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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 49.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Der König auf Besuch.
Historische Novelette.
1.

Dresden hatte am 9. September 1756 die Ueberraschung gehabt, die vom Feldmarschall Keith befehligte Armee in seine Mauern einrücken zu sehen, und am nächstfolgenden Tage erschien König Friedrich der Zweite, wie ein stiller Reisender, ohne Kanonendonner, Glockengeläute und sonstige Empfangsfeierlichkeit. Er nahm Quartier in dem Palais Mosczynski, dessen Besitzerin, als wäre der Wechsel ihrer Wohnung eine in aller Güte und Freundschaft verabredete Sache gewesen, das Weite gesucht hatte. Ohne Schwertstreich und Flintenschuß war dieses königlich preußische Gastspiel auf sächsischem Grund und Boden eröffnet worden; die einzige Illustration, welche diese Veränderung hervorrief, bestand in dem verblüfften Dreinschauen der Residenzbewohner, von denen die Mehrzahl die Hände in den Taschen ballte, nicht nur weil die Tischgäste, die, so zu sagen, ihnen in’s Haus fielen, eine Belastung ihres Geldbeutels waren, sondern auch weil das fremde Blauroth ihren Augen wehe that.

Die sächsische Armee hatte sich vor Ankunft der Preußen auf ihres Königs oder vielmehr dessen sauberen Ministers Brühl Befehl von der Landeshauptstadt in ein festes Lager bei Pirna zurückgezogen. Dreißigtausend Mann standen als schlagfertig auf den Papieren verzeichnet, welche Brühl seinem Herrn vorgelegt; es fehlte indeß die Bemerkung dabei, daß es nur siebenzehntausend Mann seien, da der große Schwindler den Sold für die nicht vorhandenen Dreizehntausend seit dem Dresdener Friedensschlusse (1745), eine Summe von zehn Millionen Thalern betragend, zu seinem Besten unterschlagen hatte.

Zugleich mit der Besetzung Dresdens schlossen die Preußen dieses Lager ein, in welchem, da für keine Proviantvorräthe gesorgt worden war, der empfindlichste Mangel an Lebensmitteln sich fühlbar machte.

So standen die Sachen, als eines Tages Trommler und Pfeifer den König, welcher an der Fronte der in zwei Gliedern aufgestellten Wachtmannschaft hinschritt, mit dem Parademarsche begrüßten. Er sah ungewöhnlich zufrieden aus, ein Umstand, der zu Zeiten gar nicht an ihm zu bemerken war, denn sein Lebensgang hatte ihn seit seinen Jugendjahren durch die ernstesten Prüfungen geführt, denen eben nur ein Mann seiner Geistesart gewachsen ist.

Die Officiere seiner Suite hatten sich auf den Stufen der Freitreppe aufgestellt, welche, einen Bogen bildend, an der Fronte des nicht sehr großen, aber zierlichen Palais Mosczynski von dessen beiden Ecken sich erhob und zu dem Portale führte, durch das man in das Innere des Gebäudes eintrat. Hier, in den schönen Parterrelocalitäten residirte der König von Preußen. Die neueste Zeit hat das Palais Mosczynski, das für die Residenzstadt Dresden mit Fug und Recht ein steinernes Blatt aus deren Schicksalschronik genannt werden konnte, aus der Reihe der historisch interessanten Gebäude gestrichen und auf dem weithin gedehnten Raume gewaltig große Häuser erstehen lassen.

Dieses schöne Palais, einem von duftigen grünen Ranken umrahmten Schmuckkästchen gleichend, paßte für einen Denker, dessen reger Geist sich mit großen Entwürfen trug und einer heiteren Stille bedurfte. Fern dem städtischen Trubel, ersetzte das Palais mit seinem prächtigen Park dem Könige zum Theil die Reize, welche sein Rheinsberg ihm so sehr lieb gemacht hatten, denn die Aussichten, die sich ihm hier aus seinem Wohnzimmer und bei Promenaden durch den Park boten, waren unvergleichlich schön. Im Osten hob das terrassenartig sich aufthürmende meißnische Elbhochland, jetzt mit dem Namen „Sächsische Schweiz“ belegt, seine gewaltigen Berghäupter wie ein vielgezacktes Riesendiadem in den bläulichen Ferneduft hinauf; im Süden lagerten gleich sanftanschwellenden Wellen die Zschärtnitzer und Räcknitzer Höhen bis hin zu den Thalwänden der wunderbaren, mehrere Stunden Weges weit sich nach dem Erzgebirge hinziehenden Felsengasse des Plauenschen Grundes, und im Westen bezeichnete der Zug der Lößnitzer Berge den Lauf der Elbe.

Dresden beherbergte somit in einem seiner anmuthigsten Schlösser einen König, welcher, der Ordnung der Dinge nach, nichts im Lande zu sagen gehabt hätte, wäre er nicht mit mindestens sechszigtausend Mann daselbst aufgetreten – aber neben ihm weilte in der Elbresidenz eine Königin nebst ihrem Kronprinzen und ihrer übrigen Familie, eine Königin, die, dem Lande angehörend, unter dem Drucke des geschehenen Wechsels aller Verhältnisse in Wirklichkeit nichts mehr zu befehlen hatte, deren Hofhaltung aber nach wie vor eine glänzende blieb. König Friedrich der Zweite fand es seiner und der königlichen Würde der hohen Frau angemessen, ihr seine Aufwartung zu machen, und eben jetzt hatte er sich dieser ritterlichen Pflicht entledigt. Er kam vom Schlosse, wo er und seine königliche Gegnerin, die ihn wie die Sünde haßte – denn zu ihrem angeborenen österreichisch-katholischen Hasse gegen den preußischen Ketzerkönig hatte sich noch die bitterste Feindschaft gegen ihn, den räuberischen Eindringling, gesellt – eine Scene abgespielt hatten, für welche kein passenderer Vergleich gefunden werden könnte als das bekannte Bild „Nattern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_787.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)