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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


laut zu äußern. Lichnowsky wurde nicht geschont, und manches drohende unangenehme Wort konnte er, seiner erregten Natur gemäß, leider nicht unerwidert lassen. Dem schwachen Frankfurter Linienbataillon und der schwachen Polizei machte es Mühe, überall und immer die Ordnung aufrecht zu erhalten, denn auf den Volksversammlungen auf der Pfingstweide gingen die revolutionären Wogen bereits sehr hoch. Man fühlte es, ein Ereigniß, eine Katastrophe lag in der Luft. – Sie kam schnell.

Schon am 17. September war es ziemlich kunterbunt in Frankfurt zugegangen, und für den nächsten Tag fürchtete man noch Aergeres. Deshalb hatte die hohe Reichsverweserschaft wohlweislich heimlich in der Nacht zwei Bataillone Oesterreicher und Preußen aus der damaligen Bundesfestung Mainz herüberkommen lassen, und als in frühster Stunde die Turner (so wurden die Aufständischen damals genannt, an der Paulskirche sich aufstellen wollten, fanden sie zum größten Erstaunen ihre Plätze bereits sehr unangenehm besetzt und überall blitzten ihnen Bajonnete entgegen. Sie zogen mit Schreien und Schimpfen in Haufen, die immer mehr anwuchsen, durch die Straßen, begingen Insulten und Unordnungen jeder Art und fingen hier und da an, Barrikaden zu bauen. Das Militär sah leider ruhig zu, anstatt den Aufruhr im Keime zu ersticken. Dann eine Zeit lang fürchterlicher Tumult, ein wahrer Hexensabbath. Die guten und furchtsamen Bürger flüchten und fliehen in ihre Häuser; die jungen Helden nehmen Stellung und einen guten Trunk. Die Soldaten haben schweigend und geschlossen dasselbe gethan. Alles ist in äußerster Spannung. Eine gewisse Stille ist nach dem ersten Toben eingetreten, bis dann plötzlich irgendwo ein Gewehr (wohl zufällig, wie gewöhnlich) losgeht und mit ihm der wilde, höllische Lärm des blutigen Kampfes. Ungefähr um drei Uhr fielen die ersten Schüsse, zwölf Stunden später wurde es wieder still. Auch meine Straße war durch einige Kartätschenladungen gesäubert worden, und ein gemüthlicher Oesterreicher hatte mir freundlichst in’s Fenster geschossen, als er bemerkte, daß ich es öffnen wollte. Denn nachdem es still geworden, war ich neugierig zu sehen, was aus den Barrikaden und ihren Vertheidigern geworden war.

Um zehn Uhr Abends bekam ich durch unsern Hausdiener, der wie eine Katze in den Straßen herumgekrochen war und uns Neuigkeiten brachte, die erste Nachricht, daß Fürst Lichnowsky und General von Auerswald erschlagen worden seien. Ich war starr vor Schrecken, und kaum fing der Tag an zu grauen, so machte ich mich heraus, um etwas Näheres zu erfahren.

Vorgestern noch war der Fürst bei mir und in bester Stimmung gewesen. Es war seine Absicht, am Abend jenes Tages auf kurze Zeit nach Sagan und Oberschlesien zu reisen, die Aufregung und Gespanntheit in der Stadt interessirten ihn aber so, daß er befahl, die Koffer wieder auszupacken, und als ihm Anton ernstlich zuredete, doch lieber bei seinem ersten Vorsatze zu bleiben und zu reisen, fuhr er ihn an: „Dummer Kerl, wie kannst Du denken, daß ich jetzt reisen werde, wo es erst anfängt, hier interessant zu werden!“ Er blieb. Am 18. hatte Lichnowsky noch am Vormittag der Sitzung der Nationalversammlung angewohnt und war bei seinem Heraustreten aus der Paulskirche von dem dort versammelten Volke mit Zischen empfangen und verfolgt worden, so daß er, in Begleitung des Zeugen dieses Vorfalles, des Fürsten Felix von Hohenlohe, es für gerathen fand, auf der „Zeil“ eine Droschke zu nehmen, um den Wirkungen der Demonstration zu entkommen.

(Fortsetzung folgt.)




Erinnerungen an Schulpforte.
Von Alfred Annaburger.


Es ist eine fast wunderbar erscheinende Erfahrungsthatsache, daß akademisch gebildete Männer, wenn sie bei einem guten Trunk in gemüthlichen Wechselreden auf vergangene alte Tage zu sprechen kommen, die Studentenzeit übergehend, mit dem lebhaftesten Interesse in der Erinnerung ihrer Gymnasialjahre schwelgen. Da hat denn Jeder etwas zu berichten von thörichten und übermüthigen Streichen, von lieben und verhaßten Lehrern, von Lust und Leid.

Fast wunderbar, sage ich, kann das erscheinen, da doch allgemein angenommen wird, daß die Studentenzeit die schönste sei im Leben eines Mannes. Das hat etwas für sich, doch mag ich meinerseits jene Annahme nicht bedingungslos unterschreiben.

Unermeßlich reich freilich ist der Student durch die fast unbegrenzte Freiheit seiner ganzen Lebenseinrichtung. Er geht in’s Colleg oder nicht, er studirt oder nicht, er verreist mitten im Semester, ohne einen Menschen zu fragen, er sitzt zu Hause oder geht in die Kneipe, er trägt eine farbige Mütze oder einen schwarzen Hut, er schläft des Nachts oder am Tage – Alles steht ihm frei. Dafür paßt aber auch hier das paulinische Wort: „Ich habe es zwar Alles Macht; aber es frommt nicht Alles.“ Zur Freiheit gehört Reife, körperliche, geistige, vor Allem moralische. Diese Reife fehlt den Studenten vielfach. Manche ruiniren auf der Universität ihre Gesundheit, nicht wenige ihren Charakter; die Meisten stürzen sich, der lästigen Schulfesseln entbunden, mitten in die Wogen dieser göttlichen Ungebundenheit, verbummeln ein gutes Theil der schönen Zeit, lernen nicht nur nichts, sondern vergessen von dem Mitgebrachten. Später geht das „Pauken“ und „Ochsen“ los; denn das Examen soll gemacht werden. Es wird auch gemacht; „aber fragt mich nur nicht, wie?“ Dann kommt eine bescheidene Anstellung in der verhöhnten Provinz, die ehedem zu nichts gut war, als zeitweilig böotische „Wollonkel“ nach Athen zu schicken – und der Bierphilister ist fertig. Das ist nicht Aller Lebenslauf, aber Vieler. Lächerlich erscheinen dann die Renommirtugenden des bebänderten Burschen und unverständlich die feierliche Rührung, mit welcher der krasse Fuchs den ersten Landesvater sticht.

Andere benutzen nun wohl die Zeit zum Studiren, werden aber über ihrem Wissensdrang und Lerneifer Bücherwürmer; das sind die späteren Lichter in der Gelehrtenwelt oder Streber in der Beamtencarrière. Es ist ein Glück, daß diese Species existirt, aber vom specifischen Studentenleben erfahren sie nichts.

Die goldene Mitte ist auch hier schwer zu treffen, und Wenige sind ihrer, die darauf wandeln.

Die Erinnerung an die Studentenzeit stößt also gar zu oft auf sinnlosen Ulk, auf renommistische Bravaden, leere Collegienhefte, Katerfrühstücke, Nachtwächterkrawalle, aber nichts Absonderliches. Das klingt hart, Manchem vielleicht übertrieben oder gar unwahr. Ich kann mir aber nicht helfen; mir hat die Universität das nicht erfüllt, was ich gehofft. Mag es an mir liegen, aber ich weiß, daß ich nicht vereinzelt in dieser Meinung dastehe.

Lieber, freundlicher, ich möchte sagen reueloser ist mir die Erinnerung an die Schule. Nicht als ob ich hier nur Licht sähe, wie dort nur Schatten – aber doch viel Licht; und das mancherlei Herbe und Harte, was auch auf der Schule erfahren wurde – denn wo wird es nicht erfahren? – wird durch das Gedächtniß des Angenehmen gemildert, um nicht zu sagen vergessen.

Wie lieblich sie daliegt, die in ganz Deutschland hochberühmte Fürstenschule, die alte alma mater Portensis, gewöhnlich Schulpforta genannt, im grünen Winkel buchenbewaldeter Höhen des Saalthals! Blaugrau ragt der mit Schiefer gedeckte spitze Kirchthurm über die Gebäude. Der Eindruck des Ganzen von außen ist entschieden bis heute noch ein durchaus klösterlicher; aber das Leben hinter der ansehnlich hohen Mauer ist es um so weniger. Der im Allgemeinen herrschende Ton ist Frohsinn. Zwar hat der Ankömmling, der – als Nachklang aus der Cistercienserzeit – Novitius genannt wird, einige nicht gerade zarte Pennalwitze zu überstehen, bei denen es zuweilen bis zu schwimmenden Augen kommt; indessen ist das auch nicht so roh, wie es hin und wieder selbst von „Pförtnern“ in unüberlegter Mundvollnehmerei geschildert wird; es ist kein Fall bekannt, daß Krankheit oder gar Tod dadurch verursacht wäre, und der durch diesen Empfang Hindurchgegangene kommt sich sozusagen nun erst als ein in der neuen Gemeinschaft zu Recht Bestehender vor. Es dauert nicht lange, so findet der auch völlig unbekannt Eintretende Cameraden und Freunde. Nicht selten sind gerade diese erstgeschlossenen Freundschaften

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_646.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)