwas Annehmbares in dem Vergleiche des Haares mit einer Pflanze zu liegen, und die Fortbildung des Haares aus Reservestoffen, die in der Nähe seiner Wurzel abgelagert sind, scheint mir, natürlich nur auf kurze Zeit denkbar, nicht zu den Behauptungen zu gehören, die man von vornherein leugnen darf. Endlich das Flüssigbleiben des Blutes betreffend, ist es als festgestellt anzusehen, daß unter gewissen Umständen, zum Beispiel beim Erfrieren, das Blut weniger schnell gerinnt. Bei vierundzwanzig Personen, die 1709 beim Eisgange der Donau umkamen, fand man nach den in gelehrten Arbeiten jener Zeit niedergelegten Mittheilungen noch nach vier bis acht Wochen das Blut flüssig.

Offen gesagt, gebe ich herzlich wenig auf die Mehrzahl jener Vampyr-Leichenschau-Berichte, denn die meisten gingen von Leuten aus, welche Wunder sehen wollten und sich obendrein zu dem Werke „Muth getrunken“ hatten. Man hat offenbar in vielen Fällen Dinge gesehen, die nicht vorhanden waren, rothbraune Fäulnißflüssigkeit für frisches Blut ausgegeben und die Nasen absichtlich in nicht zu nahe Berührung mit dem Schreckensgegenstande gebracht. Wenn die griechische Kirche die Vampyre als Tympaniten bezeichnete, so will dieser Ausdruck doch offenbar sagen, daß man ihre Leiber unförmlich gedunsen und angeschwollen fand. Der Ueberfüllung des Körpers mit fremdem Blut wurde hier offenbar zugeschrieben, was die beginnende Fäulniß für sich bewirkte. Auf entsprechende Schlüsse führt die neugriechische Benennung Broukolaken, die den Sprachforschern zufolge Bourkolaken zu schreiben wären, da das Wort abzuleiten sei von βοῦρκος d. h. Schmutz, Koth und λάακος d. h. Grube, Kloake, weil man ihre Gräber gewöhnlich mit Schmutz, dem rechten Element des Teufels, gefüllt fände.

Meine Ansicht über die Unzuverlässigkeit der meisten Vampyr-Befund-Nachrichten wird stark unterstützt durch den einzigen Bericht, den wir von Seiten eines Naturforschers über den Befund in einem Vampyrgrabe erhalten haben. Derselbe rührt von dem berühmten Botaniker Tournefort her, welcher auf seiner Orientreise im Winter des Jahres 1700 Gelegenheit hatte, auf der Insel Mykone einer Art Volksfest beizuwohnen, welches in Aufgrabung und Execution eines Vampyrs bestand. Seine Schilderung, die sich im ersten Bande seiner Orientreise befindet, ist ebenso unterhaltend als lehrreich und mag zum Schlusse den düstern Eindruck verscheuchen helfen, den diese Grabesbetrachtungen hervorgebracht haben könnten. Ich halte die ausführliche Mittheilung für um so zweckmäßiger, da Perty und ähnlich denkende deutsche Mystiker, obwohl sie von dem Vorhandensein dieses Berichtes, der die lächerliche Seite des Vampyr-Aberglaubens an’s Licht bringt, genaue Kunde hatten, sich wohl gehütet haben, ihn mitzutheilen oder Schlüsse daraus zu ziehen.

„Ein Landbewohner,“ erzählt Tournefort, „von einem mürrischen und streitsüchtigen Temperamente, war auf dem Lande, man wußte nicht durch wen oder wie, getödtet worden. Zwei Tage nach seiner Beerdigung in einer Capelle der Stadt (Mykoni) verbreitete sich das Gerücht, daß man ihn mit langen Schritten umherlaufen sähe, daß er in die Häuser dringe, um die Möbel umzuwerfen, die Lampen auszulöschen, die Leute von hinten zu umfassen und tausend Schalksstreiche auszuführen. Man lachte anfangs blos darüber, aber die Sache wurde ernsthaft, da die angesehensten Leute sich zu beklagen anfingen. Die Popen erklärten ihren Glauben an die Sache und hatten ohne Zweifel ihre guten Gründe dazu. Inzwischen setzte das Gespenst diesen Wandel fort. In einer Versammlung der Stadthäupter, Priester und Mönche wurde endlich beschlossen, daß man, ich weiß nicht welchem alten Brauche zu Liebe, die neun Tage nach der Beerdigung abwarten wolle.

Am zehnten Tage las man eine Messe in der Capelle, in welcher der Leichnam lag, um den Dämon auszutreiben, welchen man in demselben eingeschlossen wähnte. Darauf scharrte man den Körper aus und schickte sich an, ihm das Herz auszureißen, was ein Beifallsjauchzen in der ganzen Versammlung hervorrief. Der Körper duftete so übel, daß man genöthigt war, mit Weihrauch zu räuchern; aber dieser Qualm, vermischt mit dem schlechten Geruche, vermehrte die Beschwerden nur und begann den Kopf dieser armen Leute zu betäuben; ihre Phantasie erfüllte sich mit Visionen. Man verstieg sich so weit, zu behaupten, daß ein dicker Dampf aus dem Körper selbst hervorströme. Wir wagten nicht zu versichern, daß es nur der Weihrauchdampf sei. Man schrie in Einem fort: ‚Broucolaccas!‘ in der Capelle und auf dem Platze. Der Lärm verbreitete sich in den Straßen gebrüllartig, und dieser Name schien gemacht, um Alles in Erschütterung zu versetzen. Mehrere Beistehende versicherten, daß das Blut noch ganz hochroth sei; andere schwuren, daß es noch ganz warm sei, woraus man schloß, daß der Todte sehr Unrecht hatte, nicht todt zu sein, oder richtiger dem Teufel sein Leben zu verdanken. Es ist dies genau die Idee, die man von einem Broukolaken oder Vroukolaken hat. Die Leute, welche ihn beerdigt hatten, behaupteten, daß sie wohl bemerkt hätten, daß er nicht steif gewefen sei, als man ihn vom Lande nach der Kirche geschafft, und

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