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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 38.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Künstler und Fürstenkind.

Von August Lienhardt.
(Fortsetzung.)


5.

Noch vor acht Tagen, Gottfried, dachte ich sicherlich heute bei Dir eine letzte Ottobrata[1] zu feiern, Deutschland für lange Zeit den Rücken zu kehren – und nun sitze ich hier wie festgenagelt, der Glücklichste aller Irdischen, und der Unseligste zugleich!

Nachdem ich mein Versprechen gegeben, ein zweites Schneewittchen zu malen, ging ich mit dem festen Entschluß heim, nichts dergleichen zu thun, und lange vor dem verabredeten Termin aufzupacken und zu Dir zu eilen. Dieser heldenmüthige Entschluß blieb denn auch mein fester Wille, nur verschob ich die Abreise von Tag zu Tag, aus so triftigen Gründen, daß ich jetzt nicht im Stande wäre, Dir einen einzigen derselben zu erwähnen. Endlich kam der Tag, wo entschieden werden mußte, und da setzte ich mich in allem Ernste hin, um mein Unglück in’s Auge zu fassen, und endlich einmal klug aus mir zu werden. Aus was bestand eigentlich meine Seelenangst? das war die Frage. Zuerst kam frank und frei die Antwort: Du bist wie ein Narr in ein Wesen verliebt, das Rang, Schönheit und Reichthum auf ewig von dir scheiden, zwischen dem und dir sich eine Schranke erhebt, über die du niemals hättest das Auge werfen sollen, da sie zu übersteigen zu den wenigen Unmöglichkeiten auf Erden gehört. Eile denn von dannen, dich vor dem sichern Untergang zu retten!

Diesem klugen Geständnis, Gottfried, begann nun mein Geist mit wahrhaft macchiavellistischer Schlauheit eine solche Armee von Gründen entgegenzustellen, daß ich selbst darüber in Erstaunen gesetzt wurde. Zuerst die Frage: warum muß das Gefühl, dessen du dir bewußt bist, gerade Liebe sein? Hast du nicht sozusagen dein ganzes Leben in Schönheit geschwelgt? Ist es nicht natürlich, daß deinem nach Vollkommenheit lechzenden Auge eine Erscheinung wie diese das lang gesuchte Ideal der Schönheit dünken mußte? Bewunderung, zurückgehaltene Bewunderung ist das Gefühl, das dich beklemmt. Bleibe, und du wirst genesen! Das kam mir so wahrscheinlich vor, Gottfried, daß ich vorläufig blieb. Entschuldigen mußte ich doch mein Nichtworthalten, und so ging ich am angesagten Tage zu diesem Zweck in’s Palais der Waldemberg.

Einen Fürstendiener hättest Du mich genannt, wärst Du zugegen gewesen. Ich war entzückt, daß die Sitzungen gleich am nächsten Tage beginnen sollten, war berauscht von den gütigen Blicken, welche die Prinzessin auf mich fallen ließ. Zu Hause gestehe ich mir, daß sie mein Talent ungefähr so schätzt, wie das eines gelehrigen Pudels, der den Stock aus dem Wasser holt. In ihrer Gegenwart kommt kein solcher Gedanke auf – ich rede mir ein, daß sie der Meinung, ein Künstler sei wohl einen Edelmann werth, und daß ihr zutrauliches Wesen diesem Gedanken, nicht der Geringschätzung zuzuschreiben sei. Entzückt ging ich nach Hause, Gottfried, mit Scham gestehe ich’s. Als nur der Gedanke an Flucht noch einmal kam, verwarf ich ihn als feig – als feig, hörst Du?

Mit Heldenmuth gepanzert, betrat ich das Zimmer, welches man mir als Atelier eingerichtet; das Zittern meiner Hände nahm einigermaßen ab, als ich meine Vorbereitungen beendet. Noch blieb die Leinwand zu prüfen da ging die Thür auf, und sie trat ein. Wie soll ich sie Dir beschreiben? Meine Feder könnte ich verschlucken, gelänge es ihr, ein würdiges Bild auf’s Papier zu bringen! Ich mag dagestanden haben, etwa wie ein Bauernjunge in der Schule, der sich bewußt ist, statt seinen Gesangbuchvers sich einzubläuen, in den Nachbargarten geschlichen zu sein. Doch ihre liebenswürdige Art nahm bald die Befangenheit hinweg, die ihr erstes Erscheinen bei mir hervorgerufen. Sie setzte sich, legte ihr weißes Kleid in Falten, an die ich Stunden hätte verschwenden müssen, und frug, ob nun Alles in Ordnung? Das mit einem so siegesgewissen Tone, daß mein Widerspruchsgeist erwachte, und ich empört dachte: diese großen Damen sind doch alle nur Modepuppen; der Wirkung, die sie auf Männer machen, gewiß, hat ihre Anmaßung keine Grenzen.

Ich machte ihr nun begreiflich, daß ihre Haare, die nach der neuesten Mode zu einem Riesenbau aufgethürmt waren, nicht für ein Kunstwerk paßten. Meine Stimme, die einen trotzigen Ton haben sollte, mochte wohl recht zaghaft geklungen haben.

Ich hatte gehofft, daß sie sich entfernen würde, um mich die künstlichen Mittel, durch welche sie ihr Haupt geschmückt, nicht sehen zu lassen. Jawohl! In ihr Lehnstühlchen gedrückt, nahm sie eine Batterie Nadeln aus den Zöpfen und Locken, die wie flüssiges Gold auf die classisch geformten Schultern fielen, und dann, Gottfried, als diese Operation, bei der ich nicht zuzusehen wagte, beendet, spricht sie gelassen:

  1. In Rom fährt an jedem Donnerstag im October Alt und Jung, Reich und Arm auf’s Land, wo im Freien gespeist wird. Diese Ausflüge heißen 0ttobrate.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_607.JPG&oldid=- (Version vom 31.3.2021)