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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


20.

Und setzet Ihr nicht das Leben ein,
Nie wird Euch das Leben gewonnen sein.

In meiner Wonne, Gottfried, muß ich dieser Worte des Dichters gedenken. Aus Seelennoth und Todesqualen geht das wahre Heil hervor. Glaube mir, wenn ich blos das äußere Glück in Anschlag brächte, ich würde es verschmähen um den Preis, die gleiche Prüfung noch einmal bestehen zu müssen; aber zehnmal noch wollte ich sie erdulden, um das Herz zu gewinnen, das nun mein Eigen ist.

Ach, Gottfried, was ist alle Seligkeit der Dichter gegen das Glück, das mir geworden: – noch zwei Tage, und ich stehe mit Hedwig vor dem Altare!

Den Qualen der Ungewißheit, nein der sichern Entsagung, der Verzweiflung, ist das gemüthberauschende, die Phantasie zu den höchsten Gefilden des Ideales emportragende, das ganze Sein durchwogende Wonnegefühl der Sicherheit gefolgt, an der Seite der Heißgeliebten ein ganzes Leben voll inniger Hingebung, voll Genuß alles Schönen auf Erden, voll hohen Geistesstrebens unter den edelsten Menschen verbringen zu dürfen.

Den ersten Rausch des Glückes wollen wir in einem stillen Alpenthale oder an einem jener Seen verträumen, wo meinem Idol zum ersten Male, obwohl noch unbewußt, die Ahnung der Liebe aufgegangen. Dann aber eilen wir nach Italien – zu Dir, mein Freund – und diesmal sollst Du nicht betrogen werden. Denn ich habe große Dinge vor. Wir wollen mehrere Jahre in Hesperien bleiben, und ich will die Gebilde in’s Dasein rufen, welche mich bereits Tag und Nacht verfolgen. Ich will, wenn auch kein Raphael, doch meiner Fornarina würdig zu werden suchen. Hat sie mich ja zweimal schon zu höherem Ruhme getragen.

Doch das Glück ist wortkarg. Auf Wiedersehen, Gottfried, in Rom!

Dein Walter.




21.


     Freund meines Walter!

Noch zeitig genug, ehe er ihn verschloß, habe ich ihm diesen Brief entrungen, den ich nicht lesen sollte und dem ich doch ein paar Worte beifügen will.

Er meint das Glück im Monopol zu haben, und ich verschwende all meine Beredsamkeit, um ihm zu beweisen, daß ich ja noch viel glücklicher bin als er.

Was er aus meinem Munde erfuhr, soll Ihnen auch nicht verborgen bleiben: das Glück meines Bruders an der Seite des hohen, bescheidenen Mädchens, das auf ihrem einsamen Schlosse keine andere Freude kannte als den Gedanken an ihn. Einmal fortgegangen, kehrte er nicht wieder, bis sie als Herzogin Amalie an seinem Arme die Schwelle unseres Hauses betrat. Mag ihn nun der Antheil, den ich an der sonnigen Wendung seines Schicksals nahm, gerührt oder das Glück selbst ihn weich gestimmt haben, eines Abends – noch waren nicht acht Monate vorüber, seit Walter fort – eines Abends frug er mich mit schelmischem Lächeln, während sein Arm Amaliens Leib umschlang:

„Wie steht’s, Hedwig?“

Eigenthümlich mag der Blick gewesen sein, mit dem ich aufschaute, denn Ernst, vielleicht auf Amaliens Bitten, schrieb noch denselben Abend an Walter und rief ihn zurück. Wir sollten die letzten Monate unseres Probejahres zusammen ausharren dürfen. Ich wußte genau, wie viele Tage der Brief und dann der Gerufene brauchen würde, und meinte, mein Tod käme früher als die ersehnte Stunde, in der Walter vor meinen Augen stehen würde. Wie geduldig hatte ich geharrt die langen Monate, ohne ein Wort der Sehnsucht, ohne ein Wort der Klage! Jetzt kannte ich mich selbst nicht mehr. Wahrscheinlich erträgt Hedwig Unglück besser als Glück.

Ob ich nicht eines Tages aufgepackt hätte und ihm entgegengeeilt wäre, will ich nicht entscheiden, – da brachte mir Ernst, den meine Unruhe quälte, ein Packet, das wohl dazu angethan war, mich zu beruhigen, wie das Wiegenlied den Säugling: Walter’s Briefe an Gottfried! Ein guter Engel hatte Ihnen eingegeben, sie als Beweis für die Echtheit von Walther’s Liebe an meinen Bruder zu senden. Mein bester, treuester Freund sind Sie durch die beglückenden Blätter geworden. Und doch habe ich Sie einen Augenblick beneidet, daß Sie schon das Tiefinnerste von Walter’s Herzen kannten, das Wunder unserer Begegnung, die Größe seiner Liebe – lange, ehe ich eine Ahnung hatte, wie es um uns aussah. Doch Thränen wuschen bald den Neid hinweg, und ungeduldig sehe ich dem Moment entgegen, wo ich Ihnen dankbar beide Hände reichen kann und die Ihrigen drücken im überströmenden Gefühle der wahrsten Freundschaft.

Wie glücklich wir sind, Sie werden es uns an den Augen ansehen, die bis dahin hoffentlich die üble Gewohnheit verlernten, feucht zu werden, sobald sie des Andern Blick begegnen. Mein Gott, wir haben unser Glück so theuer erkaufen müssen, daß es fast natürlich erscheint, wenn die Thränen, die in dunkler Nacht nicht flossen, jetzt in der hellen Morgensonne ihren ungehemmten Lauf nehmen!

Was haben wir uns Alles zu erzählen! Doch auch schwarze Seiten giebt’s in unserer Geschichte, deren wir nicht gern gedenken werden, wenn heitere Tage im schönen Rom uns zusammenführen. Drum nur Einen Namen: Werdau, und ein Land, das den Unseligen aufnimmt: Rußland. Viel Weiteres weiß ich selbst nicht.

Schon muß ich diesen Brief schließen und werde ein Geständniß ablegen müssen, soll man mir glauben, wie sehr ich es wider Willen thue. Die Dämmerung fängt schon an hereinzubrechen, und diese Zeit ist es, welche Walter für die seligste des ganzen Tages hält, welche er niemals ungenutzt und ungenossen vergehen läßt. Wir sitzen dann zusammen auf dem Divan unter meinem Bilde zwischen Farren und Palmen, Hand in Hand, fest umschlungen, und sprechen von – was weiß ich? – den Tagen, die jetzt über uns hereingebrochen, den ehrgeizigen Plänen meines Künstlers, am liebsten aber von der Vergangenheit, die noch manche Schätze birgt, mit denen wir uns gegenseitig beglücken. Walter hat gedroht, wenn ich nicht sogleich die Feder niederlege, wolle er um Licht schellen, und dann ist’s um unsere Dämmerstunde gethan.

Gottfried! Liebende sind egoistisch – mit einem wehmüthigen Blicke auf diese Zeilen wende ich mich dennoch glückselig Waltern zu, und in wenigen Secunden ist auch der Freund in der heiligen Stadt vergessen. In einem Monate werden wir wohl verständiger sein.

Zum letzten Male
Hedwig von Waldemberg.




Blätter und Blüthen.


Ein Sonntagmorgen in Chislehurst. Die englischen Glocken mit ihrem für jedes Fremden Ohr so eintönigen Dreiklang riefen die frommen „Ladies and Gentlemen“ zur Kirche. England feierte seinen Sonntag. Wenn auch vielleicht nirgends in der Welt, Schottland ausgenommen, die strengste Orthodoxie die Menschen so beherrscht wie hier, ja mitunter diese „Sonntagsfrömmigkeit“ durch eine starke Dosis von Pedanterie den Schein des Lächerlichen annimmt, so bringt sie doch wenigstens etwas Gutes zu Wege: das ist die stille, göttliche Ruhe allüberall, in Feld und Wald, die nimmer gestört wird durch überthätige Arbeit. Wie oft sieht man bei uns in Deutschland, namentlich im Norden, den Handwerker mit Weib und Kind am Sonntagsmorgen hinausziehen auf’s Feld, den einzigen freien Tag seines Arbeiterlebens dazu benutzend, die oft gar schmale Ernte des Stückchens Land im Schweiße seines Angesichtes zu gewinnen. Gar nicht selten wird dann Caro vor den kleinen Handwagen gespannt, und nach Kräften bellend und heulend trabt er nun durch die Straßen. Ein englischer Arbeiter dagegen würde zwar sein Gewissen durchaus nicht zu belasten glauben, wenn er seine stillen Sonntagsbetrachtungen vor dem Schenktisch hielte, es jedoch als eine Todsünde betrachten, an einem Sonntag auch nur den Spaten zu erheben.

Ein klarer Herbsttag lag über Chislehurst und gab der paradiesisch schönen Landschaft noch erhöhte Reize. Man nennt die Grafschaft Kent den Garten Englands. Wenn dies mit Recht geschieht, dann ist Chislehurst das beste Blumenbeet in diesem Garten, ein Meisterwerk, das der Gärtner schuf. Uralte Bäume, Eichen, die sich sehr wohl „deutsche Eichen“ nennen könnten, schlanke Buchen und plaudernde Birken, die den Epheu wie einen geliebten Cameraden über den Stamm hinweg und bis an die Zweige hinein zu sich heran gezogen haben, rahmen die in ihrem frischen Grün schier leuchtenden Wiesen, die sanft ansteigenden Abhänge ein. Wiesenpfade führen durch die Weiden. Sie sind heute belebt von Jung und Alt; Männlein und Weiblein, das Gebetbuch in der Hand, sieht man zur Kirche gehen. Wie kleine weiße und farbige Muscheln leuchten hier und da geschmackvolle Landhäuser, saubere Farmen, auch wohl ein einsames

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