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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


glühender Glase existiren könnten, wenn nicht der kolossale Druck, welcher auf diesen glühenden Gasmassen lastete, sie zu glühender Flüssigkeit zusammenpreßte. Deshalb ist auch der ganze Sonnenkern eine ungeheure glühend flüssige Kugel, umhüllt von einer glühend-gasförmigen Atmosphäre. In den oberflächlichen Theilen der glühend-flüssigen Sonnenkugel entstehen bisweilen blasenartige Hohlräume, und in diesen sammelt sich glühendes Wasserstoffgas an. Von Zeit zu Zeit brechen diese Massen unter gewaltigem Drucke fontainenartig hervor und erheben sich bis zu zwanzig- und dreißigtausend Meilen Höhe in die Sonnenatmosphäre. Das sind die so viel genannten und doch im Ganzen noch so wenig gekannten Protuberanzen. Viele von ihnen lodern in einer Ausdehnung und Höhe auf, daß sie die ganze Erdkugel, wenn man sie in diese glühenden Gasmassen hineinwerfen könnte, so aufnehmen würden, wie die Flammen eines Schmiedefeuers eine Nuß.

Die Geschwindigkeit, mit welcher die glühenden Massen emporgeschleudert werden, beträgt viele Meilen in der Secunde und aus den Bewegungen, welche dieselben dem Auge des Beobachters darbieten, muß man schließen, daß in der glühenden Sonnenatmosphäre Wirbelstürme von solchen Dimensionen und von solcher Heftigkeit vorkommen, wie man sie sich auf der Erde schon aus dem Grunde gar nicht vorstellen kann, weil unser Erdball viel zu klein ist, um ein Analogon dazu bieten zu können. Wenn unsere ganze Erde in einen solchen Wirbelsturm geriethe, so würde sie umhergeworfen, ähnlich einer Schneeflocke, die hienieden der Nordwind jagt. Macht doch unsere ganze Erde nicht den dreihundertzwanzigtausendsten Theil der Sonnenmasse aus, das heißt dreihundertzwanzigtausend Erdkugeln würden der Sonnenkugel an Gewicht kaum gleich kommen.

Die Sonnenflecke sind wahrscheinlich wolkenförmige oder schlackenartige Abkühlungsproducte, die bald wieder von der glühenden Masse des Sonnenballes verschlungen oder aufgelöst werden. Dem Auge erscheinen diese Flecke schwarz, aber diese Dunkelheit ist eine scheinbare und wird hervorgerufen durch den Contrast mit der strahlenden Sonnenoberfläche.

Nach den Bestimmungen von Herschel würde die Sonne, wenn sie ganz von Flecken analog denjenigen, welche wir jetzt stellenweise sehen, bedeckt wäre, uns doch viertausend Mal heller erscheinen als heute der Vollmond. Gegenwärtig übertrifft das Sonnenlicht die Helligkeit des Mondlichtes um mehr als das Sechshunderttausendfache.

In Folge der ununterbrochenen Ausstrahlung müssen Wärme und Licht der Sonne abnehmen, aber diese Abnahme wird vorläufig noch sehr nahe compensirt durch die Zusammenziehung des Sonnenkörpers. Mit der Zeit findet diese aber ihre Grenze. Dann nehmen die Sonnenflecke mehr und mehr zu, ihre Zahl, ihre Größe und ihre Dauer müssen immerfort wachsen, bis sie schließlich die ganze Sonnenoberfläche bedeckt haben und die Incrustirung derselben beginnt. Sicherlich ist dieses bei vielen Sternen im Weltenraume schon eingetreten; andere sind auf dem besten Wege, ihr Licht ebenfalls ganz zu verlieren.

Die Sonne muß also mit der Zeit ihre Wärme und ihr Licht einbüßen. Das Capital wird dereinst aufgezehrt sein, von dem sie mit so enormer Liberalität nach allen Seiten hin spendete. Was dann bezüglich der Erde eintreten muß, liegt auf der Hand. Der Untergang des organischen Lebens steht dann vor der Thür. Es ist eine Chimäre, von dem ewigen Bestehen des organischen Lebens in der Vergangenheit und Zukunft zu sprechen, nach beiden Richtungen hin umfaßt es vielmehr nur eine Spanne Zeit im Entwickelungsprocesse der Natur. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, leuchtet die Wahrheit leicht ein, daß es abgeschmackt ist, behaupten zu wollen, die Welt sei um des Menschen willen vorhanden und Letzterer der Herr des Universums. Wir vegetiren blos auf unserem alten Erdballe, und die Natur außerhalb der Erde kümmert sich um uns nicht, fragt nicht darnach, ob es uns wohl geht oder ob wir verderben. Die Sonne verspart ihren Schein durchaus nicht, um uns ein paar Milliarden Jahre länger leuchten zu können, sondern geht verschwenderisch mit ihrer Habe um und läßt unsere Nachkommen und das gesammte organische Leben dereinst in Dunkelheit und Kälte umkommen, wenn sie selbst kein Licht und keine Wärme mehr besitzt.




Die Perle der Nordsee.
Eine Sommer-Erinnerung.

Wie mächtig wir auch die Anziehungskraft des Südens auf uns einwirken lassen, der Hochsommer, unsere eigentliche Reisesaison, läßt uns dennoch Schatten in den Wäldern, Kühlung in den Fluthen suchen, die wir im schönen Süden kaum finden würden.

„In’s Seebad!“ Das ist zur Sommerszeit das einmüthige Losungswort so Vieler unter den Reiselustigen, daß nur etwa noch die Frage: „In welches Seebad?“ zu entscheiden bleibt.

Helgoland ist doch die Perle unter den Seebädern, und besäße es auch keinen andern Vorzug als seine isolirte Lage mitten in der Nordsee,“ rief ein alter Enthusiast, mit welchem ich an einem sehr unfreundlichen Regentage zu Anfang August dieses Jahres auf dem Verdeck des Dampfers „Cuxhaven“, Capitain Röhrs, die Elbe hinabfuhr. „Kein anderes Seebad bietet uns die Seeluft so rein, so ungemischt, – lesen Sie nur die neue Broschüre des Badearztes Dr. Zimmermann über den Ozongehalt der Helgolander Seeluft!“

Ich lieh dem alten Enthusiasten ein williges Ohr, als er mir diese und noch andere Vorzüge von Helgoland herzählte, als er mich versicherte, daß er seit fast zwanzig Jahren Stammbadegast dort sei, daß sich auf der Insel so Vieles verändert, verbessert und verschönert habe, daß es jetzt schon fast überfüllt dort sein solle, daß aber Herr Müller, der liebenswürdige Besitzer des Hôtel de Krüß, gewiß noch ein kleines Zimmer für ihn und für mich übrig haben werde.

Bald goß der Regen in Strömen vom Himmel. Der Wind blies tüchtig aus Nordost, und noch bevor am äußersten Ende des linken Elbufers das Städtchen Cuxhaven in Sicht kam, wurden von den Stewards, den Schiffskellnern, jene verhängnißvollen Blechgeschirre rings umhergestellt, deren bloßer Anblick schon manche nervenschwache Dame veranlaßt haben soll, dem Gotte Neptun, bevor sie noch seine Domaine – das Meer – erreichte, ein erstes Magenopfer darzubringen.

Achtzig Passagiere befanden sich mit uns am Bord. Einigen war das Wasser schon bei Cuxhaven allzu bewegt; sie verließen das Schiff, um bei ruhigem Wetter mit nächster Gelegenheit die Reise fortzusetzen. Das auf dem Schiffe selbst für den Preis von fünf Thalern gelöste Billet behält in solchem Falle seine volle Gültigkeit.

Die Schilderung der nun folgenden Meeresfahrt mit obligater Seekrankheit möge mir erlassen bleiben! Bald sah man in weitester Ferne den ersehnten Felsen auftauchen; bald schon erkannte man die rothe Farbe des Gesteins, die grünen Grasflächen und Kartoffelfelder des Oberlandes, das blendende Weiß des Dünensandes – roth, grün und weiß, das sind ja die Landesfarben auch dieses Ländchens.

Ein Dutzend Fischerboote umschwärmen den zwischen Fels und Sanddüne ankernden Dampfer, um uns an’s Land zu bringen, wo eine dicht gedrängte Menge unter den Klängen der eben im Musikpavillon am Strande concertirenden Curcapelle uns erwartet. Unvergeßlicher Moment für Jeden, der ihn erlebte, diese Ankunft in Helgoland mit ihrer obligaten „Lästerallée“! So heißt ja das durch stramm gespannte feste Schiffstaue zwar räumlich in Schranken gehaltene, aber im „Lästern“ der Ankommenden nur allzu schrankenlose lebendige Spalier der Curgäste, durch welches jeder neu Ankommende gleichsam Spießruthen laufen muß. Je deutlicher die kaum überwundene Seekrankheit noch aus den trostlosen Zügen des neuen Ankömmlings spricht, um so lebhafter fällt die lästernde Begrüßung aus. „O, wie seekrank!“ ruft man mit wenig Witz und viel Behagen einer alten blassen Dame zu. – „Droschke gefällig?“ rief mir ein „juter“ Berliner entgegen. – „Gewiß, wenn Sie sich vorspannen,“ war meine rasche Antwort.

„Was kommt dort von der Höh’?“ etc., hebt ein Jünger Thaliens an, und in diesen Chor stimmt zum Theil selbst die weibliche Gesellschaft mit ein, um eine über die Landungsbrücke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_734.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)