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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


von Kopf und Schwanz gehende Seitenkrümmung auszuführen, um überhaupt noch Platz zu finden. Die zum Athmen nöthige Luft wird – früheren Beobachtungen entgegen – durch einen weiten Spalt an der kurzen geraden Seite gewechselt, die sich beim freien Umhertreiben des Eies stets nach oben wendet. Sie nimmt also nicht durch etwaige Poren der Eischale, wie bei den Vögeln, ihren Weg. Mehrmals beobachteten wir, daß sich im Verlauf einiger Tage nahe diesem Ende eine Luftblase im Ei sammelte und dasselbe endlich durch die erwähnte Spalte verließ. Diese ist auch der Weg für das ausschlüpfende Junge. Das erste unter ihnen verließ das Ei im Herbste vorigen Jahres, wahrscheinlich mit unberufener Nachhülfe, denn es schleppte noch mehrere Tage den allmählich immer kleiner werdenden Dottersack mit sich herum, der bei den folgenden Thierchen nicht oder nur als ein winziges Bläschen zu erkennen war. In der Form glich es den Alten vollständig; seine Farbe erschien aber viel lichter und noch weit von dem späteren kräftigeren Braun entfernt. Die fünf in heftiger Bewegung begriffenen Kiemenspalten am Halse und die sehr deutlich hervortretende Seitenlinie waren hell-blutroth.

Wie nicht anders zu erwarten, gelang die weitere Aufzucht der Jungen nicht; man mußte sich schon damit begnügen, daß dieselben nach der Durchtränkung ihres Behälters mit dem aus Muschelthieren und Fischeiern bereiteten Nahrungssaft etwas an Größe und Lebhaftigkeit zunahmen und ihr Leben auf drei Wochen brachten. Die durch den interessanten Entwickelungsgang in vielfachen Beziehungen verursachten Anregungen waren aber auch lohnend genug, um schon mit der Erreichung dieses Stadiums sich zufrieden zu erklären.




Von einer untergegangenen Fürstlichkeit.
Pariser Erinnerungen von Adolf Ebeling.


Wenn man vor ungefähr zwanzig Jahren in Paris durch die Elyseischen Felder nach dem Triumphbogen ging, wie ich mehrfach gethan, so bot sich einem ein ganz anderes Bild als jetzt: kaum ein Dritttheil der großen Avenue war bebaut; weite Rasenflächen und Gräben zogen sich zu beiden Seiten der Hauptallee entlang, und gleich hinter dem Triumphbogen begann das Bois de Boulogne, aber noch ohne Paläste und Kunstgärten; es war ein einfaches, schlecht unterhaltenes Gehölz und nichts weiter. Erst dem Wunsche des Kaisers Napoleon und der Energie seines Factotums Haußmann war die große Umwandlung vorbehalten – aber wer uns damals in einer Laterna magica das Bild gezeigt hätte, wie es sich uns darstellt, wäre gewiß verspottet und verlacht worden. Nur eine prächtige Villa, rechts in ziemlicher Entfernung vom Triumphbogen, machte schon damals eine auffallende Ausnahme; sie gemahnte wie eine Oase in der Wüste. Wer, was übrigens Wenige thaten, seinen Spaziergang bis dahin ausdehnte, blieb verwundert stehen, denn er befand sich auf einmal, nachdem er an allerlei Baracken und halbverfallenen, ärmlichen Wohnungen vorbeigekommen war, vor einem palastähnlichen Gebäude, das noch dazu ganz seltsam und phantastisch aussah. Auf den ersten Blick konnte man wohl meinen, es sei eine Art von Castell oder Citadelle. Die hohen und dicken Mauern, welche das Gebäude mit seinen beiden Höfen und dem daranstoßenden Garten umgaben, waren dergestalt mit massiven sowohl aufrechtstehenden wie hinabgebogenen und scharfzugespitzten Eisenstangen versehen, wie man dergleichen kaum an einem Gefängnisse oder an einem mittelalterlichen Arsenale antrifft; an den Mauerecken liefen sogar diese Stangen senkrecht bis auf die Straße hinab, als wollte man schon die bloße Annäherung und Berührung verhindern. Die zwei großen Doppelthore waren gleichfalls ganz mit starken Eisenplatten beschlagen, wie Festungsthore, nur daß man sich an diesen natürlich nicht die Mühe giebt, alle vorspringenden erhöhten Flächen und Kanten, Schilder und Schraubenköpfe zu vergolden, wie es hier der Fall war. Auch das oben beschriebene Gitterwerk der Mauer war reich vergoldet; der Besitzer, der dahinter wohnte, mußte des edeln Metalles nicht wenig haben, das sagte man sich unwillkürlich.

Und so war es auch; denn dieser Besitzer war kein Anderer als der Herzog Karl von Braunschweig, der sich hier angekauft und angebaut hatte und sich sein unfreiwilliges Exil durch die Freuden und Genüsse der Hauptstadt der Welt möglichst zu versüßen suchte. Daß jene Freuden und Genüsse sehr zweideutiger Natur waren, ist allbekannt, wie denn überhaupt das Leben und Treiben dieses entthronten Selbstherrschers für jeden anständigen, namentlich aber für die in Paris lebenden Deutschen, nichts weniger als schmeichelhaft und angenehm war.

Wenn wir jetzt, wo dieser Held der Demimonde das Zeitliche gesegnet hat (von Segen kann dabei nicht sonderlich die Rede sein, man müßte denn das Genfer Testament als solchen betrachten), wenn wir ihn noch einmal unseren Lesern flüchtig vorführen, so wollen wir uns allerdings von vornherein gegen das bekannte „de mortuis nil nisi bene“ verwahren – denn wenn wir etwas Gutes von dem Ex-Herzog berichten sollten, so kämen wir wirklich in nicht geringe Verlegenheit. Uebrigens sind es nur einige persönliche Erinnerungen, um die es sich hier handelt, nicht eine Biographie und noch weniger eine ernste Charakteristik des Verstorbenen; das wäre, und namentlich der letztere Punkt, eine wenig lohnende Aufgabe, die dem Gerichtsschreiber überlassen bleibt, dem auch diese in so vieler Beziehung klägliche Figur unerbittlich anheimfallen wird.

So, wie eben geschildert, präsentirte sich also das Palais des Herzogs von außen; vergessen dürfen wir dabei nicht die rosenrothe Farbe, mit welcher das ganze Gebäude angestrichen war, was demselben allein schon ein barockes und theatralisches Aussehen gab. Das Innere entsprach diesem Aeußern vollkommen. Allerdings berichte ich hier zumeist nur nach Hörensagen; denn wenn es mir auch einige Male vergönnt gewesen ist, die unteren Räume mit dem Wintergarten, dem Billard- und Speisesaal etc. zu betreten, so bin ich, ehrlich gestanden, niemals die breite, weiße Marmortreppe hinaufgekommen und noch weniger in die Privatgemächer des hintern Flügels, wo sich das Schlafzimmer mit dem feuer- und bombenfesten Gewölbe befand, welches letztere zur Aufbewahrung der Schätze und Kostbarkeiten und namentlich der Diamanten des Herzogs diente. Diese Diamanten gehörten so völlig zur Identität des Herzogs und bildeten gewissermaßen sein zweites Ich, daß man ihn sich ohne dieselben gar nicht denken konnte, wie er denn auch in ganz Paris der Diamantenherzog hieß, unter welchem Titel ihn der letzte Gamin und Eckensteher kannte. Sie machten ihm aber auch viele schwere Stunden, seine Diamanten, und sein ganzes Leben lang war er eigentlich ihretwegen in steter Angst und Sorge. Er verließ manchmal plötzlich das Theater mitten in einer Vorstellung, oder eine Soirée, oder wo er sonst war, rief hastig nach seinem Wagen und ließ sich, so schnell die Pferde nur laufen konnten, wieder nach Hause fahren, und das Alles einzig und allein, um nachzuschauen, ob noch Alles bei ihm in Ordnung, oder ob er nicht etwa bestohlen sei. Und doch hatte er die eisernen Thüren seines Schatzgewölbes mit Selbstschüssen und allerlei sonstigen Sicherheitsvorrichtungen versehen, die zuletzt (denn mit den zunehmenden Jahren steigerte sich seine Diebesfurcht) so complicirt geworden waren, daß er beim Oeffnen und Schließen die größte Vorsicht anwenden mußte, um nicht selbst ein Opfer dieser mörderischen Maschinerien zu werden. Oft läutete er auch in der Nacht seine ganze Dienerschaft zusammen, nur um zu sehen, ob sie auch Alle schnell bei der Hand waren, und man hat ihn auch vielfach Nachts allein durch alle Zimmer und Corridors seines Hauses schleichen sehen, bis hinunter an die Fahrthore, um die Schlösser und Riegel zu untersuchen, immer dabei mit Revolvern bewaffnet, um einen unbefugten Eindringling sofort niederzuschießen.

Augenzeugen, die den Herzog bei solchen Gelegenheiten beobachten konnten, versicherten, er sehe aus wie das personificirte böse Gewissen, was wir gern glauben wollen, vorzüglich wenn wir an den Ursprung jener Reichthümer zurückdenken.

Es mag im Jahre 1852 oder 1853 gewesen sein, als ich den Herzog zum ersten Male sah und zwar in der Italienischen Oper. Ich hatte von einer befreundeten vornehmen Familie eine Einladung erhalten, sonst hätte ich damals wohl schwerlich die fünfzehn Franken für ein Billet riskirt, und saß denn auch im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_603.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)