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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


waren, gaben ihr denselben Abschied, aus Furcht, daß sie auch diese mit ihren Blicken bezaubern könne, bis sie – ganz dumm wären.

Es ereignete sich dabei eine hübsche Scene, der ich wohl beigewohnt haben möchte. Der alte Mauerpolier, der auf irgend eine Art hinter die Geschichte gekommen sein mußte, zog seinen Sonntagsrock an und machte sich auf den Weg, um der Frau Kriegsräthin seine Meinung zu sagen, wie er sich ausdrückte. Er hatte seine Rede sehr gut memorirt und sie wohl zwanzig Mal wiederholt, ehe er von der Gartenstraße bis an die Jerusalemerkirche gekommen war. Als ihn aber das Mädchen, nachdem er seinen Namen genannt, in das ‚gute‘ Zimmer geführt hatte, da kam er mit seiner einundzwanzigsten Wiederholung gleich beim ersten Satze in’s Stocken. Denn da hing an der Wand der Kriegsrath in Oel und Goldrahmen, lebensgroß, und hatte seine Orden auf der Brust und ein großes offenes Schreiben mit großem königlichen Siegel in der Hand. Der Maler des Bildes hatte den Moment erfaßt, wo der Verstorbene seine Bestallung zum königlichen Rathe empfangen, und es war nicht zu verwundern, daß das Bild mit sehr stolzer Miene auf den Mauerpolier herabsah. Aber das war noch nichts; denn da war noch das Bild einer schwarzen Dame in schwarzseidenem Kleide und dicken schwarzen Locken; sie war mit einem Male zweimal da – einmal neben dem Kriegsrathe, auch in Oel und Goldrahmen, und dann noch einmal in der offenen Thür in Lebensgröße, nur etwas älter und nicht ganz so sprechend. Da war die Rede des alten Mannes plötzlich ganz zum Teufel und er machte nur ein paar verlegene Bücklinge, die nicht sehr herausfordernd aussahen und meine Tante augenblicklich beruhigten. Sie mußte wohl etwas von Taktik wissen, denn sie benutzte die augenscheinliche Schwäche ihre Gegners, drehte den Spieß schnell um und ging von der Annahme aus, daß er gekommen sei, um zu entschuldigen, daß seine Tochter das in sie gesetzte Vertrauen nicht besser gerechtfertigt habe. Dabei war sie aber sehr gütig und sagte, wie leid es ihr thue, daß das kleine Mädchen sich etwas in den Kopf gesetzt habe, was doch einmal nicht zu erfüllen sei. Sie werde es mit der Zeit schon wieder daraus loswerden, sie wolle ihr somit weiter nicht böse sein, ihr nichts nachtragen und ihr für die Zukunft alles Gute wünschen. … Und damit hatte sie den alten Mann sehr höflich zum Zimmer hinauscomplimentirt, und dieser hatte erst nach Stunden den Anfang seiner Rede wiedergefunden, als er bei der zweiten Weißen und beim dritten Kümmel war.“

Ich hatte unwillkürlich über dieses kleine Genrebild gelacht das er durch eine drollige Darstellung des alten Poliers noch illustrirte, und er fuhr, dadurch aufgemuntert, nach kurzer Pause in seiner Erzählung fort:

„Die Kriegsräthin glaubte die fatale Angelegenheit damit aus der Welt geschafft zu haben, während Eduard in der Sache anders dachte; seine Mutter spielte alle Abende L’Hombre, und so hatte mein schöner Vetter nichts zu fürchten und holte alle Abende heimlich seine kleine Näherin ab. Vielleicht trifft das arme Mädchen hier ein Vorwurf, aber was wollte sie schließlich gegen den zauberhaften bläulichen Schimmer machen, nachdem ihr das Verständniß dafür aufgegangen war? Sie liebte Eduard, und Gott weiß, was er ihr Alles versprochen haben mag! Ich habe es nie herausbringen können; sie sprach nie davon, obgleich ich der Vertraute war. Ob meine Tante Kenntniß von dem Verhältnisse hatte, kann ich ebenfalls nicht entscheiden; aber ich glaube es. Eduard zeigte sich oft genug mit ihr, daß sie es wohl durch irgend eine gute Freundin erfahren haben konnte. Sie war aber eine Frau von Welt; ihr Sohn war jung und schön – warum sollte er nicht eine kleine Liaison haben? Ihretwegen! Nur keine Dummheiten … nur nichts Ernstliches!“

„Und das Verhältniß blieb immer ein oberflächliches?“ fragte ich; „es kam nie auf einen Punkt, wo es ernst werden konnte?“

„Es war ein paar Male daran, verteufelt ernst zu werden,“ antwortete mein Freund, „und ich will nur das eine Mal erwähnen. Das junge Mädchen besaß ein tiefes Gemüth, und von dem Augenblicke, wo sie ihm ihr Herz geschenkt hatte, hing sie an Eduard mit ganzer Seele und konnte nicht begreifen, daß er alle Augenblicke Zweifel hatte, Zweifel, wie sie nur die Eifersucht zu haben vermag. Sie wissen, was die Eifersucht bei den Männern ist, – Eitelkeit! Bei meinem Vetter war sie unter allen Umständen nichts Anderes als das. Er glaubte genug gethan, sich genug bloßgestellt zu haben, um dafür das Recht zu besitzen, die Kleine zu tyrannisiren. Sie sollte Niemanden mit einem Blicke ansehen, Niemanden; sie sollte keinen Unsinn reden; sie sollte nicht fortwährend aufspringen, sondern still sitzen; sie sollte nicht solche dummen Fragen machen; sie sollte nicht ausgeschnittene Kleider tragen; sie sollte nicht lachen, nicht so viel lachen. Du lieber Gott! wenn Sie mit angesehen hätten, was das arme kleine Ding Alles nicht sollte! Es war vollständig in Frage gestellt, ob sie noch leben konnte, wenn sie das Alles unterlassen hätte, was ihr hoher Herr ihr verbot.

Eines Tages gab Eduard ein kleines Souper in seiner eigenen Wohnung. Er war jetzt selbstständig und hatte sich sehr hübsch eingerichtet. Es waren nur Freunde und Freundinnen[1] geladen, darunter ein anderer Vetter von außerhalb, ein närrischer kleiner Kauz, der so drolligen Unsinn sprach und so ernst dabei aussah, und eine wahre Force hatte, alle Leute zum Lachen zu bringen. Die arme Emma! Wie sie gekämpft haben mag; wie ihr die Lippen weh gethan haben mögen, auf die sie so fest mit ihren weißen Zähnen gebissen hatte, bis es nicht mehr ging, bis sie losplatzte und dann allerdings in ein unbändiges Gelächter ausbrach. Der hohe Herr richtete seine großen, etwas hervorstehenden Augen zürnend auf sie in der Meinung, sie damit zu Boden drücken und zur Ruhe bringen zu müssen. Wenn er gewußt hätte, wie komisch er dabei aussah, würde er es nicht für ein solches Verbrechen gehalten haben, daß sie ihm hell auf in’s Gesicht lachte. Es entwickelte sich eine Scene, welche beinahe so lieblich war, wie die heute mit angehörte. Der schöne Mann wurde grob gegen das arme Mädchen, fast roh. Sie erhob sich, in der entschiedenen Absicht zu gehen; er machte keine Miene, sie zu halten. Der Vetter von außerhalb, welcher der eigentliche Schuldige war, half durch einen glücklichen Scherz über die Situation hinweg. Emma blieb, und der hohe Herr, der wohl sein Unrecht etwas einsehen mochte, versuchte es wieder gut zu machen. Er wurde liebenswürdig gegen die Kleine; sie blieb artig, aber kalt. Sie interessirte mich an diesem Abend doppelt; ich beobachtete sie genau, und ich weiß nicht, was den Glauben in mir hervorrief, daß sie irgend etwas unternehmen würde. Ich machte meinen schönen Vetter darauf aufmerksam; er zuckte mit den Achseln.

Ob an jenem Abende noch etwas Anderes geschehen war, was ich nicht Gelegenheit hatte zu beobachten, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich mich nicht getäuscht hatte, daß das junge Mädchen in der darauf folgenden Nacht wirklich etwas unternahm. Sie führte die kleine Scene mit dem Kohlentopfe aus, die damals in allen französischen Romanen spielte. Nur hatte die Uebersetzung in’s Deutsche den Kohlentopf in einen kleinen eisernen Ofen verwandelt. Emma’s Wirthin (der alte Polier war vor einem Jahre gestorben, und das arme Kind lebte nun unter fremden Leuten) holte den schönen Mann vor Tagesanbruch aus dem Bette, und er soll sehr erschreckt und bleich ausgesehen haben, als er eine halbe Stunde später an das kleine Lager trat, auf welchem sein Opfer noch immer leblos lag. Die Wirthin erzählte mir zwei Tage darauf, als ich die Kranke besuchte und sie so blaß aussah und so wehmüthig lächelte, einen kleinen Vorgang, der auch wohl der Erwähnung werth ist.

Der alte Doctor, welcher sechs Stunden gearbeitet hatte, ehe es ihm gelang, das junge Leben zurückzurufen, mochte wohl durch die Anwesenheit des schönen Mannes und seinen aufrichtigen Schmerz einen richtigen Einblick in die Sache bekommen haben. Er wandte sich vor dem Gehen zu Eduard und ergriff dessen Hand mit den Worten: ‚Ich bin ein alter Mann und habe als Arzt zuweilen das Recht, in Privatverhältnisse hineinzureden, die nicht vor mir verborgen bleiben konnten. In diesem Falle wird das Recht zu einer Pflicht, die ich hiermit erfülle. Wenn man die Liebe eines braven Mädchens in diesem Maße besitzt, junger Mann, so hüte man sich, etwas zu thun, was einen so traurigen Entschluß hervorbringen kann. Wenn man es aber gethan hat, vielleicht weil man in dem Maße nicht an diese Liebe glaubte, so erkennt man seinen Fehler, wenn man ein Mann von Ehre ist!‘“

  1. Vorlage: „Freudinnen“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_694.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)