Seite:Die Gartenlaube (1873) 840.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Volke selbst, auf der Straße und an den Schaufenstern, aufzusuchen. Wie oft sah man ihn an den Buchläden stehen, eifrig forschend nach den Titeln der soeben erschienenen Bücher! Jeder Kunstladen war seiner besonderen Beachtung sicher. Oft weilte er lange vor einem Fenster, das Kupferstiche oder Photographien zur Ansicht darbot, und oft kam er dabei in wirkliches Gedränge; aber wenn etwa auch ein Tagelöhner in seinem Eifer, deutlicher zu sehen, sein vorgestrecktes Kinn fest auf die Schulter des vor ihm stehenden prinzlichen Admirals der deutschen Flotte legte, so genirte es diesen gar nicht, erst wenn auch er mit seinen Anschauungen fertig war, promenirte er weiter, um vielleicht an einer Anschlagsäule einen längeren Aufenthalt zu machen. Denn wie ein guter Bürger (als Hauseigenthümer war es der Prinz) studirte er auch hier Alles, was es im Städtchen Berlin Neues gab und was die echauffirte Reclame in einer Weltstadt alle Tage an die Säule kleistert.

In einer solchen Situation führt uns das beifolgende Bild den hohen Herrn vor. Welcher Berliner hat ihn nicht in der Bellevuestraße an der Thiergartensäule unzählige Male so stehen sehen?

Die neuen Anlagen-Verschönerungen und Vergrößerungen Berlins, für die sich der Prinz lebhaft interessirte, führten den Wißbegierigen oft in ganz entfernte Stadttheile, wo die Erscheinung einer königlichen Hoheit noch ein Ereigniß bildet. Sehr oft sah man ihn da sich mit den gewöhnlichsten Arbeitern unterhalten, um sich Auskunft über die Bauten oder auch eine tiefere Einsicht in die Verhältnisse, Verdienste und Lebensweise dieser Leute zu verschaffen. Die Theilnahme an dem öffentlichen Leben ist übrigens ein Charakterzug, der durch die ganze Familie geht. Denn schon der Vater des Prinzen machte zu seiner Zeit ganz in derselben Weise seine täglichen Wanderungen durch Berlin, war von jedem Kinde gekannt und wurde freudig begrüßt. Ebenso pflegte der hochbegabte, leider zu früh verstorbene Bruder, Prinz Waldemar, seine Spaziergänge durch die Stadt oder im Thiergarten allein zu machen.

Wenn es ein hohes Glück hier auf Erden ist, von edlen Eltern geboren und erzogen worden zu sein, und wenn kein Nachlaß so kostbar und theuer ist, als die tiefe und innige Verehrung für diese bis über das Grab hinaus, so ist unserem Prinzen dieses Glück in hohem Maße zu Theil geworden, und nicht alle Menschen können bei ihren Jugenderinnerungen aus dem elterlichen Hause sich so erhoben fühlen, wie es der Prinz und seine Geschwister konnten. Das schöne reine Bild ihrer Eltern war bei den Brüdern und ist bei den noch lebenden Schwestern ein Heiligthum, das wie eine Leuchte über ihre Tage schwebt, wie ein Compaß sie durch’s Leben führt. Und sicherlich, wer vor dreißig bis vierzig Jahren in Berlin lebte, wird viel und nur das Beste über den alten (so wurde er allgemein bezeichnet) Prinzen Wilhelm, Bruder des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten, und seine Gemahlin, eine geborene Prinzessin von Homburg, vernommen haben, denn Jedermann interessirte sich für das schöne Paar, das sein Glück in seinen Kindern, seine Freuden in der Kunst und Wissenschaft, eine wahre Genugthuung aber nur im Geben und Wohlthun fand.

Schloß Fischbach in Schlesien, am Fuße der Schneekoppe höchst romantisch gelegen, war während langer Jahre der Lieblingsaufenthalt der prinzlichen Familie. Die Königin Maria von Baiern ist sogar von dem dortigen noch lebenden Pastor Götschmann confirmirt worden. Nach dem Tode der Eltern kamen die drei noch lebenden Geschwister, Prinz Adalbert, Prinzessin Elisabeth von Hessen-Darmstadt und Königin Marie – denn Prinz Waldemar war um einige Jahre seinem Vater im Tode vorangegangen – überein, dieses elterliche Besitzthum, das so viele glückliche Tage ihrer Jugend gesehen hatte, dem väterlichen Wunsche gemäß, gemeinschaftlich besitzen und alle Jahre in ländlicher Zurückgezogenheit dort auf einige Zeit sich wieder vereinigen und die glücklichen Erinnerungen vergangener Tage immer wieder durch gegenseitigen Verkehr in treuer Anhänglichkeit erhalten, sowie neu beleben zu wollen. So ist es auch viele Jahre hindurch geschehen. Jetzt ist nun auch der älteste Bruder dem so früh dahingegangenen jüngern gefolgt; die beiden Schwestern sind die alleinigen Besitzerinnen des Familiengutes geblieben und betrachten mit Freude und Wehmuth die von den Beiden hinterlassenen Erinnerungszeichen.

Aufgewachsen in einem so glücklichen Familienleben, war der Sinn dafür, das innere Bedürfniß danach gesund und kräftig in der Gemüthsanlage des Prinzen Adalbert entwickelt worden. Das Erreichen eines solchen Glückes ist ihm nicht ohne Kampf und Prüfungen beschieden gewesen; denn eine ungewöhnlich tiefe Neigung hatte sich seiner für eine damals hochgefeierte Künstlerin bemächtigt. Aber seine Stellung als königlicher Prinz, der Gehorsam gegen den König und gegen seine Eltern erlaubten ihm nicht, den Wunsch seines Herzens, sich mit diesem Gegenstande seiner Liebe für’s Leben zu verbinden, alsbald zur Ausführung zu bringen. Erst nach einer langen Zeit des Entsagens und Harrens, einer Zeit, in welche seine ausgedehnte Reise in Südamerika fällt – er legte die wissenschaftlichen Resultate derselben in dem Werke: „Aus meinem Reisetagebuche 1842–1843“ nieder – gelangte er zu dem Ziele seiner Wünsche; denn nachdem seine Eltern, angesichts dieser unwandelbaren Neigung ihre Anschauungen aufgebend, sich entschlossen hatten, dem einzigen Wunsche des trefflichen Sohnes fernerhin kein Hinderniß mehr in den Weg zu legen, kam endlich für den Prinzen die königliche Erlaubniß, mit Fräulein Therese Elster in eine von den Verhältnissen bedingte Ehe treten zu dürfen. Gewiß war dieser Tag seiner Vermählung einer der schönsten und glücklichsten seines Lebens.

Friedrich Wilhelm der Vierte, der seinem Vater auf dem Throne gefolgt war und die bedeutende Befähigung, sowie die außergewöhnlichen Herzenseigenschaften seines Vetters hochschätzte, gab in Anerkennung dessen der Gemahlin desselben den Namen einer Frau von Barnim. Durch die Geburt eines Sohnes war dem Prinzen nun ein wahres Familienleben mit seinem vollen Glücke beschieden worden, nach dem er sich so lange gesehnt hatte. Als aber auch das eigene Haus am Potsdamer Thore fertig dastand, um ihn mit den Seinigen unter einem Dache zu bergen, da hatte dieses Glück für ihn die höchste Höhe erreicht. Wer den Vorzug gehabt hat, als Freund des Hauses an dem geselligen Verkehre der Familie theilnehmen zu dürfen, der wird noch heute mit Freuden so manches dort verlebten köstlichen und glänzenden Abends gedenken. Gewiß steht ihm noch immer das Bild des Prinzen in seiner ganzen Liebenswürdigkeit und Harmlosigkeit unauslöschlich vor Augen.

Besonders erfreuten ihn an solchen Abenden die kleinen Maskeraden und theatralischen Aufführungen der Kinder, die von seinem hoffnungsvollen, begabten Sohne oft mit rechtem Geschick und Geschmack in Scene gesetzt wurden. Das Wohlgefallen, mit dem dann sein Auge auf diesem zu ruhen pflegte, war für den, der den vortrefflichen und schönen Jüngling näher kannte, leicht begreiflich. Der Verkehr zwischen Vater und Sohn war ein natürlicher und herzlicher, wurde aber noch dadurch, daß der sorgsam erzogene Sohn auch die geistige Richtung seines Vaters einschlug und sich für Länderkunde, Reisen, überhaupt naturwissenschaftliche Forschungen auf’s Lebhafteste interessirte, ein um so anregenderer; denn durch das reiche Wissen und die gesammelten Erfahrungen auf diesem weiten Felde war der Prinz befähigt und so glücklich, in langen Winterabenden seinem Sohne auch zugleich der beste Lehrmeister sein zu können. Wurden die Bücher an solchen Abenden endlich zur Seite geschoben, so kamen die Zeichenbücher und der Bleistift an die Reihe, und mancher landschaftliche Entwurf, besonders aber Gegenstände der Marine, wurden von Vater und Sohn mit geschickter Hand zu Papier gebracht.

Diese glücklichen Zeiten sollten dem Prinzen und seiner trefflichen Gemahlin leider nur zu schnell dahingehen. – Der bereits herangewachsene Sohn war bei dem 1. Garde-Dragoner-Regiment eingetreten, um seinen militärischen Verpflichtungen zu genügen. Ein inneres Leiden des jungen Mannes, wahrscheinlich die Folge des allzu schnellen Wachstums, veranlaßte die Aerzte einen längeren Aufenthalt in südlichem Klima anzurathen. Italien, das zuerst in’s Auge gefaßt wurde, war dem jungen Barnim zu nahe für seinen Wissensdrang; es zog ihn tiefer hinab nach dem Süden, nach unerforschten, dem Aequator näher gelegenen Ländern, und so kam es, daß, nachdem Aegypten gewählt worden war, der niedere gesunde Theil auch bald wieder verlassen und in die dem Europäer so gefährlichen oberen Nilländer eingedrungen wurde. Noch weit hinter Kartum, in dem Dorfe Rosères, erlag der jugendliche und noch unerfahrene Reisende dem so furchtbaren Klima-Fieber.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_840.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)