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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Wie Zwerge Riesenarbeiten verrichten.

Master C. C. Tilghman aus Philadelphia, Oberst oder gar General im großen amerikanischen Bürgerkriege, hatte während desselben Gelegenheit, eine seltsame Entdeckung zu machen. Auf vorgeschobenem Posten – oder war es bei einem Recognoscirungsstreifzuge? – gelangte er an ein einsam stehendes Gehöft, durch dessen Fenster er nicht in das Innere der Gebäude schauen konnte, weil die Scheiben ganz und gar mattgeschliffen waren. Sich auf solche Weise gegen die zudringlichen Blicke der Vorübergehenden zu schützen, ist nun wohl üblich in belebten Straßen der Großstädte, aber hier in der Einsamkeit schien ihm diese Maßnahme sehr überflüssig, mithin sonderbar, ja Verdacht erweckend, und er that wohl nicht mehr als seine Pflicht, indem er über die Beweggründe dieser ängstlichen Verschanzung gegen die Neugier der Vögel und Verirrten – denn sonst kam Niemand hier vorüber – Erkundigungen einzog. Man erwiderte ihm, dieses schnelle Erblinden der Fenster sei leider eine Ortscalamität, jede neueingesetzte Scheibe verliere in kürzester Frist ihre Durchsichtigkeit und Klarheit. Eine Zeitlang in dieser Gegend verweilend, hatte Tilghman Gelegenheit, die Ursache dieser Eigenthümlichkeit zu ergründen und fand sie in einem scharfen Winde, der den feinen Quarzsand eines benachbarten kahlen Hügels immerfort gegen die Scheiben trieb. Ein europäischer Ingenieurofficier hätte sich bei dieser Beobachtung wahrscheinlich gefragt, ob man von dieser Wirkung des aufgewirbelten Sandes im Kriegswesen Nutzen ziehen könne, etwa um die Fenster der Casernen blind zu schießen oder dem Feinde sonst Sand in die Augen zu streuen. Wenn er keine brauchbare Verwendung für das Kriegsfach gefunden, würde er die Beobachtung als Curiosität seinen Cameraden erzählt und in seiner Gedächtnißrumpelkammer begraben haben.

Nicht so unser Amerikaner mit seinem auf das Praktische gerichteten Sinne. General Tilghman war, nachdem er sein Vaterland vertheidigt und der Krieg beendigt war, wie vorher Bürger und sann immerfort darüber nach, ob man von dem Schleifvermögen des durch Luft bewegten Sandes nicht irgend einen Nutzen für die Gewerbe ziehen könne. Indessen gingen doch Jahre darüber hin, ehe er einen praktischen Versuch machte. Endlich stellte er eine einfache Maschine zusammen, in welcher durch ein gewöhnliches Ventilatorrad ein scharfer Luftstrom erzeugt ward, der einen Strahl von hineingeschüttetem feinem Sande in ansehnlicher Geschwindigkeit mit sich fortreißt und durch die Mündung einer engen Röhre hervortreibt. Eine Glasscheibe, die man vor der Oeffnung hin- und herbewegte, war in wenigen Secunden mattgeschliffen, wie die Fenster der einsamen Farm.

So hat man mir die Erfindungsgeschichte des Tilghman’schen Sandgebläses erzählt, welches auf der Wiener Weltausstellung dicht neben dem westlichen Portale der Maschinenhalle in Thätigkeit ist und für die Besucher einen der Hauptmagnete derselben bildet.

Die Abänderungen und Verbesserungen, welche diese Erfindung seit ihrer etwas über dreijährigen Existenz erhalten, sind nicht wesentlich und beschränken sich nur auf eine Vermehrung der Geschwindigkeit des bewegten Sandes und sonstige Verbesserungen der winderzeugenden Maschine, respective auf einen Ersatz der treibenden Luft durch Wasserdampf; außerordentlich groß dagegen und wahrhaft Erstaunen erweckend ist die Vielseitigkeit der Anwendungen, in denen sich die Nutzbarkeit des Sandstromes bereits bewährt hat. Die schnelle Herstellung matt geschliffener Glastafeln jeder Größe erscheint als eine ganz verwerthbare Leistung, besonders wenn man erfährt, daß eine der dort aufgestellten zwei unscheinbaren Maschinen täglich zwanzigtausend Quadratfuß matt geschliffenes Glas liefern könnte, aber die Anwendung desselben ist am Ende zu beschränkt, um dieser Arbeit einen bedeutenden Werth beizumessen. Die Bedeutung der Erfindung stieg indessen sofort erheblich, als Tilghman bemerkte, daß die abreibende Thätigkeit des bewegten Sandes bei allen harten und spröden Stoffen in ihre volle Wirksamkeit tritt, weichere Gegenstände dagegen, die dem Anprall der feinen Sandkörner nachgeben, viel weniger angreift. Es lag also nahe, aus letzteren Stoffen Schablonen zu verfertigen, mit denen man die Oberfläche des zu schleifenden spröden Stoffes bedeckt, um auf diese Weise Zeichnungen und Muster in denselben einzuschleifen. Bedeckt man eine Glastafel, während sie dem Sandgebläse ausgesetzt wird, mit einem Papierblatt, in welches Figuren geschnitten sind, mit einem Stück Tüll oder einem zarten Spitzenmuster, so sind nach wenigen Secunden die betreffenden Figuren, die zierlichsten Arabesken und Zeichnungen in sauberster Ausführung durchsichtig auf mattem Grunde eingeschliffen. Besonders schön erscheint derartige Arbeit auf sogenanntem Ueberfangglase. Eine dünne Schicht farbigen Glases bedeckt bei demselben die farblose oder andersfarbige Unterlage und wird an den nicht von der Schablone bedeckten Stellen durch den Sandstrahl wegradirt, so daß jetzt die Zeichnung farbig auf weißem Grunde erscheint. Bei der Leichtigkeit, mit welcher sich auf diesem Wege die prächtigsten gemusterten Scheiben erzeugen lassen, ist anzunehmen, daß sie für den Fensterschmuck von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden eine vielseitige Anwendung erfahren werden, wobei durch Verbindung verschiedenfarbiger Gläser Decorationsscheiben von brillantester Wirkung erzielt werden können.

Früher mußte man, um solche Zeichnungen zu erzeugen, die Glasplatte mit einem fettigen Aetzgrund bedecken, in denselben das Muster mit dem Griffel einzeichnen und dann mit Flußspathsäure einätzen, oder aber dasselbe aus freier Hand einschleifen, was mindestens die zehnfache Arbeitszeit erforderte. Jetzt kann der Arbeiter seinen ganzen Fleiß auf den Entwurf geschmackvoller Muster und die Herstellung der Schablonen verwenden, von denen jede eine fünf- bis zehnmalige Benutzung gestattet und die man ja dann auf mechanischem Wege vervielfältigen kann. Gleichviel, ob es die Herstellung des complicirtesten oder eines ganz einfachen Musters gilt, ist die kleine Maschine im Stande, fünfzehntausend Quadratfuß gemustertes Glas in einem Tage zu liefern. Es bedarf nur einer kleinen Abänderung an dem Ausflußrohre, um mit demselben Sandgebläse auch krumme Flächen, z. B. die von Lampenglocken, Flaschen und Gläsern mit derartigen Zeichnungen und Mustern zu versehen.

Weitere Versuche haben gezeigt, daß sich mit Hülfe der Photographie Copien von Kupfer- und Stahlstichen, Holzschnitten etc. in das Glas einschleifen lassen, wenn man die Lichtcopie in einer auf der Glasplatte ausgebreiteten dünnen Schicht Chromleim (einer Mischung von Gelatine und chromsaurem Kali) erzeugt und hierauf das Sandgebläse wirken läßt. Verfasser sah auf diesem Wege erzeugte Copien großer Holzschnitte der Doré-Bibel mit allen Feinheiten des Originals in Glastafeln geschliffen, die, auf dunklen Grund gelegt, ganz wie ein wirklicher Holzschnitt erscheinen. Während es sich aber hierbei nur um die Reproduction von Linienzeichnungen handelt, bei denen die Schatten durch Stärke und Dichtigkeit der Linien hervorgebracht werden, konnten auch Photographien nach der Natur, in Chromleim ausgeführt, bei sorgfältiger Regulirung des Sandstromes in Glas eingeschliffen werden, da der Sandstrom durch das an den Licht- und Schattenstellen verschiedene Stärke besitzende Gelatinehäutchen mit ungleicher Kraft hindurchwirkt und die Halbtöne, genau dem photographischen Bilde entsprechend, wiedergiebt. Durch angemessene Fortsetzung dieses Gravirverfahrens und Hinzunahme des galvanoplastischen Copirprocesses ist es auf diesem Wege gelungen, Druckplatten nach Art der gewöhnlichen Kupferdruckplatten aus photographischen Bildern zu erzeugen.

Man darf nicht glauben, daß die Gewalt des Luftstromes eine sehr bedeutende sein müsse, um dem Sande diese Wirksamkeit mitzutheilen. Ein Sandstrom, dessen Kraft einem Wasserdrucke von hundert Millimeter (vier Zoll) Höhe entspricht, genügt, um in zehn Secunden die Mattirung von Glas zu vollbringen. Ebenso leicht und schnell können Silberplatten matt angehaucht und mit den zierlichsten Ornamenten bedeckt werden. Metallgegenstände aller Art können mit seiner Hülfe geätzt, ihre Oberfläche gekörnt oder damascenirt, Uhrgehäuse oder Gefäße mit den zartesten Gravirungen versehen werden. Bei Anwendung stärkern Druckes, den man am leichtesten erzielt, wenn statt des Luftstromes ein Wasserdampfstrahl angewendet wird, sind die Wirkungen natürlich ungleich tiefergehend. Ein Sandgebläse, dessen Kraft immer noch weniger als eine Pferdekraft beträgt, durchbohrt in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_700.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)