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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Das Spinett.[1]
Von Paul Heyse.


An dem Tandelmarkt vorbei
Ging ich heute, da es nachtet,
Hab’ ein buntes Allerlei
In den Buden dort betrachtet.

Ausgediente Flitterpracht,
Strandgut aus zerschelltem Glücke,
Waffen, die einst Tod gebracht,
Neben Karst und Bettlerkrücke.

Dieser Spiegel, heut so blind,
Weiß von festlich hellen Nächten:
Jener half dem Bauernkind
Seine blonden Zöpfe flechten.

Dort der Sessel, reich geschnitzt,
Weich mit Sammet ausgeschlagen,
Denkt er noch, wie er geblitzt,
Als er Fürstinnen getragen?

Muß er jetzt die Nachbarschaft
Jenes nackten Schemels leiden,
Drauf mit saurem Fleiß geschafft
Ehrsam Handwerk, treubescheiden?

Wie sich in des Friedhofs Reich
Nah gesellen Hoch und Nieder,
Macht die Zeit hier Alles gleich,
Giebt den Staub dem Staube wieder.

Aber dort das Mütterlein,
Dem erblichen längst die Locke,
Warum weint’s in sich hinein,
Still gebückt an seinem Stocke?

Was betrachtet’s unverwandt
Jenen alten Klimperkasten,
Dem wohl lang schon keine Hand
Rührte die vergilbten Tasten?

Und sie feilscht und schließt den Kauf,
Und den staub’gen Ladenhüter
Lädt ein Wagen sorglich auf,
Wie das köstlichste der Güter.

Mit der Alten hinterdrein
Schlendr’ ich jetzt und frag’ im Gehen:
„Warum habt Ihr, Mütterlein,
Euch dies Alterthum ersehen?

Habt Ihr wohl ein Enkelkind,
Das da spielen lernt und singen?
Diese Saiten, fürcht’ ich, sind
Schon zu morsch, um rein zu klingen.“

Und die Alte blickt mich an
Prüfend unter welken Lidern,
(Noch ein Tropfen hing daran)
Und dann hört’ ich sie erwidern:

„Lieber Herr, ich merk’ es klar,
Daß Ihr mich für närrisch haltet.
Aber denkt, wie wunderbar
Hier des Himmels Fügung waltet,

Daß er mich noch finden ließ
Diesen Freund vor meinem Tode!
Ach, da ich ein Kind noch hieß,
War er blank und in der Mode;

Stand in meiner Eltern Haus
Wohlgepflegt im besten Zimmer,
Und zu Tanz und frohem Schmaus
Klangen seine Saiten immer.

Doch am schönsten, wenn mein Franz
Sanft begleitete mein Singen,
Ach, bis eines Tages ganz
Lust und Lieder uns vergingen!

Denn die Eltern zürnten sehr,
Daß den Armen ich erwählte;
Doch sie trennten uns nicht mehr,
Die ein treuer Muth beseelte.

Und ich gab ihm meinen Schwur,
Folgt ihm in das dürft’ge Leben,
Bat, statt aller Mitgift, nur
Das Spinett mir mitzugeben.

Welche Freuden sah ich blüh’n
Unterm Dach an Seiner Seite,
Wenn nach Tages Last und Müh’n
Uns ein Lied den Abend weihte.

Oder wenn am Feiertag,
Seiner Lehrerpflicht entbunden,
Er, wie er am liebsten pflag,
Spielte, was er selbst erfunden.

Dann mein Jüngstes an der Brust
Saß ich hinter meinem Trauten,
Da die Größern schon mit Lust
Horchend auf den Vater schauten.

Doch die Sorgen wuchsen auf
Mit den Kindern um die Wette;
Ach, nach kurzer Jahre Lauf
Lag er auf dem Sterbebette.

Nie vergeß’ ich jene Nacht.
Wo er bat – ich hatte wieder
Angstvoll neben ihm gewacht –:
‚Singe mir die alten Lieder!‘

Und ich spielt’ ihm jenes Lied –
Singen konnt’ ich’s nicht vor Thränen –
Jenes, das zuerst verrieth
Unser langverschwieg’nes Sehnen.

Bebend hört’ ich, wie auch er
Vor sich hin die Worte summte,
Und dann ward das Haupt ihm schwer,
Und sein blasser Mund verstummte.

Stumm an seinem alten Platz
Stand der treue Leidgefährte,
Bis auch diesem letzten Schatz
Mich die Noth entsagen lehrte.

Seitdem über meinem Haupt
Sah ich manches Jahr sich wenden,
Und ich hätte nie geglaubt,
Daß wir Zwei uns wiederfänden.

Aber da von aller Noth
Meine Kinder fern mich halten,
Soll auch er das Gnadenbrod
Finden bei der treuen Alten.

Rückt mein Stündlein sacht heran –
Ach, es braucht nur noch ein Kleines! –
In den Schlummer spielt mich dann
Meiner Enkelkinder eines.

Wenn ich dann des Liebsten Lied
Von den alten Saiten höre,
Mein’ ich, daß mich’s zu ihm zieht
In die hohen Engelschöre“ –

Sprach’s, und ihre Stimme brach,
Und ich sah sie weiter wanken,
Stand und blickt’ ihr lange nach,
Still verloren in Gedanken.

Und mir war’s, als ob ein Klang
Durch die rost’gen Saiten ginge;
Leise mahnend, froh und bang’,
An den ew’gen Fluß der Dinge.




Pariser Bilder und Geschichten.
Die Tyrannen von Paris.
Von Ludwig Kalisch.


Ich bitte meine Leser, sich durch diesen Titel nicht irre führen zu lassen und nicht etwa zu glauben, daß ich von den Pariser Polizeipräfecten, oder von den Seinepräfecten, oder gar von gekrönten Häuptern sprechen will. Die Tyrannen, von denen hier die Rede sein soll, sind viel furchtbarer, da deren Zahl außerordentlich stark und sie obendrein unentbehrlich sind. Sie überleben alle französischen Regierungen; sie beherrschen die Pariser, von welcher Regierung diese auch beherrscht sein mögen. Ich meine die Pariser Concierges oder Hausmeister. London besitzt diese Menschenclasse nicht; denn die Londoner Häuser sind Festungen im Kleinen, die stets verschlossen sind und von der Dienerschaft des Stockwerkes geöffnet werden, dem ein Besuch gilt. Jedes Stockwerk hat seinen eigenen Schellenzug. Außerdem sind die Häuser fünf bis sechs, nicht selten gar sieben Stockwerke hoch, so daß man sie nicht mit Unrecht perpendiculäre Straßen nennen kann. Auch stehen sie während des Tages offen. Der Concierge also, dessen Zimmer oder „Loge“ sich im Erdgeschosse befindet, ist mit der Ueberwachung des Hauses betraut, und Niemand kann über die Schwelle desselben treten, ohne von ihm gesehen zu werden. Er ist es, der alle Aufträge für die Hausbewohner und zugleich die Postbriefe für sie empfängt, da der Briefträger nie selbst dem Adressaten die Briefe zustellt, es sei denn, daß dieselben recommandirt sind. Der Concierge bildet auch den Vermittler zwischen dem Miethsmann und dem Hauseigenthümer, der sein Haus nicht immer bewohnt, ja häufig gar nicht in Paris lebt. Dieser wie Jener hängt also gewissermaßen von dem Concierge ab. Wir Sterblichen besitzen indessen selten eine Macht, ohne dieselbe zu mißbrauchen, und die Pariser Concierges, die durchaus nicht zu den Unsterblichen gehören, mißbrauchen sie häufig genug und auf die lästigste, unerträglichste Weise.

Der Concierge stellt dem Miethslustigen, besonders dem kleinen, bei der Vermiethung nicht nur die Bedingungen des Hausbesitzers, sondern auch seine eigenen. Handelt es sich um eine Junggesellenwohnung, um ein „Appartement de garçon“, so setzt der Concierge dem unbeweibten Miethsmann die Bedingung, daß sich dieser von ihm die Pflege der Zimmer versehen lasse. Geht der Junggeselle darauf nicht ein, so wird aus dem Handel nichts, zum Nachtheil des Eigentümers, der oft dadurch einen vortrefflichen Miethsmann verliert.

Der Concierge erhält von dem Hausbesitzer neben freier Wohnung und Beleuchtung auch ein Jahrgehalt, das je nach dem Umfange des Hauses bestimmt wird. Indessen ist dieses

  1. Wir freuen uns, durch die Liebenswürdigkeit unseres langjährigen Mitarbeiters, des Herrn Dr. Paul Heyse, in den Stand gesetzt zu sein, das in der zweiten Auflage des „Flüggen-Albums“ erscheinende, herzerschütternde Gedicht schon heute unseren Lesern mittheilen zu können.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_762.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)